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Emmerich-Film "Anonymus" auf der Buchmesse:Back dir einen Shakespeare

Mit seinem neuen Film "Anonymus" hat sich Hollywood-Regisseur Roland Emmerich auf ein Schlachtfeld begeben: Auf der Frankfurter Buchmesse stritten sich Experten erbittert über die in dem Film aufgegriffene Verschwörungstheorie, dass hinter dem Autor William Shakespeare ein anderer stecke.

Christopher Schmidt

Unter all die lebenden Autoren, die sich bei der Buchmesse verlautbaren, hat sich einer geschmuggelt, der nicht mehr lebt und über den immer wieder vermutet wird, dass er vielleicht gar nicht gelebt habe. Weil er sich nie über seine Bücher verlautbart hat. Von William Shakespeare sind weder Tagebücher noch Briefe überliefert, keine einzige Zeile hat er hinterlassen, die über sein Werk Aufschluss gibt. Genau das ist der Grund, weshalb immer wieder über seine Identität spekuliert wird.

Er ist die ideale Projektionsfläche für Verschwörungstheorien, die seit zweihundert Jahren ins Kraut schießen. War nicht Shakespeare selbst ein früher Exponent von public publishing und partizipativem Schreiben, wie es die Messe mit Blick auf die digitale Zukunft des Buches diskutiert? Seine Stücke entstanden vielfach in enger Zusammenarbeit mit einem Pool von Autoren, das Theater war damals ein neues Medium, in dem blue prints und Piraterie zur Normalität gehörten, zumal Shakespeares Zeit noch keinen emphatischen Begriff des Autors kannte, auch nicht den Schutz geistigen Eigentums.

Unter den zahllosen Theorien, die hinter dem Namen Shakespeare einen anderen Autor vermuten, hält sich am hartnäckigsten diejenige, die Edward de Vere, den 17. Earl of Oxford, für den wahren Verfasser der 37 Stücke und 154 Sonette hält, die Shakespeare zugeschrieben werden.

Die Theorie der sogenannten Oxfordianer greift Roland Emmerich in seinem Film "Anonymous" auf, einer opulent ausgestatteten Räuberpistole, derzufolge Edward sich eines Strohmannes bedient habe, weil er seine Werke nicht unter eigenem Namen veröffentlichen konnte.

Emmerich wählte für den Film die Prinz-Tudor-Variante, die besagt, dass der Earl of Oxford sowohl der illegitime Sohn von Königin Elizabeth I. gewesen sei, als auch ihr Liebhaber und mit ihr einen weiteren Bastard zeugte, den Earl of Southampton, sein Sohn und Halbbruder und zugleich Adressat seiner homoerotischen Anrufungen in den Sonetten.

Zu wenig weltläufig

Als Hauptargument gegen Shakespeares Autorschaft ist vorgebracht worden, dass der einfache Sohn eines Handschuhmachers vom Lande zu ungebildet und zu wenig weltläufig gewesen sei, um jene gewaltigen Stücke schreiben zu können.

Der Film versucht, diese These dadurch suggestiv zu machen, dass er den Earl of Oxford als einen verfeinerten Universalgelehrten präsentiert. Vom historischen Earl ist jedoch nur bekannt, dass er eine Law School in London besucht hat, wo er genau zwei Mal gesichtet wurde: bei der Einschreibung und bei der Graduierung. Die meiste Zeit hat er sich wohl den adligen Künsten gewidmet - Tanzen, Fechten, Füchse jagen.

Wie die meisten Verschwörungstheorien beruht auch die Oxford-These auf einer Rückprojektion, die das Künstlerbild, wie es sich im Geniekult der Romantik ausgebildet hat, in die englische Renaissance zurückspiegelt.

Shakespeare galt vor seiner Rezeption in der Romantik als Naturbursche, der nur aus der Intuition schöpfte, erst das späte 18. Jahrhundert erkannte in ihm einen bewusst gestaltenden Dichter. Mit diesem Shakespeare-Kult war das Bild des unkultivierten Landeis schwer zu vereinbaren, daher setzte, nachdem zweihundert Jahre lang niemand seine Identität angezweifelt hatte, die Suche nach der hochgestellten Persönlichkeit ein, die sich hinter dem Pseudonym "Shakespeare" verbirgt.

Der Film "Anonymous" pflegt das beliebte Bild vom Künstler als einem Ausnahmemenschen. Hier wirkt ein Künstlergott, der alles, was er am Hofe an Intrigen erlebt hat, poetisch verbrämt auf die Bühne bringt, jedes Stück ein autobiographisch beglaubigtes Schlüsseldrama.

Von der Kunstreligion bleibt im Film auch nicht das Shakespeare-Publikum verschont. Im Globe Theatre hängt es an den Lippen der Schauspieler, die Shakespeares unsterbliche Verse deklamieren. Tatsächlich suchte das damalige Publikum im Theater nicht Andacht, sondern Zerstreuung und begriff Theaterstücke als reine Gebrauchstexte, die nur so gut waren wie das Lachen oder die Tränen, die sie einem ins Gesicht zauberten.

Im Anschluss an die Vorstellung des Films, der am 10. November in die Kinos kommt, stellte sich Emmerich der Diskussion mit den Experten, dem Übersetzer Frank Günther, dem Vorsitzenden der deutschen Shakespeare-Gesellschaft Tobias Döring, und dem deutschen Oxfordianer Kurt Kreiler. Moderator der Runde war Hellmuth Karasek.

Alle Versuche, den Streit im Keim zu ersticken, indem man die Freiheiten verteidigt, die der Film sich zu Recht nimmt, waren vergebens. Schnell fielen die Stratfordianer Döring und Günther über den Oxfordianer Kreiler her, der sich zur verfolgten Unschuld stilisierte und pathetisch von einer "Mauer des Schweigens" sprach.

Auf dem Schlachtfeld eines Religionskrieges

Dabei sind die Stratfordianer gar nicht so hegemonial, wie Kreiler behauptet. 5000 Bücher gibt es, die an Shakespeare Verfasserschaft zweifeln. Während Emmerich betonte, dass es ihm vor allem um die Frage gegangen sei, ob Worte mächtiger sind als Waffen, erfreute sich Döring an einer Szene, in der man Queen Elizabeth beim blow job mit Edward de Vere sieht und dieser dazu hohe Lyrik ejakuliert. Das nennt man Sublimierung.

Spätestens aber, als Frank Günther eine fotomechanische Reproduktion der First Folio als Beweismittel auspackte, war klar: Hier tobt ein Religionskrieg, und Roland Emmerich hat sich mit seinem Film auf ein Schlachtfeld begeben.

Nirgendwo in Frankfurt wurde so leidenschaftlich und erbittert gestritten wie in dieser Runde - der beste Beweis dafür, wie lebendig William Shakespeare ist.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2011/pak
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