Süddeutsche Zeitung

Elbphilharmonie:Foyer-Choreografie

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Der Countdown läuft für die gewaltige Eröffnungsshow der Hamburger Elbphilharmonie. Sasha Waltz hat mit ihren Tänzern schon mal das vielgeschossige Foyer erobert.

Von Dorion Weickmann

Für Tänzer ist es der absolute Albtraum: Boden hart wie Beton, überall Kanten und Schwellen und Stolperfallen. Trotzdem hat sich auch die Choreografin Sasha Waltz mit drei Dutzend Tänzern, mit Musikern und Sängern am Einweihungsmarathon der Hamburger Elbphilharmonie beteiligt. Waltz und ihr Team waren für die Erstbespielung der Foyers zuständig. Die Architekten Herzog & de Meuron haben die Pausenrestaurationen in ein trichterförmiges Korsett eingelassen: Unten im Eingangsbereich geht es recht eng zu, doch mit jeder Treppenstufe weitet sich der Raum, bis der Besucher das höchst gelegene und riesig dimensionierte Hauptfoyer erreicht. Von dort aus betritt er das Herz des Konzerthauses, den großen Saal mit seinen korallenartig beschichteten Wänden - akustischer Hi-Tech aus Japan.

Waltz schickt also das Publikum auf eine Expedition in die luftigen Höhen des Gebäudes, den Trip unterlegen Klänge von Bach bis Francis Poulenc. Dessen Komposition "Figure humaine" stiftet Titel und Leitmotiv des Abends - allerdings anders als gedacht. Denn die sechshundertköpfige Besucherschar steht sich zunächst vor allem gegenseitig im Weg, die Künstler dringen kaum durch. Sie retten sich in abgegrenzte Refugien, bilden blütengleiche Ornamente auf Treppenabsätzen und Handläufen, winken grüßend und hoheitsvoll segnend von Balustraden herab. Andere verstricken sich in luziferischen Aktionismus oder schnüren Wiederholungsschleifen aus Heben, Fallen, Aufstehen. Das kleinteilige Geschehen wirkt wie der Gegenentwurf zu der Aussicht, die der Flaneur auf allen Etagen genießt: Gigantisch und wie ein geschlossener Organismus liegen Hafen- und Stadtpanorama ihm zu Füßen.

Im großen Konzertsaal glückt Waltz und den Ihren dann doch eine Sternstunde der Bewegungskunst. Frauenkörper wiegen sich wie Korallen unter Wasser, bündeln sich zu Dreier-, Vierer- und Fünfergruppen, um eine stumme Symphonie anzustimmen: Allegro, Andante, Maestoso, Vivace - alles, was dazugehört. An diesem Ort findet "Figure humaine" ganz zu sich selbst. Und die Choreografin zu großer Form.

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Quelle:
SZ vom 04.01.2017
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