Elisabeth Hauptmann:Brecht, ringsherum fetter

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Bertolt Brecht arbeitet 1927 in Berlin mit Elisabeth Hauptmann. (Foto: -/dpa/dpaweb; dpa)

In der Zeitschrift "Sinn und Form" tritt Elisabeth Hauptmann, Bertolt Brechts Sekretärin, aus seinem Schatten. Ihr Projekt: aus dem Mann einen Dichter von Gewicht zu machen.

Von Lothar Müller

Von sich selbst dachte schon der junge Bertolt Brecht nicht gering. "Seine Abfälle sammelte er mit Ehrfurcht", schrieb er 1920 über Goethe. Das klang nach Ironie, aber er nahm sich Goethe zum Modell. Also brauchte er einen Eckermann. Ein paar Jahre später spendierte ihm der Kiepenheuer-Verlag eine Sekretärin, in Gestalt von Elisabeth Hauptmann. Nachdem er einige Zeit mit ihr zusammengearbeitet hatte, gab er ihr Anfang 1926 den Auftrag, seine beiläufig geäußerten Ideen festzuhalten. Nichts, was als Arbeitsmaterial infrage kam, sollte verloren gehen. Das Sammeln von Abfällen klappte eher schlecht als recht, es kam aber einiges zusammen.

Nach dem Tod Brechts im Jahr 1956 widmete ihm die von der "Deutschen Akademie der Künste" herausgegebene Zeitschrift "Sinn und Form" im Folgejahr ein voluminöses Sonderheft von mehr als 600 Seiten. Drei Seiten darin stammen von Elisabeth Hauptmann. Sie hatte ihre alten Aufzeichnungen von 1926 durchgesehen, einige Einträge ausgewählt und bearbeitet. Sie waren so komponiert, dass am Ende der junge Brecht die Formel für das Epische Theater findet und sich Arbeiten über den Sozialismus und Marxismus beschafft: "Ich stecke acht Schuh tief im ,Kapital'. Ich muß das jetzt genau wissen ...".

Marin Kölbel und Peter Villwock haben nun Elisabeth Hauptmanns Tagebuchaufzeichnungen zu Brecht noch einmal durchgesehen, eine andere Auswahl getroffen und so publiziert, wie sie in dem kaum leserlichen Originaltext stehen ( Elisabeth Hauptmann: "2 x sehr über ihn geärgert" Tagebuchaufzeichnungen zu Brecht, in Sinn und Form. 73. Jg., 2. Heft, März/April. Berlin 2021). Aus dem Aufzeichnungsmedium Elisabeth Hauptmann wird in diesen Auszügen ein selbständiges Ich. Es würde, wenn es könnte, "dafür sorgen, dass er ringsherum 1 cm fetter würde + schwerer". Für die Liebesaffäre, die den beiden immer wieder nachgesagt wurde, gibt es keine Belege. Elisabeth Hauptmanns Entschlankungskur war das poetologische Projekt der Lektorin, die in der Sekretärin steckte: "Ich würde ihn an eine längere richtige Arbeit kriegen - nicht nur an Essays usw, kurze Sachen, Fetzen, Halbfertiges: Er muss schwerer werden."

Womöglich hätte Brecht an den Debatten des Jahres 2021 Spaß gehabt

Brecht wiederum hat die Konkurrenz fest im Blick, schießt, ob Arnolt Bronnen oder Döblin, kleine spitze Pfeile auf sie ab und "ist degoutiert von dem tötlichen Ernst, mit dem alle schreiben". Vor allem aber schmiedet er sein Bündnis mit der Gegenwart, auch das schlechte Neue ist immer noch besser als das gute Alte. Vor allem "die alten Leute im Theater, die durch Kondensmilch und Rübenmarmelade gegangen sind", straft er mit Nichtbefassung. Sie haben, zum Beispiel, keine Ahnung von der Bedeutung des Kaugummis für ein gegenwärtiges Theater. "Bei Corneille Moliere z. B. besteht ein Mann aus einer Leidenschaft - er ist ganz Geiz z. B. - heute ist er daneben noch vieles andere, er schlägt seinen Vater tot, kauft eine Bibliothek, kaut Kaugummi und ist höflich usw. Das müssen die Leute heute noch lernen das Nebeneinander von Sachen."

Manchmal klingt er, als wäre er ganz gern bei den Debatten des Jahres 2021 dabei: "Man kann immer nur auf seine Art darstellen. Man kann ein chinesisches Stück nicht von brasilianischen Schauspielern auf Honolulu aufführen lassen. Aber man kann vielleicht ein jap. Stück, in dem Totschlag vorkommt, für den man auch auf Honolulu Verständnis hat, (nicht ein Stück mit Harakiri) von honolulischen Schauspielern in Honolulu spielen lassen."

Mag sein, er kaut Kaugummi. Sicher ist, dass er mit Höflichkeit geizt. Wenn Elisabeth Hauptmann fieberkrank ist, hält er es nicht für nötig, sich nach ihrem Gesundheitszustand zu erkundigen. Am 24. März notiert sie: "Bis jetzt B. sehr wenig gesehen. Ich habe mich 2 × sehr über ihn geärgert - Misstrauensvotum und Unhöflichkeit kann ich schwer ertragen." Im Theater der Gegenwart wäre ein Einakter denkbar, der auf diesen Tagebuchnotizen beruht.

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