"Einsame Menschen" am Berliner Ensemble:Zeitgeist-Seifenblasen

"Einsame Menschen" am Berliner Ensemble: Gerrit Jansen und Nina Bruns in einer Szene aus "Einsame Menschen".

Gerrit Jansen und Nina Bruns in einer Szene aus "Einsame Menschen".

(Foto: Jörg Brüggemann)

Felicia Zeller holt Gerhart Hauptmanns "Einsame Menschen" am Berliner Ensemble in die Hipster-Gegenwart.

Von Peter Laudenbach

Felicia Zeller ist eine bösartige Autorin, und das ist absolut als Kompliment gemeint. Die Dramatikerin blickt mit einer gewissen Mitleidlosigkeit auf ihre Theaterfiguren, als würde sie über die seltsamen Gestalten staunen, die die Gegenwart bevölkern. Sie haben es sich in ihrer Wohlstandsverwahrlosung gemütlich gemacht, lauter geschmeidige oder verwirrte Opportunisten, Menschen wie lustig schillernde Zeitgeistseifenblasen mit seelischem Vakuum hinter dem aufgekratzten Selbstdarstellungstheater.

Natürlich hält sich jede und jeder für ein ganz besonders außergewöhnliches Individuum mit erlesenem Innenleben. In Zellers Stücken lassen sich die verlogenen und hochnotpeinlichen Seiten der berühmten "Gesellschaft der Singularitäten" besichtigen, die der Soziologe Andreas Reckwitz als kulturelle Endmoräne des Spätkapitalismus beschrieben hat. Das ist kein schöner Anblick, aber ein ziemlich komischer.

Jetzt hat sie das Personal von Gerhart Hauptmanns Kleinfamiliendrama "Einsame Menschen" vom Ende des 19. Jahrhunderts in die Berliner Hipster-Gegenwart geholt. Bettina Bruiniers Uraufführung im Neuen Haus, der kleinen Bühne des Berliner Ensembles, folgt Zellers spöttischer Tonlage: Die zügig auf die Pointen zusteuernde Erzählung ist nicht an subtileren Charakterstudien, sondern an der knalligen Karikatur der Figuren interessiert. Und weil diese Figuren nur aus Selbstverwirklichungsphrasen zu bestehen scheinen, sind ihre Dialoge eigentlich manische Monologe, die aufeinanderprallen, ohne eine Antwort abzuwarten, lauter endlose, hochtourige Behauptungswiederholungen mit verschlucktem Satzende.

Der Tiersoziologe schwadroniert von "Empowerment", aber kreist nur um sich selbst

Gerhart (Gerrit Jansen), ein Intellektuellen-Kasper im pinken Dreiteiler wie eine Mischung aus Vaudeville-Figur und Spätabkömmling eines ausgestorbenen Bürgertums, schreibt seit Jahren an seiner "tiersoziologischen" Doktorarbeit, der Privatgelehrte als Edelbohemien, die nicht in Gang gekommene akademische Karriere als Lebenslüge. Dass es in der Doktorarbeit irgendwie um in Herden und Schwärmen lebende Tiere und deren Inspiration für das "Empowerment" des modernen Menschen geht, ist insofern komisch, als der Egozentriker vor allem um sich selbst kreist.

Anders als in Hauptmanns Stückvorlage aus dem vorletzten Jahrhundert ist seine Gattin Marie (Sina Martens) keine aufopferungsvoll liebende Ehefrau, die ihren Wert nur durch den angebeteten Mann definiert, sondern eine moderne Frau, Erbin einer Schokoladen-Dynastie und Architektin in einem natürlich superhippen Architekturbüro. Dass sie auch in der Babypause ihren Schmarotzergatten durchfüttert, ist klar. Aber irgendwie muss das neue Haus mit Seegrundstück im Berliner Umland finanziert werden, also wird eine Etage zum Coworking-Space. Und damit fängt der Ärger an.

Nicht eine intellektuelle Studentin jagt die labile Ehe-Monogamie in die Luft, wie bei Hauptmann, sondern die digitale Nomadin Margarete (Nina Bruns). Sie bringt den armen Gerhart in seinem Geltungsbedürfnis auf gewagte Gedanken und Gelüste, meint es als Sozialautistin aber wörtlich, dass sie zum Leben nicht mehr als einen Wlan-Anschluss braucht. Ihre Geschäftstüchtigkeit ist so robust wie ihr Befindlichkeitsparlando, selbst aus dem Vogelkot auf der Fensterbank macht sie ein Projekt: den könnte man doch online als "Himmelsdünger aus der Nachbarschaft" vermarkten.

Der Hausfreund Bölsche (zuverlässig kraftvoll: Oliver Kraushaar) kann mit seinem Leben auch nicht viel anfangen, also macht er sich als Öko-Aktivist und Waldretter wichtig - aber vielleicht muss der Wald auch nur gerettet werden, weil die geplante Schnellstrasse den Wert des Seegrundstücks mindern würde.

Das ist das Schöne am nichtgelebten, verpassten Leben, es erlaubt, von lauter grandiosen Möglichkeiten eines aufregenderen Selbst zu träumen. Man blickt durchaus mit Schadenfreude auf die Peinlichkeitsverrenkungen und schlecht kaschierten Lebensdesaster dieser Gestalten aus der Beletage, die ihren moralischen Dünkel problemlos mit dem kompletten Desinteresse an anderen Menschen zu verbinden wissen.

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