"Empire of Light" im Kino:Zeit der Feuerwagen

"Empire of Light" im Kino: Schwelgen in Kinonostalgie: die Terrasse des Filmpalasts "Empire of Light" hat eine tolle Aussicht.

Schwelgen in Kinonostalgie: die Terrasse des Filmpalasts "Empire of Light" hat eine tolle Aussicht.

(Foto: -/dpa)

In "Empire of Light" erzählt Sam Mendes von einer Jugend mit prunkvollen alten Filmpalästen und einer bipolaren Mutter - nur leider seltsam verschlüsselt.

Von Josef Grübl

Ein Leben ohne Kino ist möglich, aber sinnlos. Cineasten haben das längst verinnerlicht, Sam Mendes auch: Mit "Empire of Light" hat der britische Regisseur einen Film über die Magie des Kinos gemacht, über das Knistern des Zelluloids und den Lichtstrahl des Projektors, der 24 Einzelbilder pro Sekunde durchdringt. Bloß erkennt das seine Heldin nicht: Die Mittvierzigerin Hilary (Olivia Colman) marschiert jeden Tag in einen ehrwürdigen Kinopalast an der Küste Südenglands, dort begrüßt sie Gäste, verkauft Tickets oder klaubt nach den Vorstellungen das Popcorn aus den Sesseln. Filme sieht sie aber nie.

Dass diese Kinoangestellte etwas verpasst, ist klar. Sie hat aber auch, wie allmählich klar wird, eine bipolare Störung - und an diesem Punkt wird es für Sam Mendes persönlich. Er hat erzählt, dass seine Mutter Valerie ebenfalls bipolar war, nach der Scheidung seiner Eltern wuchs er bei ihr auf, ertrug Komplikationen und Stimmungsschwankungen, erlebte die Manipulationsversuche von Männern. All das macht auch Hilary durch, die im Film aber keine Mutter ist. Sie lebt allein, muss immer wieder in stationäre Behandlung, wirkt oft wie sediert und lässt sich vom Manager des Kinos (Colin Firth) sexuell ausnutzen.

"Empire of Light" ist in den frühen Achtzigerjahren angesiedelt - jener Zeit also, in der der 1965 geborene Filmemacher selbst das Kino entdeckte. Man bekommt mit, was gespielt wird, die "Blues Brothers" etwa, "All that Jazz" oder Scorseses "Raging Bull". Einmal findet in Hilarys Kino sogar eine Premiere statt: Der spätere Oscar-Gewinner "Chariots of Fire" soll gezeigt werden, berühmte Gäste haben sich angesagt. Das ist eine große Sache in dieser kleinen Stadt an der Küste, der Bürgermeister kommt, das Publikum erscheint in Abendgarderobe, man hört die Titelmusik von Vangelis...

Es ist bestimmt kein Zufall, dass derzeit gleich mehrere Kinofilme die Magie des Mediums beschwören, sah es doch in den Corona-Jahren nicht gut aus für die monatelang geschlossenen Lichtspielhäuser. Das Publikum wandte sich ab, tiktokte lieber oder streamte Serien, das Gemeinschaftserlebnis Kino mutierte zur Gesundheitsgefahr. Da musste jemand zur nostalgischen Ehrenrettung antreten.

Das Videozeitalter ist noch nicht da, doch Kinosäle stehen leer

Und die großen Regisseure der Gegenwart teilten sich den Job sogar auf: Damien Chazelle stellte in "Babylon" den Wahn und den Exzess im Hollywood der Zwanzigerjahre so explizit nach, dass das heutige Publikum pikiert zurückschreckte. Steven Spielberg erinnerte sich in den "Fabelmans" an seine eigene Kindheit in den Fünfzigerjahren, als er seine ersten cineastischen Schritte unternahm. Und jetzt also Sam Mendes mit einer Geschichte über ein englisches Kino in den Achtzigerjahren: Da ist der Lack schon etwas ab, es werden auch nicht mehr alle prunkvollen Säle des alten Filmpalasts bespielt. Dabei steht das Videozeitalter erst noch bevor.

"Empire of Light" blickt hinter die Kulissen des Kinobetriebs, die Kolleginnen und Kollegen am Popcornstand oder am Einlass sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Ein junger Mann fängt als Aushilfe an, in ihn wird Hilary sich verlieben. Doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern: Stephen (Micheal Ward) ist mindestens zwanzig Jahre jünger als sie, kommt aus einer anderen Gesellschaftsschicht - und ist schwarz.

Aber er bleibt eine reine Filmfigur, ein eindimensionaler Charakter wie der manipulative Chef. Mendes benutzt ihn, um den Plot voranzutreiben, um von Chancenungleichheit, Thatcherismus und Rassismus erzählen. Da kommen prügelnde Neonazis (und gehen wieder), da entlarvt man einen Missbrauchstäter. Zwischendurch werden Tauben gestreichelt oder Filmrollen gewechselt. Das wirkt ähnlich konstruiert, wie es sich liest, selbst der Hauptfigur Hilary scheint man nicht wirklich nahezukommen. Was wohl auch daran liegt, dass der Autor hier - Sam Mendes heißt.

Die Vorlagen seiner großem Erfolge "American Beauty" und "Zeiten des Aufruhrs" schrieben Hollywoods beste Drehbuchautoren, seine Bond-Filme "Skyfall" oder "Spectre" hatten ein eigenes, eingeschworenes Drehbuchteam. Erst bei seinem letzten Film "1917" wurde Mendes auch als Co-Autor tätig - und schon da war die Inszenierung in einem einzigen Take wesentlich stärker als die Story. Sein Solo-Drehbuchdebüt zeigt, dass nicht in jedem Kinomeister auch ein Autorenfilmer steckt, der einen Film ganz aus sich heraus schöpfen kann.

Warum man sich "Empire of Light" trotzdem gut ansehen kann? Weil Mendes' Qualitäten als Regisseur voll präsent sind; weil Kameramann Roger Deakins traumhaft schöne Bilder macht; und weil man Olivia Colman ohnehin in jeder Rolle liebt. Am Ende darf die von ihr gespielte Hilary natürlich doch noch im Kinosaal sitzen, der Vorführer hat nur für sie Hal Ashbys Film "Being There" eingelegt. "Life is a state of mind", meint Peter Sellers als dauerfernsehender Mr. Chance darin einmal. Und damit ist auch für Hilary alles gesagt.

Empire of Light, GB/USA 2022 - Regie und Drehbuch: Sam Mendes. Kamera: Roger Deakins. Musik: Trent Reznor, Atticus Ross. Mit: Olivia Colman, Micheal Ward, Toby Jones, Colin Firth. Walt Disney, 115 Minuten. Kinostart: 20. April 2023.

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