Süddeutsche Zeitung

Eres Stiftung:Hallo, du da

In der Ausstellung "Ich ist eine Ego-Maschine" gehen Künstler der Frage nach dem eigenen Bewusstsein nach

Von Evelyn Vogel

Als die Hippies sich in den Sechzigern zuhauf LSD einwarfen, um ihr Bewusstsein zu erweitern - was nicht selten im Größenwahn endete -, welche Erkenntnisse hätte die Hirnforschung wohl gewonnen, wenn sie die "Sex, Drugs and Rock'n'Roll"-Generation als Probanden eines riesigen Feldforschungsversuchs zur Bewusstseinserweiterung hergenommen hätte? Vermutlich hätte man festgestellt, dass jeder Mensch, abhängig von seiner Individualität, auf verschiedenen Wegen unterschiedliche Bewusstseinserweiterungen erlebt. Dass jedes Bewusstsein - auch ohne Drogenkonsum - mehr ist, als eine Abfolge physikalischer oder biologischer Phänomene. Mehr als eine, wie von der Neurowissenschaft beschriebene, "gigantische Rechenleistung, die sich auf komplexe, pulsierende Entladungen von Milliarden Neuronen" zurückführen lässt.

Ja, es muss schon viel in unseren Köpfen passieren, um das eigene Bewusstsein zu formen. Denn neben all den Neuronensprüngen scheint sich sehr viel mehr zu ereignen, was das Ich des Menschen ausmacht. Die Kognitionswissenschaft, die interdisziplinär arbeitet und also weit über die Hirnforschung hinausgeht, kommt in jüngster Zeit zu dem Schluss, "dass unser Ich-Bewusstsein eigentlich gar nicht existiert, sondern lediglich ein von unserem Gehirn erzeugtes Selbst-Modell und damit pure Erfindung ist". Na bravo.

Auch Künstler haben sich schon oft dem Thema "Bewusstsein" gewidmet. Und unter dem Titel "Ich ist eine Ego-Maschine" präsentiert die Eres-Stiftung einige hoch interessante künstlerische Positionen, die erkenntnisreich und unterhaltsam, gelegentlich auch irritierend sind. Irritierend sind die Töne, die Thomas Zipp seinem seltsamen Laborkabinett entlockt. Dieses besteht aus nachgebauten Moog-Synthesizern, Hiwatt-Boxen und Verstärkern sowie drei Theremins - elektronischen Musikinstrumenten, bei denen die elektromagnetischen Felder eines Menschen auch ohne Berührung Impulse und damit Sounds erzeugen. So fuchtelt man als Betrachter mit den Händen an den Antennen herum, immer in der Hoffnung, einen gesteuerten Klang erzeugen zu können, während man die ebenfalls von Zipp stammenden Leinwandarbeiten anstarrt, die verschiedenen Bewusstseinstheoretikern gewidmet sind. Spätestens bei dem Anblick Sigmund Freuds fragt man sich dann schwer irritiert: Ich oder Über-Ich? Womit man zum Kern der Ausstellung kommt, der Frage nach dem eigenen Bewusstsein. Irritierend sind auch die Arbeiten Matt Mullicans, dessen Bilder, Videos und Objekte oberflächlich betrachtet eher banal wirken, hinter denen aber eine ganze Kosmologie abstrakter Zeichensysteme steht.

Ein komplexes Zeichen- und Interpretationssystem steht auch hinter der Videoarbeit von Jan Fabre. Aber wie der belgische Künstler seinen inhaltlich durchaus ernsthaften Schlagabtausch mit dem Neurowissenschaftler Giacomo Rizzolatti über die Frage "Do we feel with our brain and think with our heart?" diskutiert, das ist mitunter zum Schlapplachen. Nicht nur, weil da zwei Herren älteren Semesters in einem universitären Halbrund sitzen, stehen und krabbeln und mal mit EEG-Hauben aus der Hirschforschung, mal mit absurden Antennenstummel auf dem Kopf über die Frage des Bewusstseins beim Menschen und beim Affen diskutieren. Da geht es auch viel um Empathie, einer Fähigkeit, die Rizzolatti den vom ihm entdeckten Spiegelneuronen zuschreibt.

Ein richtiger Spiegel als Teil der künstlerischen Versuchsanordnungen spielt bei Carsten Höller eine Rolle. Als promovierter Agrarwissenschaftler hat er sich früher mit dem Kommunikationsverhalten von Insekten beschäftigt. Seit mehr als 20 Jahren setzt er wissenschaftliche Experimente künstlerisch um. In der Arbeit "Sina 2" spielt Höller einen Versuch des Evolutionspsychologen Gallup aus den Siebzigerjahren mit einem Schimpansen vor einem Spiegel nach. Immer wieder hat Höller das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in seinen Kunstwerken untersucht. Man denke nur an sein zusammen mit Rosemarie Trockel auf der Documenta X realisiertes "Haus für Schweine und Menschen".

Ein sehr spezielles "Haus" hat Peter Kogler - neben psychedelisch anmutenden Bild- und Objektkästen - in der Ausstellung installiert. In dem Kubus mit einer Videoinstallation aus Monitoren und Spiegeln laufen computerprogrammierte psychedelische Bildmuster, die einen bei entsprechend langem Aufenthalt so derart gaga machen, dass man weder Magic Mushrooms noch LSD benötigt, um sein Bewusstsein zu erweitern. Doch genau damit und mit noch ein paar Substanzen hat Pavel Althamer experimentiert und sich dabei gefilmt. Inwieweit dies zu seiner Bewusstseinserweiterung beigetragen hat, wird wohl nur er zu schätzen wissen. War bei den Hippies damals genau so.

Ich ist eine Ego-Maschine. Was ist Bewusstsein? Eres-Stiftung, Römerstr. 15, bis 4. März, Di., Mi., Sa. 11-17 Uhr; Di., 18. Okt., 19 Uhr: Vortrag von Thomas Metzinger, Neurophilosoph: "Der transparente Avatar in Ihrem Kopf"; www.eres-stiftung.de

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Quelle:
SZ vom 18.10.2016
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