"Entertainer" im Theater in Hamburg:Aufgeblähtes Ego in schlecht sitzendem Anzug

Seine Verlierer-Figuren machten den Dramatiker John Osborne zum Millionär. Jetzt wird sein "Entertainer" in Hamburg aufgeführt. Der liebt nichts mehr als Gin - und hasst sein Publikum inbrünstig.

Von Peter Laudenbach

Wer seit vielen Jahren daran gewöhnt ist, seine Sorgen in einem Meer von Gin zu ertränken, trinkt natürlich auch gerne auf den Tod eines Clowns. Vor allem, wenn er selbst einer ist. Michael Wittenborn singt sich am Ende eines tristen Abends am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit dem Kinks-Klassiker aus einem sinnlosen Entertainer-Leben. Er sieht aus, als hätte er gute Gründe, ein sauberes Delirium tremens den Zumutungen seines Lebens auf schäbigen Bühnen vorzuziehen: Ein müde gespielter Showprofi mit blondierter, langsam dünner werdender Frisur, Zombielächeln und Solariumsbräune im schlecht sitzenden weißen Anzug.

Aus der Zeit gefallener Alleinunterhalter

Der Anzug wie der Dauergrinser, der ihn trägt, sehen aus, als wären sie von der Uraufführung des Stücks vor 58 Jahren übrig geblieben. Wittenborn ist als Archie Rice in Christoph Marthalers Inszenierung von John Osbornes "Entertainer" ein aus der Zeit gefallener Alleinunterhalter. Außer seinen schlechten Witzen, dem aufgeblähten Ego und einer gut trainierten Leber ist dem Modernisierungsverlierer wenig geblieben. Im Zeitalter des Fernsehens (bei der Uraufführung 1957) oder des Internets (heute) hält sich der Bedarf nach Vaudeville-Veteranen offenbar in engen Grenzen.

Mit seinem Vater Billy (der große Jean-Pierre Cornu), auch er ein abgehalfterter Spaß-Dienstleister, und seiner Gattin Phoebe (Irm Hermann) teilt Archie Rice neben dem Gin-Durst und dem Hass aufs undankbare Publikum einen lustlosen Rassismus. An irgendwas müssen sich die Vertreter der abrutschenden Mittelschicht ja festhalten. Die Illusion eigener Wohlanständigkeit aufrechtzuerhalten, ist ohne Zweifel mühsame Arbeit. Wie Cornu das Endstadium eines freudlosen Amüsiergewerbefossils mit stoisch verkniffenen Mundwinkeln spielt, wie Irm Hermann die bösartige Frust-Kleinbürgerin seziert, wie Bettina Stucky, Josef Ostendorf und Bastian Reiber die zu Gewalt neigende Showtruppe geben - das ist natürlich schon hinreißend.

Das leerlaufende Leben nur vernebelt ertragen

Ein schönes Paradox: Tolle Schauspieler spielen miese Schmieranten und geben die ressentimentvergifteten Spießer. Ihr Gut- und Wutbürger-Hass auf alles Fremde ist die Fortsetzung des Fusels, mit dem sich die Loser bedröhnen: Die Patrioten eines abgehalfterten Abendlandes können ihr leerlaufendes Leben nur vernebelt ertragen. Die Verachtung der "Neger" und Pleitegriechen, der Banker und Politiker und sonstiger Funktionseliten ist die letzte Bastion der Rice-Sippe.

John Osbornes "Entertainer" war 1957 ein Schock. Kurz nach der Premiere von Becketts "Endspiel" markiert die Uraufführung wie Osbornes ein Jahr zuvor aufgeführter "Blick zurück im Zorn" eine Abrechnung mit dem Mittelschicht-England der Nachkriegszeit. In seiner Durchschlagskraft ist das in etwa mit dem aggressiven Nihilismus vergleichbar, den die Sex Pistols ein paar Jahrzehnte später hinrotzten: "There is no future in Englands dreaming" - Englands Träume haben keine Zukunft. Und wie die Sex Pistols wurde auch Osborne mit der Fuck-You-Haltung des wütenden jungen Mannes zum Millionär. Sein "Entertainer" war ein Erfolgsstück, das eben von jenem Unterhaltungspublikum goutiert wurde, das Archie Rice abhandengekommen ist. So ist der Modernisierungsverlierer am Ende doch noch zu etwas gut.

Zombies einer Unterhaltungsindustrie

Diesem Paradox entkommt auch Marthalers routiniert vor sich hinwitzelnde Inszenierung nicht. Osbornes Lemuren der Showtreppe sind Zombies einer anachronistischen, nicht mehr wettbewerbsfähigen Unterhaltungsindustrie, die mühsam versuchen, Adornos Diktum, "Fun" sei ein "Stahlbad", als Lebenshilfetipp misszuverstehen. Das macht sie zwar nicht liebenswerter, aber zumindest theatralisch ergiebig. Deshalb wohnen sie in Marthalers Inszenierung auch auf der Hinterbühne eines maroden Theaters mit durchgebrochenem Dach.

Falls das als Hinweis zur Lage des Theaters im Krisen-Europa gemeint sein sollte, müsste man der Aufführung einen Hang zur Larmoyanz attestieren: Unter den Kronleuchtern des ehrwürdigen, subventionsmillionengepolsterten Deutschen Schauspielhauses, dem größten Staatstheater der Republik mit seinem gediegenen Publikum, ist der Anblick des liebevoll ausgestellten Absturzelends nicht mehr als ein aparter Reiz.

Stumpfe Frohsinns-Tristesse

Marthalers Inszenierung bedient diesen Reiz mit durchschlagender Harmlosigkeit. Sie hat mit all ihren Gesangseinlagen vom Chanson bis zum Choral, mit ihren müden Kalauern und szenischen Scherzartikeln aus der Abteilung für Gebrauchs-Dadaismus die gemütliche Heiterkeit des Publikums redlich verdient. Natürlich soll das subversiv sein, diese leerlaufende, stumpfe Frohsinns-Tristesse aus Archie Rice' Unterhaltungsprogramm mit ihrer Fips-Asmussen-Debilität und der Schlager-Parade des Grauens. Und natürlich sollen die endlos zerdehnten Witze, diese Entertainer-Abgewracktheit ins Kaputte rutschen, um die Gesellschaft des Spektakels mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen.

Aber dann setzen der Menschenfreund Marthaler und die publikumserfolgsorientierte Dramaturgie doch lieber auf gute Abendunterhaltung mit einer prächtig aufspielenden Show-Band und Marthalers bewährten Melancholie-Slapstick-Virtuosen. Die eingebauten Verweise auf neuere Krisen, von neokolonialen Kriegen bis zur Besitzstandswahrungs-Verhärtung der Mittelschicht, bedienen kabarettistische Klischees, und sie verderben dem Publikum nicht den Abend mit überraschenden Gedanken.

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