Eminems neues Album:Auf Messers Schneide

Eminem Pressefoto Universal

Mit seinem elften Studioalbum "Music to be murdered by" überraschte Eminem am Freitag die Pop-Welt zumindest kurzzeitig. Dann prasselte auch schon ein Kugelhagel aus Kritik auf den 47-Jährigen ein.

(Foto: Danny Clinch/Universal Music)
  • Eminem veröffentlichte am Freitag ohne Ankündigung sein elftes Album "Music to be murderd by".
  • Vor allem seine Gewaltdarstellungen tanzen auf Messers Schneide zwischen Verherrlichung und Kritik - und lassen das Album auf die falsche Seite kippen.

Von Jan Kedves

Der beste weiße Stakkatoreimer der Welt, Marshall Bruce Mathers III alias Eminem alias "Slim Shady", bringt die Pop-Welt gerade in Rage. Der 47-jährige Rapper aus Detroit hat nämlich am vergangenen Freitag, ohne Vorankündigung, ein neues Album veröffentlicht: "Music To Be Murdered By" (Aftermath). Der Vorwurf lautet nun: Verhöhnung von Terror-Opfern, Sexismus, Homophobie.

Die letzteren beiden Punkte überraschen wenig, wenn man sich mit Rap-Musik und Eminem im Speziellen ein wenig auskennt. Und doch ließe sich in Bezug auf den inkriminierten Track "Those Kinda Nights" - er ist eine erneute Zusammenarbeit mit Jedermanns liebstem Schnulzen-Klampfer Ed Sheeran, der hier zwischen düsterem Trap-Geböller den Refrain schnulzt - wohl fragen: Hmm, ist es wirklich so schlimm?

Eminem mal wieder ein homophober Frauenfeind?

Eminem lernt in einer Bar eine Frau kennen, die er heiß findet und die ihm eröffnet, sie sei bisexuell. Es werden Drogen genommen, später befriedigt die Frau im Auto, draußen auf dem Parkplatz, Eminem oral. Woher kennt man solche Plots? Aus dem Mainstream-Porno, in dem lesbische oder bisexuelle Frauen immer nur solange Lust auf Frauen haben dürfen, bis ein Kerl die heterosexuelle Ordnung wieder herstellt, indem er den Ladies zeigt, wo der Hammer hängt. Dieser Kerl heißt hier Eminem. Ist er deswegen aber ein Frauenfeind und homophob?

Schlau wie er ist, hat Eminem ein paar Abers eingebaut. Zum einen erzählt er den Song in der Vergangenheit: "Früher, als ich noch mit meiner Crew D12 abhing (sprich: vor mindestens 15 Jahren), da passierte es, dass ich nachts diese Frau traf...." Das heißt, ob für ihn die Eroberung einer bisexuellen Frau heute immer noch der Kick ist, lässt er offen. Nicht zu vergessen: Das lyrische Ich von Eminem muss ja mit dem Menschen Marshall Bruce Mathers III nicht hundertprozentig identisch sein.

Provokationen, entworfen wie am Reißbrett

Außerdem: Eminem hat gar nichts gegen Lesben! Sonst hätte er wohl kaum auf ein anderes Stück seines Albums, "Unaccomodating", die Rapperin Young M.A. aus New York als Gast geladen. Sie feierte, als offen lesbische Frau, 2016 mit ihrer Single "Ooouuu" einen Riesen-Hit in den USA. Der Subtext hier lautet: Wenn auf meinem Album eine Lesbe andere Frauen als "bitches" bezeichnen darf, dann darf ich, Eminem, das ja wohl auch?!

Nun ja, Eminem ist eben ein Trickster. Man kann ihm auf den Leim gehen, oder nicht. So oder so muss man Respekt haben davor, wie er doppelt und dreifach sich widersprechende Aussagen in Reime schachtelt und wie technisch perfekt er diese dann aus seiner Kehle spuckt, feuert, zischt. Und: wie akribisch er seine Provokationen designt. Entworfen wie am Reißbrett.

Eminems neues Album: Mit dem Albumcover zitiert Eminem einen Soundtrack von Alfred Hitchcock und auch inhaltlich steht er der Blutrünstigkeit des legendären Regisseurs in nichts nach.

Mit dem Albumcover zitiert Eminem einen Soundtrack von Alfred Hitchcock und auch inhaltlich steht er der Blutrünstigkeit des legendären Regisseurs in nichts nach.

Slim Shady macht den Hitchcock

Da ist in Bezug auf "Music To Be Murdered By" vor allem die Tatsache, dass sowohl der Titel als auch das Cover Bezug nehmen auf "Alfred Hitchcock Presents Music to Be Murdered By". Mit diesem Album antwortete der legendäre Regisseur 1958 auf den Vorwurf, die Zuschauer seiner Fernsehshow "Alfred Hitchcock Presents" könnten sich von ihr zum Morden animiert fühlen. Paraphrase Hitchcock: Wenn Sie meinen, dass Ihnen fürs Morden jetzt nur noch der richtige Horror-Soundtrack fehlt: Hier hören Sie Stimmungsmusik, die direkt auf die Halsschlagader abzielt, und Sie, wertes Publikum, dürfen sie genießen, bis der Gerichtsmediziner kommt.

Brutalst-trockener, schwarzer Humor also. Aber eben auch: eine Belustigung über die eindimensionale Mutmaßung, dass mediale Darstellungen von Gewalt automatisch zu mehr realer Gewalt führen. Genau diesen Humor scheint Eminem sich nun aneignen zu wollen, wenn er im Track "Unaccomodating" rappt: "Ich denke darüber nach, während des Spiels 'lasst die Bomben los' zu schreien, als würde ich draußen vor einem Ariana-Grande-Konzert warten". Eminem schlüpft hier in die Rolle des Dschihadisten, der 2017 in der Manchester Arena 22 Menschen in den Tod riss. Pietätlos? Klar. Aber schon springen, wie geplant, die Eminem-Fans zur Stelle und erinnern daran, dass Eminem nach dem Attentat von Manchester zu Spenden für das Britische Rote Kreuz aufgerufen und so zwei Millionen Dollar für die Opfer gesammelt habe. Diese Dollar wiegen den Reim nun also auf? In einer höchst kapitalistischen Denke, vielleicht.

Ähnlich funktioniert auch die Provokation der Single "Darkness". In ihr zitiert Eminem die Melodie der Zeile "Hello darkness my old friend" aus Simon & Garfunkels "The Sound of Silence". Mit dem Song und dem dazugehörigen Video will Eminem die laxen Waffengesetze der USA kritisieren. Er schlüpft hier wiederum in die Rolle eines Terroristen - diesmal ist er der Mann, der 2017 aus einem Hotel in Las Vegas heraus 58 Besucherinnen und Besucher eines Musikfestivals erschoss.

Man könnte sagen: Es geht hier um die ewige - und in der Rap-Musik immer wieder ungelöste - Frage, ob man Gewalt vielleicht auch ein Stück weit reinszenieren muss, um sie wirksam kritisieren zu können. Hier aber geht Eminem dann so weit, dass er in den Song sogar das Schreien junger Frauen mischt, also: Er stellt das Leiden der weiblichen Opfer des Las-Vegas-Attentats akustisch nach. Der Musiker will hier auf Messers Schneide rappen - und kippt dabei ganz klar auf die falsche, nämlich auf die pornografische Seite.

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