In ihrem Büro will Angela Merkel keine Bilder Emil Noldes mehr aufhängen, vermutlich, weil der Maler Hitlerfan war. "Tugendhysterie" wirft der Historiker Michael Wolffsohn ihr vor, Die Zeit sieht Nolde "zum Schämen in die Ecke" gestellt, und Karin Prien, CDU-Bildungsministerin in Kiel, bestellte sich demonstrativ einen Nolde für ihr Amtszimmer, als Zeichen gegen eine "hysterisch geführte Moraldebatte".
Die Bundeskanzlerin - eine kunstfeindliche Hysterikerin? Der hohe Ton der Kritiker verkennt den Kontext der Merkel'schen Aktion. Hier räumt keine Museumsleiterin ihren Noldesaal leer, was tatsächlich Geschichtsklitterung und unverantwortlich wäre. Vielmehr entscheidet eine Regierungschefin, womit sie sich symbolisch umgibt - und womit lieber nicht mehr. Antisemitismus zu bekämpfen ist Teil der Staatsräson. Ihrer persönlichen Noldeliebe geht Merkel besser privat nach als ausgerechnet im repräsentativen Rahmen ihres Büros.
Merkel hat sich zum letztmöglichen Datum von dem 1936 gemaltem Seebild getrennt, nämlich kurz bevor an diesem Wochenende in Berlin eine Ausstellung über Nolde als Nationalsozialisten eröffnet wurde. Die Schau führt vor, wie die Nachkriegsgesellschaft den um Hitlers Gunst buhlenden Judenhasser zum Widerständler umgedeutet hat. Aus dieser tröstenden wie falschen Vorstellung resultierte die Nolde-Begeisterung der Kriegsgeneration: Helmut Schmidt nannte sein Bonner Büro mit einem Bild des Malers ehrfürchtig "Noldezimmer", der Publizist Henri Nannen errichtete in Emden ein Museum um Noldes Stücke, ohne sich allzu sehr für dessen dunkle Seite zu interessieren.
So viel lavierende Selbstgerechtigkeit geht im Jahr 2019 nicht mehr. Zu bedrohlich ist der Judenhass in Europa und in Deutschland geworden, zu gefährdet durch populistische Bewegungen erscheinen heute demokratische Errungenschaften, als dass man es sich leisten könnte, Ambivalenzen wie bei Nolde bequem auszublenden. Es ist für eine Bundeskanzlerin eine Frage der Glaubwürdigkeit, sich ohne Wenn und Aber der Aufarbeitung deutscher Geschichte zu stellen.
Noch vor fünf Jahren scheint das aus Sicht der Politik anders gewesen sein. 2014 hat schon einmal eine Ausstellung, im Frankfurter Städel, Noldes Judenhass problematisiert. Damals lieh Merkel ihr Bürobild von 1936 nicht aus und hängte es schon gar nicht ab. Kunst und Politik, Bilder und Weltanschauungen galten - irrtümlich - noch als getrennte Sphären. Das war, bevor Donald Trump in den USA regierte, Rechtspopulisten dank ihrer Symbolpolitik immer mehr Erfolge feierten und in Deutschland wieder klarzustellen war, dass der Nationalsozialismus verheerender als ein "Vogelschiss" war.
In diese weniger aufgewühlte Zeit wünschen sich diejenigen zurück, die es hysterisch finden, Nolde nicht mehr als eine Sinnfigur deutscher Modernität zu sehen. Zukunftsträchtiger wäre eine Debatte darüber, welche Bilder und Ideen heute zum Selbstverständnis der Deutschen passen.
Und Merkel? Von ihr wüsste man gerne, wie sie es prinzipiell mit der Kunst und der Repräsentation hält und warum. Wie steht sie etwa zu den Wagnerfestspielen an Hitlers Lieblingsort Bayreuth? Die besucht sie jedes Jahr und scheint es dabei den Regisseuren zu überlassen, sich an der Historie abzurackern. Ein paar Worte der Kanzlerin zu ihrer Selbstverortung in Kunstfragen wären hilfreich.