Süddeutsche Zeitung

Englische Literatur:Gelindes Höllenfeuer

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Als er 1895 erschien, wurde Thomas Hardys Roman "Jude Fawley" zum Skandal. Jetzt gibt es eine deutsche Neuübersetzung.

Von Burkhard Müller

Als der Roman 1895 herauskam, gab es einen Skandal. So freimütig durfte man nicht über Kirche, Ehe und Erotik sprechen! Der Bischof von Wakefield machte seiner Empörung Luft, indem er das Buch in die Flammen warf. Der Autor nahm es sich so zu Herzen, dass er nie wieder einen Roman verfasste. Liest man heute "Jude the Obscure", das berühmteste Werk von Thomas Hardy, so fällt es schwer, das Anstößige daran nachzuvollziehen. Von Freizügigkeit kann nicht die Rede sein, Sexualität wird angedeutet und umschrieben, aber nirgends explizit dargestellt.

Ein düsteres Buch ist es aber ganz gewiss, und wohl auch in hohem Maß ein autobiografisches. Jude Fawley wächst als Waisenkind bei seiner lieblosen Tante Drusilla im ländlichen Wessex auf, einer Gegend mit erfundenem Namen, aber leicht rekonstruierbaren Schauplätzen im südwestlichen England. Er muss sich seinen Lebensunterhalt als Taglöhner, später als Steinmetz verdienen, lernt aber heimlich Latein und Griechisch und hält zäh an seinem Wunsch fest, es durch Bildung zu etwas Höherem zu bringen - ein Wunsch, der durch seine Armut, die Feindseligkeit der höheren Klassen und nicht zuletzt durch sein eigenes leidenschaftliches Temperament vereitelt wird.

Die Handlung kreist um sein wechselndes Verhältnis zu zwei Frauen, zu der vitalen, aber vulgären Arabella, die er überstürzt heiratet, bloß um sich alsbald von ihr im Streit zu trennen, und zu seiner Cousine Sue Bridehead, einem sittsamen, sensiblen und gebildeten Mädchen, seiner wahren großen Liebe, an die er jedoch aus inneren wie äußeren Gründen schwer herankommt. Sie heiratet, obwohl sie Jude liebt (oder auch nicht, das ist kompliziert), aus falschem Pflichtgefühl den schon etwas älteren Lehrer Richard Phillotson.

Die Konflikte zwischen persönlichem Glücksanspruch und moralischer Konvention lassen die Beteiligten, ausgenommen die pragmatische Arabella, allesamt todunglücklich werden. Die emotionalen Zustände sind schwankend und hochdiffizil, aber der Plot kommt kaum vom Fleck und nimmt erst gegen Ende dramatische Fahrt auf. Es hört sich so an: "Die Angst vor einer radikalen Veränderung der Gefühle des Schulmeisters, womöglich verknüpft mit einer gelinden Schamhaftigkeit darüber, sogar ihn wissen zu lassen, dass ihre auf den Rivalen übertragene Hingebung - aus männlicher Sicht - überaus mangelhaft war, hinderte sie (=Sue) daran, ihm von ihrer bislang unvollständigen Beziehung zu Jude zu berichten, und Phillotson lag da und wand sich wie ein Mann im Höllenfeuer, während er sich vorstellte, wie diese hübsch gekleidete, irremachende Mischung aus Mitgefühl und Abneigung, die seinen Namen trug, voll Ungeduld heimkehrte zu ihrem Liebhaber."

Dass man sich beim Lesen öfters im Satzbau verheddert, liegt gewiss auch an der Neuübersetzung von Alexander Pechmann. Besonders für die bäuerlichen und proletarischen Akteure hat Pechmann keine eigene Sprache gefunden, er lässt sie einen Verhau aus allen möglichen deutschen Mundarten reden. "Aber, ach nein ... armes, minderbemitteltes Kind ... in deim Zweig der Familie hat's schon immer an Mumm g'fehlt, und das wird alsamal so bleim!" Ist es denkbar, dass ein Mensch sich so ausdrückt? Jude und Sue verfügen natürlich über lupenreine Hochsprache. Ohne es zu wollen, verstärkt die Übersetzung den fragwürdigsten Aspekt des Romans. Die Arroganz der höheren gegen die niederen Schichten, unter der Jude leidet, reproduziert er selbst, vor allem im herablassenden Blick auf die Proletin Arabella, die lebendigste Figur im Buch.

"Jude the Obscure" war im 19. Jahrhundert beileibe nicht der einzige Anti-Bildungsroman über einen jungen Mann, der voller Hoffnungen in die Stadt kommt und dort traurig scheitert. An die Klassiker des Genres, an Kellers "Grünen Heinrich" oder Flauberts "Lehrjahre des Gefühls", reicht dieser Nachzügler indessen nicht heran.

Thomas Hardy: Jude Fawley, der Unbekannte. Roman. Aus dem Englischen von Alexander Pechmann. Carl Hanser Verlag, München 2018. 654 Seiten, 36 Euro.

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SZ vom 14.07.2018
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