Residenztheater "Der Entrepreneur"Der Wald vor lauter Bäumen

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Spielt im Wald: Kevin Rittbergers Stück "Der Entrepreneur" am Residenztheater München.
Spielt im Wald: Kevin Rittbergers Stück "Der Entrepreneur" am Residenztheater München. (Foto: Sandra Then/Residenztheater)

Regisseurin Nora Schlocker bemüht sich am Münchner Residenztheater, aus Kevin Rittbergers "Der Entrepreneur" das Beste rauszuholen. Viel ist es nicht.

Von Egbert Tholl

Im Programmheft erzählt Nora Schlocker, Hausregisseurin am Münchner Residenztheater, wie sie im Lockdown mit Kevin Rittberger spazieren ging. Sie sprachen über das Stück, zu welchem er einen Auftrag hatte, sprachen über Utopien und die Zukunft. Und dann, so stellt man sich das zumindest vor, ging Rittberger zurück in seine heimische Klause, wie alle damals, und schrieb fern ab von Menschen einen Text, der kaum endet, aber nie zu jenem Stoff wird, aus dem Theater ist. "Der Entrepreneur" ist ein Musterbeispiel für eine ehrenwerte Schreibunternehmung, bei der einer viel will, aber wenig erreicht.

Die titelgebende Figur, soweit man von Figur sprechen kann, hat ein lustiges Leben mit Drogen und Exzess hinter sich, der Schauspieler Robert Dölle erzählt am Anfang davon, hibbelig und drangvoll, dann beschließt er, die Schnauze voll zu haben. Er übergibt die Firma, von der man in zwei Stunden nur so viel erfährt, das die irgendwas mit selbstfahrenden Bussen zu tun hat, der Belegschaft, die fortan als Syndikat fungiert. Ein alter Freund rätselt, was das soll, die Tochter auch: "Ich sehe keine äußere Kausalität."

So reden die hier. Die Gattin fürchtet zudem um den Familienbesitz, alles Fährten, die wie im Nebelschneesturm bald zugeweht werden von einem durchweg indirekten Salbadern. Rittberger hat große Scheu, hier Menschen zu erzählen, stattdessen entdeckt er seifige Argumentationskonstrukte. Etwa so: Einige Angestellte wollen den Chef zurück, wollen einen, der sagt, was sie tun sollen, nicht im Kollektiv Arbeitszeit und Fahrten zur Kita bestimmen.

Bedeutung und Gefühle muss man hier erst im Wortnebel suchen

Rittberger macht sich naheliegenderweise gar nicht erst die Mühe, in seinem Text die Figuren herauszuarbeiten, dennoch kann man einzelne Sätze einzelnen Sprechakten zuordnen. Das geht Nora Schlocker dann offensiv an, jeder und jede kann hier jeder und jede sein, sieben Menschen stehen ihr dafür zu Verfügung, die sich aneignen, was es hier anzueignen gibt: Wer den gelben Overall anzieht, spielt die Gattin, wer den weißen, ist der Entrepreneur. Und so weiter. Dazu wird im Marstall viel gebaut, Holzsäulen als Baumstämme neu sortiert, das Publikum ein bisschen herumgescheucht. Schon draußen, vor dem Theater, liegen zehn Stämme, raunen stumm als Installation vom Öko-Aspekt des Abends, in den Marstall selbst gelangt man durch eine Hintertür und das Kulissenlager.

Es geht viel um Wald, dem geht es schlecht. Deshalb sollte ein Pilz wachsen, um zum Bühnenbild zu werden, man kann im Foyer lernen, wie es von der Petrischale zum Bühnenbild kommen kann. Nur war der Pilz offenbar nicht sehr arbeitswillig. Eine Säule schaffte er, der große Rest ist Sperrholz oder was Ähnliches, was die Produktion deutlich weniger ökologisch wertvoll macht. Da ging es Thomas Köck im September in Weimar besser: Damals inszenierte er sein eigenes Stück "Solastalgia" mit einem deutlich fleißigeren Pilz, die gesamte Verkleidung der Bühne stammte von Ganoderma lucidum, um Wald ging es damals auch, aber sehr konkret und voller Wut.

Wut gibt es bei Rittberger bestenfalls subkutan, man muss sie wie alles andere im Wortnebel suchen. Den sieben Darstellenden verhagelt dies allerdings kaum die Laune, sie nehmen sich der störrischen Worte an, was mal gut klappt, bei Delschad Numan Khorschid etwa, bei Lisa Stiegler oder Nicola Kirsch, mal nicht so gut, und aufgesagt bleibt. Bis es ein einziges Mal konkret wird, da ist man fast verdattert. Die Gattin des waldverliebten Ex-Unternehmers, selbst Anwältin, erklärt dem Syndikat, was Sache ist: "Es kommt einzig darauf an, wer sich vor Gericht behaupten kann und welche Gerichtsbarkeit den Frieden mit der Natur überhaupt wiederherstellen kann." Ein Unternehmen hat vermutlich bessere Anwälte als der Wald. Und auch als das Öko-Fühli-Syndikat. Dessen Jahresversammlung 20 Jahre später, via Video-Konferenz inklusive teilnehmender KI, gibt jedenfalls keinerlei Anlass, auch nur die geringste Hoffnung zu entwickeln.

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