Süddeutsche Zeitung

Zwei Jahre Elbphilharmonie:Und was ist mit den Probenräumen im Bunker?

Hamburg feiert die Elbphilharmonie und der Kultursenator lobt Deutschlands "relevanteste Musikstadt". Dabei sind kreative Schmuddelecken mindestens so wichtig wie das schicke Konzerthaus.

Kommentar von Till Briegleb

An dem Erfolg gibt es nichts zu deuteln. Vor genau zwei Jahren wurde die Elbphilharmonie eröffnet, und seither fährt sie mit umgekehrtem Düsenantrieb. Auferstanden aus der Schlagzeilengruft brutal schlechter Nachrichten über Kosten und Bauverzögerungen wurde das "Millionengrab" mit der Gala am 11. Januar 2017 schlagartig zur swingenden "Stadtkrone". Niemand will jetzt mehr die Spaßbremse sein, die an die dilettantische Planungsphase und den horrenden Preis von fast 900 Millionen Euro erinnert. Alles Unken darüber, dass man mit Klassik längerfristig so viele Sitze füllen würde wie mit theoretischer Physik, verstummte zügig.

Stattdessen freut sich der Direktor des Konzerthauses, Christoph Lieben-Seutter, dass die "meistgefragten Veranstaltungen nicht mehr 20-fach überbucht sind, sondern nur mehr achtmal". Und alle anderen Kennzahlen sind ähnlich wohlklingend. Zwar nicht für die vielen frustrierten Kartenbesteller, die bis heute daran scheitern, ein Konzert ihrer Wahl im Großen Saal der Elbphilharmonie zu sehen. Aber die 1,8 Millionen Menschen, die in den rund 1300 Konzerten der ersten 24 Monate gewesen sind, ergeben eben eine fast hundertprozentige Auslastung.

Endlich mal ein Sieg der Optimisten, möchte man denken. Aber muss das dann gleich wieder zu Betriebsblindheit führen? Hamburg sei Deutschlands "relevanteste Musikstadt", erklärte der Kultursenator Carsten Brosda in einem Interview, als er gerade wieder auf der Euphoriewelle der Elbphi surfte. Doch kurz vor Weihnachten stand ein Haufen Musiker in seinem Vorzimmer und tat ihm kund, wie verheerend die Probenraumsituation in seiner schmucken Stadt eigentlich ist.

Die Musiker kamen nach der Schließung eines der letzten Weltkriegsbunkers wegen Lärmbeschwerden, die aus neuen Eigentumswohnungen in St. Pauli stammten. Hunderte Bands (darunter Fettes Brot, Die Goldenen Zitronen, Die Sterne und viele andere in Hamburger Teppichgruften groß gewordene Pop-Erfolge) machten dem Senator mit einer Petition klar, dass Hamburg weniger eine Musik- als eine Konzertstadt ist. Die grassierende Gentrifizierung vernichtet kreative Nischen, für die kein Ersatz geschaffen wird. Die Freude über große Glanzlichter im Eventkalender macht offensichtlich blind für die produktiven Schmuddelecken der Kunst. So ein Bunker sieht einfach nicht so hübsch aus wie eine Elbphilharmonie.

Diese Schattenseiten von Leuchtturmpolitik kennen auch Künstler auf der Suche nach Ateliers. Wo die Präferenz für kommerzielle Erfolge sich in Kostenfeuerwerken für Kulturbaustellen äußert, wird gerne vergessen, dass die Kunst von morgen nicht in Immobilienprojekten wie der Hafencity entsteht. Wer ernsthaft eine relevante Musik- und Kulturstadt sein will, der muss auch seine Schimmelecken pflegen.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2019/cag
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