Süddeutsche Zeitung

Britische Literatur:Die Rückkehr des Krieges

Die Romane von Elizabeth Jane Howard galten lange als Frauen-Unterhaltung. Jetzt, fünf Jahre nach dem Tod der Autorin, erleben sie eine Renaissance.

Von Kathleen Hildebrand

Als Elizabeth Jane Howard 2014 im Alter von 90 Jahren starb, sangen die britischen Zeitungen ihr in ihren Nachrufen ein großes, aber nicht ganz ungebrochenes Loblied. Sie habe ihr eigenes Leben ohne Rückhalt in ihre Bücher gegossen, hieß es. Aber eine große Stilistin sei sie nicht gewesen, und auch nicht besonders selbstreflektiert. Aus den Texten unter den Schwarzweißfotos von Howards klarem stolzen Gesicht war ablesbar, dass ihr Werk nicht die Art von literarischer Anerkennung erfuhr, die viele Zeilen und Analysen wert ist.

Ganz anders ihr Privatleben. Darüber schrieben die Nachrufer nicht nur Zeilen, sondern Absätze und zwar viele davon. Kein Wunder, denn da konnte man von einer außerordentlich schönen Frau erzählen, die erst viel zu jung und dann viel zu oft heiratete. Es ging um gescheiterte Lieben, Scheidungen und Affären, um die High Society und die Londoner Litterati - Howards dritter Ehemann war der Schriftsteller Kingsley Amis, Martin Amis ist ihr Stiefsohn. Ihr eigenes, reales Leben war, so scheint es, einfach zu interessant, um sich lange mit ihrem Werk aufzuhalten.

In der Kriegsliteratur gilt: Verbrannte Körper stehen über verbrannten Kuchen

Seit ein paar Jahren allerdings erlebt Howard - die Schriftstellerin - eine Renaissance. Erst schrieb Hilary Mantel im Guardian eine Hymne auf diese große Menschenkennerin und Handwerkerin des Schreibens, die "wusste, was sie wollte und die Ausdauer und das technische Vermögen besaß, es zu erreichen." Ihr bekanntestes und meist geliebtes Werk, die in den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren angesiedelte Familienchronik der Cazalets, soll nun neu als Fernsehserie verfilmt werden. In Deutschland bringt Dtv die fünf Cazalet-Bände seit Ende vergangenen Jahres in einer neuen, gelungenen Übersetzung von Ursula Wulfekamp heraus. Der Verlag hat die Cover der Bücher von den impressionistisch hingetupften, pastellfarbenen Hutträgerinnen befreit, die die Romane in den Neunzigerjahren ins Schmökerregal der sogenannten "Frauenliteratur" verbannten. "Die Jahre der Leichtigkeit" und "Die Zeit des Wartens" sind bereits erschienen, gerade kam der dritte Band heraus, "Die stürmischen Jahre".

Dieser panoramatische Großroman über das Leben von fünf Generationen einer englischen Upper-middle-class-Familie in der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ist tatsächlich sehr autobiografisch. Die Cazalets handeln mit Holz, zwei Brüder leiten das Familienunternehmen. Elizabeth Jane Howard wurde 1923 in eine wohlhabende Holzhändlerfamilie geboren, ihr Vater und ihr Onkel leiteten die Geschäfte. Wie Howard fühlt sich im Buch die schöne Tochter Louise von ihrer Mutter ungeliebt, ihre Eltern trennen sich schließlich, genau wie die von Howard. Im dritten Band der Reihe heiratet Louise - wie die Autorin - nach einem kurzen Versuch, Schauspielerin zu werden, mit 19 einen älteren Marineoffizier. Nach dem Krieg verließ Elizabeth Jane Howard - ein Skandal - ihn und ihre neugeborene Tochter. Im Buch verlässt Louise ihren Sohn.

Howard deshalb naiven Tagebuch-Autobiografismus vorzuwerfen, wäre aber völlig verfehlt. Die Romane, die eigentlich ein großer sind, sind großzügig, ja fast barock in ihrer Detailfülle und schwenken, perfekt konstruiert, vom Innenleben eines jungen Hausmädchens zu dem einer Londoner Upper-Middleclass-Dame, die für die Ehe ihre Tanzkarriere aufgeben musste - und weiter zum Kutscher auf dem Landsitz der Familie, der mit dem Einzug des Automobils seinen beruflichen Lebenssinn verliert.

Howard fasst mit großer Empathie kleine und große Dramen in hochelegante Sätze, ohne ein Leid über das andere zu stellen. Schmerz ist Schmerz - ob ein gemeiner Cousin die Hütte zerstört, die sich der empfindsame Junge Christopher im Wald gebaut hat. Ob Rachel, die gute Samariterin und "ewige Jungfer" der Familie, ihre lesbische Beziehung verbergen muss und sie damit beinahe zerstört. Oder ob eine Tochter ihren im Krieg in Frankreich vermissten Vater nicht aufgeben kann und ihm deshalb ausführliche Briefe über das Familienleben zu Hause schreibt.

