Süddeutsche Zeitung

Endlich Zeit für...:Die USA und eine Frage der Moral

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Günter Ohnemus: "Unschuld kennt keine Verjährung"

Von Yvonne Poppek

Spätestens wenn Michael Moores neuer Film "Where to invade next" im Februar in die Kinos kommt, werden die brutalen Bilder wieder ein riesiges Publikum erreichen. Die Bilder von den Demütigungen in den US-Gefängnissen, von Polizeigewalt und Willkür. Das werden nur einige der Momente im Film sein, in denen man froh ist, dort genau nicht zu wohnen, in den USA. Michael Moore wäre sich nicht treu, würde er mit seinem Film nicht laut provozieren. Vielleicht ist es deshalb gut, wenn es auch leise und nachdenkliche Stimmen gibt, die anklagend, aber auch fragend mit dem Finger in die westliche Richtung zeigen.

Zu ihnen gehört der 1946 in Passau geborene und mittlerweile bei München lebende Autor Günter Ohnemus mit seinem neuen Roman "Unschuld kennt keine Verjährung" (Maroverlag). Ohnemus folgt in seinem Buch der Lebensgeschichte des in den USA inhaftierten Deutschen Jens Söring. Er sitzt seit April 1986 hinter Gittern, verurteilt wegen eines Doppelmordes an den Eltern seiner damaligen Freundin. Söring beteuert seine Unschuld. Neuere Zeugenaussagen und DNA-Analysen lassen zusätzlich Zweifel an seiner Schuld aufkommen. Dennoch bleibt er in Haft.

In "Unschuld kennt keine Verjährung" - in der Söring Kai Turner heißt - erzählt Ohnemus diese Geschichte nicht einfach nach. Vielmehr lässt er einen 16-jährigen Unternehmersohn aus München seine Sicht auf die Dinge berichten. Frederick schreibt eine Art Tagebuch, in dem er die Ungerechtigkeit des US-Systems jugendlich-feurig anprangert. Gleichzeitig vermischt sich Turners Geschichte mit Fredericks eigener: Auch er ist jung, hat eine Freundin, die er bedingungslos liebt. Und er hat einen Vater, der im Gefängnis war, verurteilt wegen Totschlags. Begleitet wird Frederick zudem von seinem Großvater, der mit ihm und seiner Freundin Lea Kai Turner zu unterstützen beginnt.

Allein diese Konstellation macht sichtbar, dass es Ohnemus nicht um einfache Antworten geht - auch wenn seine Kritik am amerikanischen System unverhohlen ist. Er diskutiert große Fragen nach gut und böse, Hoffnung, Würde, Moral, Verbrechen, Gnade, Rache, Schicksal, Zufall. Immer wieder findet er neue Positionen, empfindet die Komplexität des Lebens nach, die Jugendliche nur Schritt für Schritt begreifen. Dass die Stimmen der Erwachsenen im Roman oft allzu weise sind, ist nur ein kleines Manko in einem Buch, in dem es nicht ums Verurteilen geht, sondern ums wache Nachdenken, um Empathie und Tatkraft.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2016
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