Süddeutsche Zeitung

Elton John in München:Großer Abschied

Elton John ist auf Abschiedstournee. Bei seinem Konzert in München übertrifft er sich selbst und macht deutlich: Ermattung kann nicht der Grund sein.

Konzertkritik von Andrian Kreye

Auf irgendwas kann man sich ja immer einigen. Auf Elton John zum Beispiel. Der bekam seinen größten und am längsten anhaltenden Applaus beim Konzert seiner Abschiedstournee am Sonntagabend in der Münchner Olympiahalle für sein Bekenntnis "I'm a European". Das war der verbale Schlussakkord seiner Tirade gegen den Brexit und zynische Politiker, die dann gleich in eine Hymne auf Mitgefühl und Liebe und den Kampf gegen die Aids-Seuche mündete, den er mit viel Anstrengung und Geld mitgekämpft hat.

Na gut. Das war am Abend der Europawahl vielleicht nur der längste Applaus. Den größten gab es wahrscheinlich für sein Entree mit "Bennie and the Jets", seinem Hit, den man schon am allersten Klavierakkord erkennt. Es gibt nicht viele, die das hinkriegen, dass so ein einzelner Anfangsakkord umgehend nicht nur das Wiedererkennen, sondern auch gleich einen ganzen Schwall Gefühle auslöst. Die Beatles mit "A Hard Day's Night", Prince mit "Kiss". Viel mehr nicht.

Vielleicht brachte aber auch der Abschied den größten Applaus. Bevor er nach vielen Abschiedsworten ("Danke für all die Liebe, die Freundlichkeit und die Loyalität") winkend auf so eine kleine fahrbare Bühne stieg, die auf einer Schiene die Schräge der minimalistischen Bühne hinauffuhr, die aus einer Bürogebäude-großen LED-Leinwand bestand, in der die Band eingebettet war, hatte er schon knapp drei Stunden gespielt. Mit einer Kraft und einer Ausdauer, die dem 72-jährigen nur wenige nachmachen. Er hatte sich sogar selbst übertroffen. Vor fünfzehn Jahren, als er seine Las Vegas Residence mit der "Red Piano Show" antrat, hatte er hie und da mal Aussetzer und stimmliche Schwächen. Und da war er noch nicht mal sechzig.

Schon damals gab es sehr retrospektiv ausschließlich Hits, Hits und noch mehr Hits. Auf die man bei ihm eigentlich die ganze Show über wartet, weil man ja weiß, da ist noch viel mehr. Er hat über die Jahrzehnte so unzählige geschrieben, wenn man da in der Olympiahalle mal was nicht erkannte, weil man zu den Leuten gehört, die seine Rock-and-Roll-Kracher überspringen und deswegen nur seine Hymnen und Balladen auswendig kennen, wußte man trotzdem, dass es im Publikum ein paar Tausend gab, die auch auf diese Nummern gewartet hatten.

Das mit dem Boogie und dem Rock and Roll am Klavier beherrscht er übrigens genauso, wie die ganz hohe Kunst des Songschreibens. So trieb er die übermächtige Ballade "Levon" mangels Orchester mit Blockakkorden aus den Frühzeiten der Rockgeschichte über eine Langstrecke in eine Honkytonk-Ekstase. Um dann sofort die balladigste aller Balladen "Candle in the Wind" anzustimmen. Und mal so nebenbei zu beweisen, dass er in wenigen Minuten die gesamte Bandbreite der Emotionen ausloten kann. Ein Meister der Dramaturgie ist er ja auch noch.

Allzu viel Platz bleibt da nicht neben ihm. Seine Band weiß das seit Jahrzehnten. Nur Ray Cooper, sein Percussionist und Pauker, darf ein wenig Star neben dem Star sein. Der Gleichaltrige, der schon 1974 mit ihm und ansonsten mit so ziemlich allen von George Harrisson über Pink Floyd bis zu den Rolling Stones gearbeitet hat (und seit einigen Jahren, wie Elton John ansagte, in München lebt), kann nur mit einem Tamburin einen Druck aufbauen, der einen ganzen Song trägt.

Der Mann hat Geschmack

Und die Bühnenshow kann da noch mithalten, die, anders als früher, ganz ohne Bühnenbilder, Requisiten, Kostümwechsel (na gut, einen gab es) und Effekte auskam und sich auf eine sehr fein kuratierte Video- und Bilderfolge beschränkte. Der Mann hat Geschmack (den man ihm mit seiner über die Jahre oft schmerzfreien Auswahl an Kostümen und Brillen nicht immer zusprach). Zu "That's why they call it the Blues" liefen die bedrückenden Fotografien entfremdeter Paare von Martin Parr, zu "Philadelphia Freedom" hatte der Regisseur Sammy Rawal Voguing-Tänzer vor Komplementärfarben tanzen lassen und zu "Candle in the Wind" liefen ein "reenactment" der letzten Fotosession, die Bert Stern mit Marilyn Monroe gemacht hatte.

Elton Johns Songs hatten sich von Anfang an eine Zeitlosigkeit erspielt, die gerade in Amerika seinen Erfolg begründete. Da war man in den Siebzigerjahren froh gewesen, dass da ein Engländer die Linie des große Pop weiterführte, die nach Frank Sinatra vom Rock und den wüsten Zeiten der Emanzpiationsbewegungen, Unruhen und dem Vietnamkrieg unterbrochen worden war. Das funktionert nun auch vierzig, fünfzig Jahre später noch. Und selbst wenn mal was aus der Zeit gefallen ist, das Lied mit dem Titel "The Bitch Is Back" zum Beispiel, wusste er das zu umschiffen. Da gab es dann eben ein Video im Stil einer Achtzigerjahre-Soap, in dem sich ein paar Transvestiten im Swimming-Pool einer Villa prügeln. Das nahm dem sexistischen Titel den Stachel. Auf den Song gewartet hatten ja trotzdem viele.

Danach ging es auch schon in die Zielgerade. Zu "I'm Still Standing" gab es Videobilder aus seiner Vergangenheit und bei so manchem einen Kloß im Hals. Und als Erlösung als letztes Stück den Pianobrecher "Saturday Night's Alright For Fighting", den Fans gewidmet. Mit voller Kraft. Ermattung kann jedenfalls nicht der Grund sein, dass dies nun seine Abschiedstournee ist. Oder auch nicht. Sowas haben sich ja schon viele andere Stars anders überlegt.

Richtig. Zugaben gab es natürlich noch. Zehn Minuten, auf die wirklich alle gewartet hatten. "Your Song". "Goodbye Yellow Brick Road". Und viele Tränen.

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