"Eltern" im Kino:Am Nerv des Zusammenhalts

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Kindergeburtstags-Held mit Brötchenverdienerin - aber die Rollenverteilung bleibt fragil. (Foto: Oliver Vaccaro; DCM)

Die Irrnisse und Wirrnisse moderner Elternschaft: Wenn plötzlich zwei Berufe, zwei Kinder und eine Beziehung unter einen Hut gebracht werden sollen, dann gerät das bis dahin rund laufende Karussell des Familienlebens mitunter mächtig ins Trudeln. Robert Thalheims brillanter neuer Film "Eltern" zeigt das in allen Nuancen auf.

Von Rainer Gansera

"Alles was ich will, ist nur die Regierung stürzen". Den Song der Goldenen Zitronen können Emma und Käthe herrlich mitträllern. Emma singt mit parodistischem Überschwang, Käthe mit sanfter Inbrunst. Zwei Schwestern, brillant gezeichnete Kindercharaktere, wie man sie im aktuellen deutschen Kino noch nicht gesehen hat.

Emma (Emilia Pieske), die Fünfjährige, ist das blonde Engelchen, gewitzt, kokett, eine kleine Diva, die auch gehörig nerven kann. Die zehnjährige Käthe (Paraschiva Dragus) hingegen ist still, klug, von einem beinahe erwachsenen Ernst geprägt. Sie erspürt jede Spannung zwischen den Eltern, ahnt die Katastrophen, noch bevor sie geschehen. Sie ist das seismografische Zentrum der Familie.

Robert Thalheims Geschichte einer Familienkrise könnte auch "Kinder" heißen, denn die Kinder dominieren das Gruppenbild der vierköpfigen Familie. In Thalheims Erzählung, die Komödie und Drama raffiniert ausbalanciert, geht es im Kern um die Vertrautheit und Nähe zu den Kindern. Thematisch und inszenatorisch.

Oberflächlich freilich dreht sich alles um die Erwachsenen. Moderne Eltern, die alles haben wollen: Kinder, Karriere und prickelnde Partnerschaft. Sie agieren wie Jongleure, die viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten wollen - und wenn dann in den Niederungen des alltäglichen Familienmanagements das Zusammenspiel nicht richtig klappt, purzelt alles wild durcheinander.

Einst galt die Familie als Hort patriarchaler Repression, als gesellschaftliches Auslaufmodell. Die Ambition der Jugendlichen war, der familiären Enge und Spießigkeit zu entkommen. Christine (Christiane Paul) und Konrad (Charly Hübner) entstammen dieser Emanzipationsgeneration. Als sie selbst Eltern wurden, standen sie vor der Aufgabe, den familiären Raum neu zu definieren - und für sich zu erobern. Sie versuchten es mit einer modernen Familienaufstellung.

Zeremonienmeister und Superclown

Konrad hat seinen Beruf als Theaterregisseur für viele Jahre an den Nagel gehängt, um sich ganz der Kindererziehung zu widmen. Christine arbeitet pflicht- und karrierebewusst als Anästhesie-Ärztin an einer Klinik. Sie bringt das Geld nach Hause. Jetzt aber erhält Konrad eine berufliche Chance, die er unbedingt nutzen will. Er soll eine Neufassung von Hebbels "Nibelungen" auf die Bühne bringen.

Das muss möglich sein. Zur Kinderbetreuung wird ein hübsches Au-pair-Mädchen aus Argentinien engagiert - und schon gerät das Karussell des Alltagslebens mächtig ins Trudeln: Die Au-pair ist schwanger, Käthe will Papas Regieassistentin sein, Emmas heiß geliebter Hamster Specky verstirbt.

Von Anfang an intoniert Thalheim das Nähe-zu-den-Kindern-Thema. Der Prolog feiert Daddy Konrad als Zeremonienmeister und Superclown einer Kinderparty, die zu Emmas fünftem Geburtstag veranstaltet wird. Ein rotumrandetes Herz prangt auf dem Pappe-Brustpanzer seines Roboterkostüms. Beim Reise-nach-Jerusalem-Spiel heißt es für Mama Christine: "Du bist raus!". Dieser Satz wird fortan wie ein Menetekel über ihr schweben.

Sie geht in die Küche, nippt am Rotweinglas. Und bekommt von einer der Mütter zu hören: "Du weißt ja, dass wir alle wahnsinnig neidisch sind. Dein Konrad ist so ein toller Mann!" Sie murmelt: "Ich weiß schon, was ich an ihm habe". Zum ersten Mal beschleicht sie das Gefühl, tatsächlich "draußen" zu sein. Später wird sie es Konrad groß zum Vorwurf machen: "Du und die Kinder, ihr seid doch die eingeschworene Gemeinschaft, da passt doch niemand mehr dazwischen!"

Robert Thalheim, Absolvent der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg, Schüler Rosa von Praunheims, ist ein Schauspieler-Regisseur, ein Komplize seiner Darsteller. Seine Kunst ist die der Porträtzeichnung. Er konstruiert keine spektakulären Plots, sondern schöpft die Spannung aus den Nuancen der Darstellung.

Größte Wahrhaftigkeit gewinnt er aus eigenen Erfahrungen. So war das bei "Am Ende kommen die Touristen", wo er auf seine Erlebnisse als Zivildienstleistender an der Internationalen Begegnungsstätte in Auschwitz zurückgreifen konnte. So ist das hier, wenn er die Irrnisse und Wirrnisse moderner Elternschaft schildert.

Charly Hübners Daddy-Figur gerät nie in die Gefahrenzone der handelsüblichen Hausmann-Softie-Klischees. Mutterfigur Christine wird in keinem Moment als "Ehefrau auf dem Karriere-Egotrip" abgefertigt. Doch wenn die beiden um ihre Gestaltungsräume kämpfen, verletzen sie einander nadelstichfein und zielen mitten ins Schmerzzentrum der fragilen Selbstwertgefühle. Wer hat den wichtigeren Job?

Wer "opfert" sich mehr für die Familie? In tragikomischen Turbulenzen werden diese Fragen aufgerissen. Die herzergreifendste Szene aber spielt sich zwischen Konrad und Tochter Käthe ab. Die beiden verbindet ein besonderes Einverständnis, und als Konrad das aufkündigt, ist der Nerv des Zusammenhalts getroffen. Kinder regieren die moderne Familie, die Nähe zu ihnen definiert das Elternsein.

Eltern , D 2013 - Regie: Robert Thalheim. Buch: Jane Ainscough, Thalheim. Kamera: Henner Besuch. Ton und Musik: Anton Feist, Uwe Bossenz. Mit Charly Hübner, Christiane Paul, Paraschiva Dragus, Emilia Pieske, Clara Lago . DCM, 90 Minuten.

© SZ vom 16.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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