Die politische Ebene liegt verborgen im Privatleben der weiblichen Hauptfiguren

Die Bände leben von Howards hellsichtiger Charakterisierung und großen Liebe zu jeder ihrer Figuren. Auch zu Louises Vater Edward, der seine Frau betrügt und seiner Tochter gelegentlich unangenehm nahe kommt. Dass dessen Langzeitgeliebte mit den hyazinthblauen Augen nicht nur eine traurige, ewig auf ihn wartende Frau ist, sondern auch ein schlimmer Snob, das bemerkt man als Leser erst spät und durch den Blick anderer Figuren auf sie. Howards Erzählstimme selbst verrät niemanden.

Was der Geschichte der Familie Cazalet den Stempel vom harmlosen "Frauenbuch" eingebracht hat, ist zugleich das, was sie so ungemein auszeichnet und abhebt von anderer Literatur über die Kriegszeit: die Perspektive, aus der Howard von dieser Zeit erzählt. Die derer, die zu Hause bleiben. Der Frauen, der Alten und der Kinder, die ebenfalls unter Entbehrung und Gewalt, auch der Gewalt gegen ihre Männer leiden. "Wenn über diese Zeit geschrieben wurde", hat Howard in ihrer Autobiografie geschrieben, "dann ging es meist um Schlachten. Das Familienleben bildete nur den Hintergrund." Sie aber interessierte sich genau dafür und für die vielfältigen Weisen, auf die England sich in den Jahren, die dieser Krieg dauerte, verändert hat. Veränderungen, die zum großen Teil die Frauen betrafen.

Denn so hart sie auch waren - die Kriegsjahre bedeuteten nicht nur Leid für sie. In Howards klugen Romanen entdecken die Cazalet-Frauen ihre Eigenständigkeit, weil die Männer abwesend sind, alt oder aus anderen Gründen nicht mehr zum alleinigen Lebensmittelpunkt taugen. So bewirtschaften sie das Familienanwesen allein, betreuen verletzte Soldaten und gehen arbeiten.Von Generation zu Generation verschieben sich die Prioritäten dieser Frauen immer weiter von der Pflichterfüllung in Ehe und Mutterschaft hin zur Suche nach dem eigenen Glück jenseits gesellschaftlicher Konventionen. Am Ende steht eine Jugend, die sich das Leben ihrer Mütter und Großmütter mit Bediensteten in mehreren Häusern weder wünscht noch leisten kann. Die ästhetisch hochbegabte Polly arbeitet nach dem Krieg als Assistentin in einem Londoner Einrichtungsbüro. Als sie heiratet, steigt sie zwar in die den Adel auf und zieht in ein Herrenhaus - für dessen Unterhalt ihrem Mann das Geld fehlt. Um es halten zu können, dilettieren sie mit einem Hochzeitsunternehmen.

In ihrem Guardian-Essay fragt Hilary Mantel, warum Howards Romane nicht zu den großen Werken des 20. Jahrhunderts zählen, zu denen sie ihrer Ansicht nach gehören. Sie antwortet gleich selbst: Weil Howard als Frau über Frauen schrieb, also doppelt unterlegen sei. In der Hierarchie von Autorenschaft wie der der Themenwahl. "Das Kriegsgeschäft verdient mehr Platz als Geburten", schreibt Mantel über die Literatur und ihren Betreb, "auch wenn beide blutig sind."

So wie Howard in ihren Romanen stilistisch niemals protzt, sondern lieber ihre Prosa lieber betörend einfach fließen lässt, so ist auch die politische Ebene der Cazalet-Chroniken subtil. Sie versteckt sich hinter der Langeweile junger Ehefrauen, die sich zu nichts gebraucht fühlen als dazu Stammhalter zu produzieren. Hinter der sorglosen Gemeinheit von Ehemännern, die nie gelernt haben, dass eine Frau mehr als Staffage ist und hinter Liebesgeschichten, die das Aufeinanderprallen von alten und neuen Geschlechterbildern traumatisch enden lässt. Es sind leise, feine Bücher, die da nun glücklicher Weise wieder in den Buchhandlungen liegen. Bücher, die von höchster Beobachtungsgabe und Einfühlungsvermögen zeugen und von großer Menschenfreundlichkeit. Sie mögen altmodisch scheinen und sind verdächtig leicht und gut zu lesen. Aber harmlos, das sind sie wirklich nicht.

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Quelle:
SZ vom 2. November 2019/cag
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