Süddeutsche Zeitung

"Erdmännchen und Mondrakete" im Kino:Kind gegen Ungeheuer

Ein Mädchen lernt im fantasievollen Kinderfilm "Erdmännchen und Mondrakete", Mut fürs Leben zu haben.

Von Sarah Zapf

Der Film beginnt mit einer alten Gruselgeschichte, die in der Dämmerung als Freilicht-Theaterstück für Kinder aufgeführt wird: Ein Mädchen lebt mit seinem Vater in der Nähe eines dunklen, geheimnisumwitterten Waldes, durch den ein furchterregendes Untier schleichen soll. Damit das Mädchen nicht gefressen wird, opfert sich ihr Vater dem Monster. Die Hauptdarstellerin des Films, das sonderbare und in sich gekehrte Mädchen Gideonette De La Rey, schaut sich das Stück zusammen mit ihrem Vater an. Es macht ihr Angst.

Die vielfach ausgezeichnete südafrikanische Drehbuchautorin, Regisseurin und Fotografin Hanneke Schutte hat mit ihrem zweiten Feature-Film "Erdmännchen und Mondrakete", im Afrikaans-Original "Meerkat Maantuig", einen zauberhaften und tiefsinnigen Film nicht nur für Kinder geschaffen.

Die Angst vor dem zottigen Untier aus dem Theaterstück verfolgt Gideonette durch den gesamten Film. Er hat Elemente von Fantasy, aber seine Handlung spielt im Hier und Jetzt. Gideonette sieht sich einem alten Fluch ausgesetzt, der auf ihrem Familiennamen liegen soll. Früher oder später werde er auch sie treffen, so sagen ihre Eltern und die Bewohner des Orts. Das Wissen um den Fluch lähmt sie, sie besucht Familiengräber und sammelt dort Blumen, die sie fein säuberlich in ein Buch klebt. Ihr Vater ermahnt sie, dem Friedhof fernzubleiben, der Fluch sei ein "langer böser Arm, der aus der Vergangenheit ragt".

Kurz darauf stirbt der Vater auf mysteriöse Weise. Gideonette glaubt, die Nächste zu sein, die dem Fluch zum Opfer fallen wird. Ihre erschöpfte Mutter schickt sie nach dem Tod des Vaters zu den etwas kauzigen, aber liebevollen Großeltern aufs Land, wo das Mädchen, Netti genannt, in einen ihr fremden Alltag eintaucht.

Mut siegt über Angst, das Gute über das Böse, Gegenwart über Vergangenheit

Dort freundet sich Netti mit dem lebenslustigen, gehörlosen Nachbarsjungen Bhubesi an. Der baut mit Nettis Großvater an einem Raumschiff namens Erdmännchen. Für den baldigen Flug zum Mond müssen Netti und er allerdings noch viel "trainieren": Sie pflanzen Setzlinge im Gewächshaus ein, treiben mit einem kleinen Ruderboot über den See und malen verträumte astronautische Szenen ihres bevorstehenden Abenteuers. Nettis Lebensfreude beginnt sich wieder zu regen.

Doch dann entdeckt sie in einem alten Tagebuch ihres Vaters Zeichnungen des Untiers aus der Gruselgeschichte vom Anfang - und die Dunkelheit ergreift wieder Besitz von ihr. Gefangen in ihrer Angst, zieht sich Netti zurück, Halluzinationen vom Ungeheuer ausgeliefert. Aber als sie erfährt, dass ihr Vater in Wahrheit ganz anders umgekommen ist als durch einen Monsterangriff, läuft Netti mit einem Koffer durch die Nacht davon.

Die Schlüsselszene zeigt sie dann an einen Baumstamm gelehnt, ihre Angst schwindet, sie konfrontiert das Untier und es verschwindet. Netti erwacht im Morgenlicht, das den Wald durchflutet und in ein sanftes Grün taucht. "Wir alle haben ein zottiges Untier in uns, das uns davon abhält, riskante Dinge zu tun", sagt ihr Großvater und spricht damit die übergreifende Weisheit des Films aus: Mut siegt über Angst, das Gute über das Böse, Gegenwart über Vergangenheit.

Die Klarheit und Emotionalität der Handlung verleihen dem Film einen universellen Charakter. Er bedient sich zwar einiger schematischer Momente, macht seine Fantasiewelt aber damit leicht zugänglich. Gleichzeitig werden schwere Themen wie Depression, Suizid und Angststörungen in der Handlung berührt - für jedes Kind ist er damit vielleicht nicht gleichermaßen geeignet. Die besondere audiovisuelle Gestaltung mit der gemächlichen Kameraführung und der feinfühligen instrumental-musikalischen Untermalung nimmt den Zuschauer jedoch direkt in die wundersame Welt hinein. Ein kleines Meisterwerk, in dem aus anfänglicher Melancholie und Angst ungetrübte Zuversicht und grenzenloser Mut erwächst.

Meerkat Maantuig, Südafrika 2017 - Regie: Hanneke Schutte. Drehbuch: H. Schutte, Riana Scheepers. Kamera: Willie Nel. Mit: Anchen du Plessis, Rika Sennett, Thembaletu Ntuli. Barnsteiner, 96 Minuten.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels haben wir "taubstumm" statt "gehörlos" verwendet, was nicht korrekt ist.

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