Endlich wieder Oper II:Weißt Du, wie das wird?

Deutsche Oper Berlin

Im Berliner „Rheingold“ wird vorerst noch geprobt. Es ist unklar, ob für die Aufführung im Haus oder fürs nächste Corona-Aus.

(Foto: Bernd Uhlig)

Die Deutsche Oper Berlin führt Richard Wagners "Rheingold" in einer gekürzten Version auf dem Parkdeck ihres Hauses auf.

Von Julia Spinola

Zauber des Theaters. Man sitzt in halb leeren Stuhlreihen zwischen Wellblech und Betonmauern auf einem zugigen Parkdeck, blickt voller Zweifel auf ein mit Requisiten aus dem Fundus vollgestelltes Stahlgerüst und reckt die Ohren, um aus dem akustischen Grundrauschen von leisem Feierabendverkehr und lautem Vogelzwitschern das tiefe Kontrabass-Es des "Rheingold"-Beginns herauszufiltern. Wenn dann die Sänger zur improvisierten Bühne schreiten, spürt man, was man drei Monate lang schmerzlich vermisst hat: die Verheißungen jener der Imagination entsprungenen suggestiven Gegenrealität, die eine Opernaufführung für einige Stunden wirklich werden lassen kann.

Ein Kraftakt der Deutschen Oper Berlin hat die erste Opernvorstellung seit 94 Tagen möglich gemacht, eine Premiere sogar, echte Musiker und Sänger vor Publikum. Eigentlich hätte an diesem Abend, 34 Jahre nach der legendären, inzwischen abgesetzten Inszenierung von Götz Friedrich, der lang ersehnte Beginn eines neuen "Ring des Nibelungen" von Richard Wagner im 2000 Menschen fassenden Saal des Hauses über die Bühne gehen sollen. Der ursprünglich vorgesehene Regisseur Stefan Herheim sitzt nun unter den 175 Zuschauern auf dem Parkdeck und schaut sich an, was sein Ersatzmann Neil Barry Moss vom "Rheingold" vorerst übriggelassen hat. Gespielt wird eine um 45 Minuten gekürzte Kammerfassung, die der britische Komponist Jonathan Dove vor 20 Jahren für reisende Opernkompagnien geschrieben hat. 22 Instrumentalisten - Streichquintett, Bläser, Schlagzeug, Harfe und Orgel - erzeugen auf der Laderampe oberhalb der Bühne und unter der Leitung des Generalmusikdirektors Donald Runnicles einen elektronisch unmerklich angehobenen, blechlastigen Klang. Da die Genehmigung zu spielen erst zehn Tage zuvor erfolgte, blieb wenig Zeit zum Proben. Regisseur Neil Barry Moss spricht vorsichtshalber von einer semi-konzertanten Aufführung. Er hat versucht, aus der Not eine Tugend zu machen, indem er die Goldraubstory so einfach wie witzig als Probe inszeniert.

4,2 Millionen Euro Einnahmeverluste hat die Deutsche Oper durch Corona zu verzeichnen

Göttervater Wotan sitzt im Hausmantel auf seinem Regiestuhl. Die Rheintöchter in ihren Lurexminikleidern zögern anfangs noch, ihre Masken abzunehmen. Alberich sieht aus wie ein Hippie-Siegfried und zieht sogleich Wotans Zorn auf sich, weil er zu spät zur Probe kommt. Kurz darauf kommt es zum Eklat. Alberich reißt sich mit den Worten "Scheiß-Inszenierung" die Perücke von Kopf, schmeißt hin und verschwindet. Loge tritt als umtriebiger Bühnenarbeiter auf, der Coffee-to-go in Pappbechern spendiert und das Hämmern der Nibelungen aus dem Ghettoblaster zuspielt. Und die Riesen gefährden als kunstfeindliche Verwaltungsbeamte mit Finanztabellen und penibler Controller-Miene den Theaterbetrieb.

Das machtverleihende Gold aber, um dessen Besitz sich alle streiten, ist die Partitur, der Schlüssel zum Werk. Und das ist ein Witz, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Spätestens wenn die Götter am Ende durch die Stahltür der Werkstattbühne ins Opern-Walhall einziehen und statt des Regenbogens Werbebanner mit den Titeln der hauseigenen Produktionen aus den Fenstern des lahmgelegten Operngebäudes hängen, erscheint einem dieser Abend bei aller Aufbruchsstimmung auch als Menetekel. 4,2 Millionen Euro Einnahmeverluste hat die Deutsche Oper durch Corona zu verzeichnen, 90 Prozent der 550 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Was aus den Gastverträgen der kommenden Saison wird, steht in den Sternen. Am 12. August sollen die Proben zur "Walküre" in der Regie von Stefan Herheim beginnen, die Premiere ist für den 27. September geplant, und das Herheimsche "Rheingold" soll möglicherweise die Spielzeit beenden. Aber, so steht es bei Wagner: Weißt Du, wie das wird?

Der Abend zehrt nicht zuletzt auch von den großartigen Sängern, die beinahe alle aus dem Ensemble besetzt sind

Dass die spontane Behelfslösung überhaupt gelingen konnte, ist ein Coup. Das Parkdeck der Deutschen Oper hatte sich 2014 schon einmal als taugliche Spielstätte entpuppt, als hier Iannis Xenakis' "Oresteia" gespielt wurde. Der Abend zehrt nicht zuletzt auch von den großartigen Sängern, die beinahe alle aus dem Ensemble besetzt sind und auch die Herheim-Premiere hätten stemmen sollen. Derek Welton ist mit seinem vollen, warmen Bassbariton ein berufener Wotan, Anika Schlicht singt eine sinnlich-kraftvolle Fricka und die hochschwangere Judit Kutasi eine sich dunkel verströmende Erda. Auch das Trio der fabelhaften Rheintöchter (Elena Tsallagove, Irene Robert, Karis Tucker) entfaltet einen sirenenhaften Zauber. Thomas Blondelle ist ein schillernder Loge, der seinen schlanken Tenor mit beinahe mozartischer Leichtigkeit führt, Philipp Jekal ein kraftvoller Alberich. Die Partien von Froh und Mime sind der gekürzten Kammerfassung zum Opfer gefallen.

Und trotzdem ruft einem gerade diese engagierte Ersatzlösung all das, was durch Corona verloren ging, umso stärker in Erinnerung. Der gute Wille hat in der Kunst, wo es um alles oder nichts geht, etwas Erbärmliches, er offenbart die Tragödie. Die Vögel zwitschern es in die Löcher der Strichfassung hinein: Weißt du, wie das war?

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