Ende eines Pop-Phänomens:Avantgarde und Erfolg

Was die Rede vom Tod des Hip Hop über den Pop erzählt.

Jens-Christian Rabe

Abgesehen davon, dass zum Ende der Nullerjahre der gesamten Popmusik wieder einmal heftig die Todesglocken geläutet wurden, hat es zuletzt den Hip-Hop besonders hart erwischt. Einer der exponiertesten amerikanischen Popkritiker, Sasha Frere-Jones, eröffnete die Debatte mit einem Aufsatz im New Yorker.

Jay-Z

Auch der Hip-Hop-Superstar und als "Rappers' Rapper" hochangesehene Jay-Z blieb in diesem Jahr unter seinen Möglichkeiten.

(Foto: Foto: reuters)

Mit Verweis auf das Album "Hip-Hop Is Dead" des amerikanischen Rappers und Produzenten Nas schrieb Frere-Jones, nicht das Erscheinungsjahr des Nas-Albums 2006, sondern 2009 sei der Zeitpunkt des Todes des Genres. In diesem Jahr habe sich gezeigt, dass die Zeit, in der der Hip-Hop der Schrittmacher der Entwicklung der innovativen Popmusik war, die es auch in die Charts schafft, endgültig vorbei sei.

Der renommierte britische Popmusikjournalist Simon Reynolds wiederum legte an ähnlich exponierter Stelle, im Londoner Guardian, zustimmend nach: "Ich würde vielleicht nicht unbedingt sagen, dass Hip-Hop tot ist. Er sieht aber ohne Zweifel schon wie jemand aus, der nicht mehr sehr lange zu leben hat." Auch hierzulande wurde schon wild geläutet. Zuletzt notierte die FAZ recht apokalyptisch: Selten habe es im Hip-Hop mehr stilistische Einfalt gegeben als im vergangenen Jahr. Seine Zeit sei mithin abgelaufen. In Zukunft werde das Genre nur noch die "billige Untermalung von YouTube-Tanzvideos und iPod-Nudelware" sein.

Aber was ist eigentlich passiert? Tatsächlich waren die Produktionen des Jahres nicht überragend. Von den Helden der Hip-Hop-Connaisseure wie dem Wu-Tang Clan ("Wu-tang Chamber Music" und Reakwons "Only Built For Cuban Linx . . . Pt. II") oder dem Anti-Pop Consortium ("Flourescent Black"), von hochgehandelten Newcomern wie Kid Cudi ("Man On The Moon: The End Of Day") und von alten Göttern wie Mos Def ("The Ecstatic") gab es sehr Gutes, aber eben nicht Wegweisendes. Und auch der Hip-Hop-Superstar und als "Rappers' Rapper" hochangesehene Jay-Z blieb unter seinen Möglichkeiten. Sein Album "The Blueprint 3" war solide, aber am Ende leider nicht allzu überraschend. Mit "D.O.A. (Death Of Auto-Tune)" gab es aber immerhin eine virtuos stampfende, gutgelaunte Tirade gegen die Mode extremer Gesangsmanipulation. Und mit "Empire State Of Mind" eine wirklich grandiose neue New-York-Hymne. So oft kommt das ja nicht vor, die Messlatte liegt da traditionell sehr hoch.

Eminems Verarbeitung seiner Tablettensucht, "Relapse", war erwartungsgemäß sehr gut, fügte dem Gesamtwerk des virtuosen Rappers aber dann doch nicht wirklich etwas hinzu - abgesehen von ein paar gewohnt unerbittlich selbstreflexiven Hits wie "We Made You" oder "Crack A Bottle".

Dass Snoop Dogg mit "Malice N Wonderland" bestenfalls Mittelmäßiges ablieferte, spielt dagegen keine Rolle. Der Mann ist kein innovativer Musiktüftler oder atemraubender Wortkünstler, sondern ein begnadeter Geschäftsmann, der zufällig die tollste, lässigste, verhangenste Stimme des Pop hat. Musikalisch gesehen war er schon immer eher ein Instrument seiner Produzenten - seine jeweilige Klasse hängt notwendig an Dritten. Als das einst die Neptunes waren, gelang ihm mit dem von einem dünnen Zungenschnalzen angeschobenen, minimalistischen "Drop It Like It's Hot" ein Meilenstein der jüngeren Popgeschichte. Das neue Album hat nichts derartig Inspiriertes zu bieten, und nicht einmal konventionellere Hits.

Lesen Sie auf Seite 2, für wie selbstverständlich die Versöhnung von Avantgarde und Erfolg im Pop noch immer gehalten, gefordert, angestrebt und sogar erreicht wird.

