Die Kiste kommt mit dem Lastwagen. Dem jung verheirateten Paar wird sie vor die Füße geknallt mit dem Satz: "Hier ist ihr Haus." Der Rest ist Slapstick. Der Stummfilm (1920) mit Buster Keaton in der Hauptrolle eines Handwerkers, der nicht zum Handwerker taugt, erzählt vom Scheitern am Do-it-yourself-Prinzip. Erst regnet es durch das Dach, dann hält das Haus dem Wind nicht stand und wird zum Karussell - schließlich flüchtet das Paar. Einen Bretterhaufen zurücklassend, der aussieht, als sei er in den Häcksler geraten. Samt Kapitulationserklärung: "zu verkaufen".
Möchte man Enzo Maris Denken und Wirken in ein Bild verwandeln, dann in dieses: Diese Kapitulation hat der italienische Designer, Objektkünstler, Dozent, Theoretiker und Beinahe-Kommunist, der an diesem Montag im Alter von 88 Jahren gestorben ist, im Gegensatz zu vielen seiner Weggefährten nie akzeptiert. Vor allem aber hat er sich nie verkauft.
Was nicht wenigstens einhundert Jahre hält, taugt nichts
Sein legendäres Projekt "Autoprogettazione" (frei übersetzt: selber machen) aus dem Jahr 1974 ist daher auch eine direkte Antwort auf Buster Keaton und das ewige Scheitern an der Dingwelt. Mari wollte dieses Scheitern in einen Akt der Selbstermächtigung umdeuten. Aber eben darum kam er bald zu dem Ergebnis: "Ich arbeite für die Fabrik, nicht für die Boutique." Für die Fabrik, vor allem aber auch für die Menschen. Sein Projekt: Gegen die Portoerstattung konnte man von ihm eine Anleitung zum Eigenbau einfacher Möbel erhalten.
Das sind Möbel, die nur mit Hilfe von Hammer und Nägeln aus rohen Holzbrettern zu fertigen sind. Auf diese Weise wollte der Gestalter das Bewusstsein für die Dinge schärfen. Einmal sagte er sinngemäß: Was nicht wenigstens einhundert Jahre hält, taugt nichts. Und was man im Zweifel nicht selbst machen kann, ist nichts. Dieses Denken, dingfreundlich, menschenfreundlich, surreal, passt nicht in eine Zeit, da immer schneller immer mehr Güter hergestellt werden, die immer modischer geraten, um immer schneller aus der Mode zu geraten - um immer schneller ersetzt zu werden. Das ist wie das Karussell bei Buster Keaton: eine Falle.
Als man den Begriff der Nachhaltigkeit noch der Forstwissenschaft zurechnete, dozierte Enzo Mari schon darüber. Er war ein scharfer Kritiker eines Designs, das sich zum Affen macht. Deswegen sagte er: "Das Design ist tot." Gutes Design war für ihn in etwa dies: nachhaltig, langlebig, unprätentiös, brauchbar, erschwinglich. Und ja, nicht zuletzt auch schön. Denn am Ende, aber das ist jetzt ein Satz von Hans Kollhoff, sind die Dinge, die wir lieben, auch die Dinge, die wir bewahren.
Sein Furor richtete sich gegen eine Welt des Scheins, die doch dem Sein verpflichtet wäre
Der 1932 im Piemont geborene Mari studierte in den Fünfzigerjahren Literatur und Kunst in Mailand, bevor er sich dem Industriedesign zuwandte. In Mailand, immer noch außer Corona-Hotspot auch Welthotspot der Gestaltung, gründete Mari, inspiriert von der Arts-and-Crafts-Bewegung, sein Studio. Neben Sottsass, Mendini, Castiglioni und De Lucchi gehört Enzo Mari zu den einflussreichsten italienischen Designern.
Der Furor des großen Grantlers richtete sich gegen eine Welt des Scheins, die doch dem Sein verpflichtet wäre; und gegen eine Sehnsucht nach Schönheit, die sich darin erschöpft, das Schöne mit dem Neuen zu verwechseln. Was ihn nicht daran hinderte, besonders schöne Dinge zu erfinden. Wozu man den stapelbaren Segeltuchstuhl "Delfina" rechnen kann. Und den schräg gestellten Papierkorb "In Attesa". Das lässt sich mit "in Erwartung" übersetzen. Es gibt keinen Papierkorb, in dem man Unnützes mit der Lässigkeit von Michael Jordan lieber versenken würde. Der Nachlass von Enzo Mari gehört nicht dazu. 2016 hat er angekündigt, der Stadt Mailand sein Werk zu vermachen - unter der Bedingung, dass es 40 Jahre lang nicht gezeigt wird. Die Designwelt sei dafür noch nicht reif genug. Wir sind in Erwartung. Von Enzo Mari bleibt nicht allein sein Werk, sondern auch seine Idee von einem besseren Leben.