Süddeutsche Zeitung

Emigration in die USA:Hass auf jede Heuchelei

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Morton Rhue erzählt in seinem neuen Jugendthriller, wie zwei bosnische Jungen in den USA scheitern und mit dem Dschihad in Kontakt kommen. Harte Auseinandersetzung mit der Politik der USA. Regt sehr zur Diskussion an.

Von Roswitha Budeus-Budde

"Alle Regierungen sind kriegerisch. Krieg ist ihr Handel; Beute und Profit ihr Zweck . . . Jede Regierung beschuldigt die andere der Treulosigkeit, der Intrigen und des Ehrgeizes, um die Einbildungskraft ihrer Untertanen zu erhitzen und sie zu Feindseligkeiten zu reizen. Der Mensch ist von Natur nicht der Feind des Menschen, sondern wird es nur vermittelst eines falschen Regierungssystems." Diese Worte von Thomas Paine, aus seinem Essay "Die Rechte der Menschen" von 1792, setzt Morton Rhue an den Anfang seines Jugendromans "Dschihad Online", einer kritischen und stellenweise verzweifelten Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in den USA.

An dem anscheinend nicht zu überbrückenden Widerspruch zwischen Freiheit und Gewalt, zwischen Intoleranz und Liberalismus scheitern die Söhne einer bosnischen Familie, die nach dem Massaker von Srebrenica in die USA einwanderte. Khalil, offiziell amerikanischer Staatsbürger, da er hier geboren wurde, führt das ziemlich normale Leben eines Jugendlichen an der Highschool, ist verliebt in ein wunderschönes Mädchen und, obwohl er es sich ab und an als Hochbegabter leistet, die Schule zu schwänzen, denkt er schon an das College. Für den älteren Bruder Amira, noch in Bosnien geboren, ist Amerika das hassenswerte Land, der Erbfeind der Muslime, ein Sündenpfuhl. Nachdem er die Schule abgebrochen hatte, und die Aufenthaltsgenehmigung nach einem Diebstahl verlor, gerät er immer mehr durch die Propaganda im Internet in die Fänge des IS und eines seiner politischen Ableger in den USA. Dramatisch verschlechtert sich die Situation der Jungen, als die Eltern nach Bosnien zurückgehen, um den Großeltern zu helfen, und sie sich selbst durchschlagen müssen, mit Diebstählen und Einbrüchen. Für Khalil bedeutet es, in der Schule und bei den Freunden ein Lügengerüst aufzubauen. Er ist auf den älteren Bruder angewiesen, muss ihm, getreu der Familientradition, gehorchen und ist seinen Hasstiraden ausgeliefert: "Wenn die Amerikaner ihre Feinde angreifen dürfen, warum wir dann nicht auch."

Morton Rhue verbindet als versierter Jugendbuchautor die Kritik an dem Versagen der amerikanischen Gesellschaft mit dem typischen Leben von Highschool-Schülern. Als literarisches Hilfsmittel setzt er Thrillerelemente ein, die über die manchmal ausufernden pädagogischen Szenen hinweghelfen. Wenn er zum Beispiel Khalil und seine Freundin Angie bei der ersten zufälligen Begegnung über ihren "gemeinsamen Hass auf jede Form von Heuchelei" reden lässt. Dass Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe verboten, aber Waffen frei verkäuflich sind. Oder, dass die USA immer wieder international die Menschenrechte einfordert und selbst Waterboarding als Foltermethode verwendet. Amerika ist in den Augen der Jugendlichen "das Land des kollektiven Ausblendens".

Was kann ein Autor, der zutiefst verstört zu sein scheint über sein Land - "Dschihad Online" wurde vor der Wahl geschrieben -, bei seinen jungen Lesern erreichen? Er kann trotz des filmreifen Endes - die Brüder zappeln längst in einem fein gesponnenen Netz des FBI, als Köder für einen radikalen Muslim - aufklären, zur Diskussion anregen. Warum es sich lohnt, an dieses Land zu glauben. "Trotz Heuchelei und Rassismus, trotz all der Kriege, die es im Namen des Friedens führt, gibt es wahrscheinlich kein besseres, freieres und chancenreicheres Land auf der Welt. Ich vermisse es jetzt schon", sind Khalils Worte bei der Abschiebung. (ab 13 Jahre)

Morton Rhue: Dschihad Online. Aus dem Amerikanischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2016. 248 Seiten, 15,50 Euro.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2016
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