Kommerzieller Niedergang

Für das neue Album des einst als authentisch gemeingefährlichen Gangster lancierten und extrem erfolgreichen Rappers 50 Cent gilt Ähnliches: Es finden sich nur zweitklassige Produktionen darauf. "Before I Self Destruct" verkaufte sich zwar bisher noch gut 1,5 Millionen Mal, das waren allerdings gut eine Millionen weniger Einheiten als noch vom Vorgänger "Curtis" (2007) und satte achteinhalb Millionen weniger als vom Vorvorgänger "The Massacre" (2005).

Snoop Dog

Snoop Dog ist kein atemraubender Wortkünstler, sondern ein begnadeter Geschäftsmann, der zufällig die lässigste, verhangenste Stimme des Pop hat.

(Foto: Foto: getty)

50 Cent taugt deshalb gut als Kronzeuge des kommerziellen Niedergangs des Hip-Hop. Zusammen mit "Shock Value II", der enttäuschenden neuen Platte Timbalands, ergibt das gewichtige Anhaltspunkte für eine Krise des Genres. Der Beat-Bastler Timbaland gilt neben seiner Jugendfreundin Missy Elliott und Pharrell Williams und Chad Hugo, die gemeinsam als das Produzentenduo The Neptunes bekannt wurden, als einflussreichster Innovator in den vergangenen zehn Jahren.

Ohne ihn ist die maßgebliche Rolle des Hip-Hop beim Sounddesign des zeitgenössischen Highscore-Pop, der Tonspur des Gegenwart, nicht denkbar. Der Rede vom harmonisch und melodisch auskomponierten Pop setzte er radikale Beat- und Sound-Basteleien entgegen. Also: tiefste, knochentrocken und präzise kontrapunktisch eingesetzte Bässe: D'mm! Sowie brutal schiebende Bläser und Synthieflächen wie zuletzt etwa in Madonnas Hit "4 Minutes" (2008).

Abseits der Abgesänge ist die Enttäuschung über die Entwicklung des Genres also aus einem ganz anderen Grund interessant. Mit Frere-Jones' originellem Ansatz, einen rhythmischen Trendwechsel des Genres verantwortlich zu machen - weg von den im Blues wurzelnden swingenden und synkopierten hin zu schnelleren und stumpferen "europäischen" Beats - hat das allerdings nichts zu tun. Die Enttäuschung zeigt vielmehr, für wie selbstverständlich die Versöhnung von Avantgarde und Erfolg im Pop noch immer gehalten, gefordert, angestrebt und sogar erreicht wird.

"Drop It Like It's Hot" war 2004 in den USA ein Nummer-eins-Hit. Pharrells Kooperation mit Gwen Stefani, "Can I Have It Like That" ging um die Welt, obwohl es im Grunde aus nicht viel mehr besteht, als einem federnden Kontrabass-Miniriff und einem mit einem Schlagzeugbesen erzeugten, scharfen Snarepatschen, wozu Pharrell Williams rappt: "Should I mention the fact: the transition is the track?" Der Übergang ist schon der Song. Ebenso erfolgreich war das weitgehend geklatschte "Pass That Dutch" (2003) von Missy Elliott. Und auch Kanye Wests jüngste Interpretationen des humanoid klirrenden Gesangssounds, den man mit einem übersteuerten Tonhöhenkorrekturprogramm wie Auto-Tune erzeugen kann, schaffte es nach ganz oben ("808s & Heartbreak", 2008).

Andere Künste, sei es die Klassik, die Literatur, das Kino oder sogar die bildende Kunst halten es - besonders dort, wo sie die Massen gewinnen wollen - doch ungleich konservativer. In der Malerei zum Beispiel müssen gerade ja die Impressionisten aus dem späten 19. Jahrhundert als die wahren Modernen wiederentdeckt werden. Auch und gerade an der vordersten Front der Massenkultur jedoch, der Chart-Musik, ist das Neue, Überraschende, das bis eben noch für unzumutbar und unfertig Erachtete, aber noch das Ziel; Retro-Wahnsinn hin oder her.

Für welche Kunstform lässt sich das noch so unbedingt sagen? Und die Unruhe, die die Sphäre so eilig erfasst, wenn die Innovationen ausbleiben, wird auch in Zukunft Bedingung und Quelle für erstaunliche Popmusik sein. Simon Reynolds hat recht, wenn er schreibt, dass es nichts Neues geben könne, wenn das Alte nicht sterben würde. Im Pop ist es nicht nötig, so etwas wie den Impressionismus nochmal zu einer großen Sache zu erklären (auch wenn Vergleichbares mitunter natürlich passiert, wenn wieder einmal Sixties-Soul in die Charts gespült wird). Es reicht völlig, wenn man wartet, bis das nächste neue große Ding passiert.

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