Englische Literatur:Pot und Plot

Es spukt sehr trickreich in David Mitchells neuem Roman "Slade House", aber seine Sprache bleibt trotz Drogenbüffets und Horrortrips auf dem Teppich der Konvention.

Von Jutta Person

Gäbe es das perfekte Kunst-Crossover zum Buch, dann müsste zu David Mitchells neuem Roman "Slade House" Jenny Holzers Schriftzug "Protect me from what I want" mitinstalliert werden, am besten mit eingebautem Wackelkontakt und dem morbiden Gezischel unregelmäßiger Stromzufuhr. Obwohl das ein bisschen überorchestriert wäre für einen verspielten Gruselknaller, der möglicherweise gar keine höheren Handlungsanweisungen verabreichen will. Sicher ist nur, dass es fast schon aufdringlich spukt im "Slade House" - und dass die sorgsam ausgewählten Spuk-Opfer wie die Fliegen an ihren eigenen Sehnsüchten kleben bleiben, ob sie sich nun Liebe wünschen, Sex, Geld, Erfolg oder Aufklärung.

Wir befinden uns im Jahr 1979, die Bishops, Mutter und Sohn, sind auf dem Weg zu einem Musiknachmittag bei Lady Norah Grayer. Als sie die versteckte Slade Alley gefunden, das kleine, knauflose, quietschend aufschwingende Eisentor durchschritten haben, liegt ein atemberaubender Sommergarten vor ihnen, noch übertrumpft von einem Herrenhaus, das rein ausdehnungstechnisch nicht in die schmale Slade Alley passt. Etwas später spielt Nathan mit Jonah, dem Sohn von Lady Grayer: genau der Freund, den er als empfindsamer Einzelgänger so gut gebrauchen könnte.

Nathan ist in den Fängen der teuflischen Seelenvampire Norah und Jonah gelandet

Noch etwas später verzerrt und verfärbt sich der Garten, sodass Nathan entsetzt nach drinnen stürzt, vorbei an allen Insignien eines Spukhauses, knarzende Treppe, Standuhr, Ahnengalerie - gekrönt von einem Porträt seiner selbst, mit leeren, schwarzen Augenlöchern. Liegt es am Valium, das er seiner Mutter klaut? Oder hätte er doch besser auf diese Frau achten sollen, die am Fenster steht - "ihr Mund geht langsam auf und zu wie bei einem Goldfisch" - und so etwas wie "Tod, Tod, Tod" zu sagen scheint?

Zu spät, Nathan ist in den Fängen der Seelenvampire Norah und Jonah gelandet, eines teuflischen Zwillingspaars, das alle neun Jahre frische Nahrung braucht. Schon während dieser ersten Episode wird klar, wie das Slade House gebaut ist, und doch liest man eine ganze Weile gebannt weiter, denn jede "Beschwörung", die Norah und Jonah für ihre Gäste entwerfen, wird von der nächsten überboten. In diese fatale Wunschbefriedigungsmaschine geraten auch die Studenten vom "Club der paranormalen Phänomene", die das Slade House zwar als magnetisches Ereignisfeld identifiziert haben, aber trotzdem raffiniert getäuscht werden: Sie glauben, dass sie eine Halloweenparty entdeckt hätten, mit Bill-Clinton-Kostümen, Musik von den Eels bis Björk (wir befinden uns mittlerweile in den Neunzigern) und einem Drogenbüffet, das die diversen Wahrnehmungsverzerrungen erklären könnte. Popcorn, Knoblauchbrot, Brownies mit und ohne Gras.

Edinburgh International Book Festival 2017

Dem Dekan der Kathedrale von Ely gönnt David Mitchell in seinem Roman eine Nebenrolle. Hier steht der Autor selbst während eines Literaturfestivals in der St Mary’s Cathedral in Edinburgh.

