Klassik-CD:Beethoven trifft Dolly Parton

ensemble reflektor

Das 2015 gegründete Ensemble "Reflektor" mischt unbekümmert Beethoven mit Nena und Dolly Parton.

(Foto: ensemble reflektor)

Das Ensemble "Reflektor" kombiniert auf seiner CD "Liebeslied" Pop mit Klassik, Beethovens Achte mit Nena und Brahms mit Charles Fox.

Von Wolfgang Schreiber

Die klassische Musik wird von vielen als elitär empfunden, sie müsse populär werden, heißt es. Am besten durch die Befreiung von E und U, von ernst und unterhaltend. Der alte Schutzwall gilt längst nicht mehr, Beethoven goes Pop. Aber die Neuvermessung Beethovens im 21. Jahrhundert kann Frechheiten zur Folge haben: Auf einer einzigen CD darf Beethoven sich mit Dolly Parton, dem Star der amerikanischen Countrymusik, zusammentun, ebenso Brahms mit dem Songwriter Charles Fox und der Popsängerin Nena. Kann das gutgehen - künstlerisch, dramaturgisch, ästhetisch, musikalisch?

"Ja!", antwortet das Ensemble Reflektor, eine 2015 in Hamburg gegründete Truppe junger Profimusiker, und macht die Beethoven- und Brahms-Gemeinde mit berühmten Popsongs vertraut, rein instrumental arrangiert, nicht gesungen. "Liebeslied" nennen sie ihren Parcours, kurze klassische und etwas längere Popnummern streben zielgerichtet auf Beethovens Achte Symphonie zu. Der komponierte sie zu der Zeit, als er seinen Brief an die bis heute nicht identifizierte "Unsterbliche Geliebte" verfasste. Den Brief schickte er allerdings nicht ab. "Weil wir in keiner anderen seiner Symphonien", sagen die Musiker, "von so viel Glück und Überschwang mitgerissen werden, vermuten wir, dass er in die Achte so einiges von dem gelegt hat, was er in seinen Briefen nicht ausdrücken konnte."

Schwer zu sagen, was auf diesem Album mehr überzeugt - die Prägnanz des Musizierens oder die beherzte Dramaturgie des Programms, die Mixtur von Brahms-Petitessen wie den "Liebeslieder-Walzern" für vier Singstimmen und Klavier mit den instrumental veredelten Popsongs und der Beethoven-Symphonie.

Cover

Das Ganze ist nichts für Freunde behaglich symphonischen Einverständnisses

So ungleichartige Elemente reiben sich schwelgend aneinander, da die emotionale Balance des Ganzen, in Brahms-Liedern wie "Rede Mädchen, allzu liebes" oder "Nagen am Herzen fühl ich", sowohl schwärmerischen Einklang als auch Herzschmerz verbreitet. Dolly Partons Liebesabschieds- und Sehnsuchtsnummer "I Will Always Love You" passt haargenau dazu, in der Version von 1992 mit Whitney Houston. Die Musiker scheinen Partons neulich geäußerten Wunsch zu ihrem 75. Geburtstag verinnerlicht zu haben, den "Aufruf zur Herzlichkeit" der Amerikanerin, ihrer reizbaren Melancholie.

Nenas Titel "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" von 1984, den Popgrößen nachsangen, gerät zum bläsergeschwellten Manifest der damals "Neuen Deutschen Welle". Den Song "Killing Me Softly" von Charles Fox und Norman Gimbel, 1973 von Roberta Flack gesungen, transportieren die Reflektor-Musiker in melodische Retro-Inbrunst.

Bandleader Thomas Klug war früher Konzertmeister der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, bevor er sich mit neueren Ideen, so wie dieser hier, selbständig machte. Doch so weit wie das ebenfalls 2015 gegründete "Stegreiforchester", der Klassikmusik zugetan "zwischen Rekomposition und Improvisation", ohne Noten, ohne Stühle, ohne Dirigent, gehen Klug und Reflektor nicht. Beethovens Achte nehmen sie bissig antiromantisch durchexerziert, rasant auf konfliktbereite Bläser- und Paukenvehemenz setzend statt auf schönen Streichersound. Das Ganze ein Angebot an den Hörer von Klassik, Pop et cetera, nichts für Freunde behaglich symphonischen Einverständnisses.

Unverbesserliche Klassiktraditionalisten, die der als "niedrig" eingestuften Popmusik generell Geistesträgheit vorwerfen, können sich von Theodor W. Adorno eines Besseren belehren lassen. In seiner "Einleitung in die Musiksoziologie" hatte Adorno schon 1962 eine Art Rechtfertigung des Verzichts auf die E- und U-Musik-Grenzen geliefert: "Musik ist insofern untilgbar geistig", war er sich sicher, "als auch auf ihrer niedrigsten Stufe das sinnliche Element nicht derart buchstäblich sich genießen lässt wie eine Kalbshaxe." Aber hätte er die Beethoven-Pop-Party deshalb gefeiert?

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