(Foto: Getty Images)

In gewisser Weise funktioniert der ganze Roman wie eine Partypyramide aus psychoaktiven Marshmallows, die keinen Belohnungsaufschub dulden, obwohl das Konstruktionsprinzip offen zutage liegt. Eine Geschichte nach der nächsten muss lesend weggesaugt werden, und irgendwann ist einem dann ein wenig schlecht. Ganz ähnlich verfahren übrigens auch die Zwillinge, die eine Seele nach der nächsten, nun ja, einsaugen. Mehr kann zu diesen plotrelevanten Inhalationen nicht verraten werden.

Von Gast zu Gast mehren sich die literarischen und popkulturellen Zaunpfähle, mit denen entwaffnend dreist herumgewedelt wird, von der Gothic Novel über "Alice im Wunderland" bis zur "Truman Show", dem Realitätsblasenklassiker schlechthin. Der 1969 in Southport, Lancaster, geborene Brite David Mitchell, spätestens seit seinem von Tom Tykwer verfilmten Bestseller "Der Wolkenatlas" einer der Stars des internationalen Literaturbetriebs, hat den Werbe-Blurb zu seinem Roman gleich in den Roman selbst hineingeschrieben: Sie fühle sich wie bei einem "Brettspiel, das ein besoffener M. C. Escher mit einem Stephen King im Delirium ersonnen hat", denkt eine der Nerd-Studentinnen, bevor sie in die Falle tappt.

Dazu kommt, dass es sich bei dieser Escher-King-Kombination um einen Ableger des achthundertseitigen Fantasy-Thrillers "Die Knochenuhren" handelt, auf den "Slade House" mit etlichen Selbstzitaten anspielt. Auch in diesem 2016 auf Deutsch erschienenen Mitchell-Roman wimmelt es von Seelenfressern und Horologen, die sich bombastische Endzeitschlachten liefern. Die vor Irrwitz funkelnde Lebensgeschichte von Norah und Jonah mutet dagegen fast schon filigran an: 1899 in Norfolk geboren, ziehen die telepathisch begabten Geschwister noch im Kindesalter ins Atlasgebirge zum "Albino-Sayyid von Ait Arif" und treten dort dem Zirkel des "Schattigen Weges" bei. Okkultismus, Schamanismus, "Psychosoterik", Unsterblichkeit, das volle Programm.

Das Dauerfeuerwerk der Figuren und Handlungen ist Mitchells Markenzeichen

Seine barock ausufernden Romane - zum "Wolkenatlas" und den "Knochenuhren" kommen noch "Number 9 Dream" und "Die tausend Herbste des Jacob de Zoet" - haben Mitchell den Ruf eines Erzählers eingebracht, der routiniert mit Parallelwelten, Cyborgs und Wahnvorstellungen jongliert. Stilistisch bleibt er dabei allerdings immer sehr auf dem Teppich. Seine Sprache macht, anders als etwa bei seinem britisch-psychedelischen Kollegen Will Self, keine paranoischen oder poetischen Morphingprozesse durch. Die kritischeren unter den meist begeisterten Kritikern haben deshalb von Neo-Traditionalismus oder Retro-Realismus gesprochen. Es stimmt, das Markenzeichen der Mitchell-Romane besteht nicht in der Dekonstruktion sprachlicher Konventionen, sondern im Dauerfeuerwerk der Figuren, Handlungen und ihrer Verflechtungen.

Blick ins Buch

In "Slade House" bekommt das immerhin einen selbstironischen und dadurch ziemlich komischen Dreh: "Für mich klingt das alles ein bisschen zu sehr nach Da Vinci Code", sagt etwa die diensthabende Journalistin, die alles aufklären will und okkultistischen Verschwörungstheoriequatsch ablehnt. Aber auch sie hat natürlich geheime Wünsche. Wir vermuten: okkultistische Verschwörungstheorien. Und schon liegt der nächste Marshmallow bereit, den höfliche Leser einfach nicht ablehnen können.

David Mitchell: Slade House. Roman. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 240 S., 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

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