Einheitsdenkmal für Leipzig:Schaut auf diese Stadt

Leipzig wählt unter drei Entwürfen ein Einheitsdenkmal. Möglich wären: Ein grünes Eiland, bepflanzt mit Apfelbäumen, "Eine Stiftung an die Zukunft" oder etwas, was zunächst wie ein buntes Fußballfeld wirkt. Und es sieht so aus, als sei der Herbst 1989 in sehr weite Ferne gerückt.

Jens Bisky

Von der schaukelnden Schale, die in Berlin auf dem Sockel des abgetragenen Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals errichtet werden und als Freiheits-und Einheitsdenkmal fungieren soll, hat man lange nichts mehr gehört. Der Sockel ist noch nicht saniert, die technischen Schwierigkeiten der Umsetzung seien, so heißt es, groß. Es wird also dauern, bis neben dem Humboldt-Forum das Monument der Freude ersteht. Diese Verzögerung stimmt unter tausend Berlinern kaum einen halben traurig.

"Herbstgarten", ein Entwurf für das Leipziger EInheitsdenkmal

Den dritten Platz gewannen Anna Dilengite, Tina Bara und Alba d'Urbano aus Leipzig. Anna Dilengite ist durch das Leipziger Synagogendenkmal bekannt. "Herbstgarten" heißt der Entwurf.

(Foto: dapd)

Auch in Leipzig, der Heldenstadt der Friedlichen Revolution, wird ein Freiheits- und Einheitsdenkmal geplant. Der Bund stellt fünf Millionen Euro zur Verfügung, das Land Sachsen 1,5 Millionen. In der vergangenen Woche wurden die drei Preisträger des Wettbewerbs bekanntgegeben, ausgewählt nach einem vorgeschalteten Bewerberverfahren unter 39 Einreichern aus neun Ländern. In der Wandelhalle des Neuen Rathauses kann man sämtliche Entwürfe betrachten. Der vorgesehene Standort, etwa zwanzigtausend Quadratmeter auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz liegt vor der Haustür.

Alle Informationen finden sich im Internet: Unter www.denkmaldialog-leipzig.de hat jeder die Möglichkeit zu Kommentaren, zu Fragen an Verantwortliche und Künstler. Ausstellung und Forum werden von den Leipzigern heftig genutzt. Schrille Töne bleiben nicht aus, aber alles verläuft ohne die Peinlichkeiten und Pannen, die den Berliner Wettbewerb berüchtigt gemacht haben. Leipzig zeigt, wie es geht. Daher scheint es nicht ausgeschlossen zu sein, dass zum 25. Jahrestag der Revolution das Denkmal tatsächlich eingeweiht werden kann. Soll man die Leipziger dazu beglückwünschen?

Wie der Tahrir-Platz später in Kairo

Die meisten Entwürfe sind interessanter, überlegter als das, was man in Berlin zu sehen bekam. Das hat mehrere Gründe: Die Auslobung war sorgfältiger vorbereitet; wenn auch der Wilhelm-Leuschner-Platz in der Revolutionsgeschichte kaum eine Rolle spielte, bietet er doch deutlich mehr Raum als der bedeutungsbeladene Berliner Sockel. Überdies erschöpft sich das Sujet nicht in Redensarten: Der 9. Oktober, der Tag, an dem etwa 70.000 Menschen um den Innenstadtring zogen, durch Mut, Besonnenheit und Masse die Sicherheitskräfte zum Rückzug zwangen, war der Wendepunkt des Herbstes 1989.

Da der Ring eine städtebauliche Voraussetzung der Revolution war, so wie der Tahrir-Platz später in Kairo, spielen viele Entwürfe mit dem ja auch sonst symbolisch ergiebigen Ring-Motiv. Andere gleichen touristischen Attraktionen, etwa ein "Leuchtturm der Freiheit", ein "Ostwestliches Riesenrad" oder ein Radio-Sendemast. Die meisten Künstler, Architekten, Landschaftsgestalter scheuen jedoch große Gesten. Sie setzen auf das Mitmachen der Bürger, auf deren Agilität und Demokratiekompetenz. Am konsequentesten in dieser Richtung verfährt Santiago Sierra aus Madrid, der lediglich Regeln für sein immaterielles Denkmal deklarieren will: Der Platz sei zum exterritorialen Gebiet zu erklären, auf dem keine Autorität gelte, das Geld sei den Leipzigern zu übergeben, die den Platz gemeinsam nutzen und verwalten sollen. Doch die Wettbewerbsbedingungen erlauben derlei nicht.

Den dritten Platz gewannen Anna Dilengite, Tina Bara und Alba d'Urbano aus Leipzig. Anna Dilengite ist durch das Leipziger Synagogendenkmal bekannt. "Herbstgarten" heißt der Entwurf für den Leuschner-Platz. Ein grünes Eiland soll ihn künftig zieren, bepflanzt mit Apfelbäumen, wobei an den Baum der Erkenntnis und an einen zu Tode zitierten Luther-Satz gedacht werden kann. Auch lässt sich der natürliche Zyklus symbolisch ausdeuten: die Blüte im Frühjahr könnte an die chinesische Demokratiebewegung erinnern, die auf dem Tian'anmen massakriert wurde, die Ernte an den ostdeutschen Herbst. Offene Pavillonmodule stehen herum, wer von weit oben schaut, erkennt die Schriftzüge: "Keine Gewalt". Über Lautsprecher hört man Texte zu den dramatischen Ereignissen. Der "Herbstgarten" ist ein Favorit vieler Leipziger, sein Vorzug klar: so viel Grün wie möglich und so wenig Denkmal wie nötig.

2. Platz: "Eine Stiftung an die Zukunft" von Jan und Tim Edler

"Eine Stiftung an die Zukunft" wünschen sich die Berliner Architekten Jan und Tim Edler. Ihr Entwurf, für den sie den zweiten Preis bekamen, vereint drei Ebenen. Ausgehend vom 9. Oktober 1989, dem eine wuchtige, plastische Sitznische gewidmet ist, wollen sie ein Kreisdiagramm von 32 Metern Durchmesser auf den Platz malen. In farbige Segmente werden die Forderungen der Demonstrationen in der Stadt geschrieben, die Größe des Segments richtet sich nach der Teilnehmerzahl.

"Eine Stiftung an die Zukunft", ein Entwurf für das Leipziger Einheitsdenkmal

"Eine Stiftung an die Zukunft", der zweitplatzierte Entwurf der Berliner Architekten Jan und Tim Edler.

(Foto: dapd)

Mit jedem Jahr beginnt ein neuer Zyklus, und so würde das Denkmal eine Chronik des Protests: "Free Ai Weiwei" und "Stopp Acta" würden allmählich verwittern, dann übermalt, aber präsent bleiben auf der dritten Ebene, einem digitalen Archiv nebst Diskussionsplattform im Netz. Ein großer Teil des bereitstehenden Geldes soll einer Stiftung zugute kommen, die sich um die fortlaufende Aktualisierung kümmert. Das freilich widerspricht den Wettbewerbsstatuten. Dieser Entwurf ist von allen der politischste, eine Anleitung für die Zukunft, aber eine bloß formale: Demonstrier mal wieder, wofür oder wogegen auch immer!

1. Platz: "70.000" von Marc Weis und Martin de Mattia

"70.000", ein Entwurf für das Leipziger Einheitsdenkmal

Der erste Preis ging an die Münchner Architekten Marc Weis und Martin de Mattia für den Entwurf "70.000".

(Foto: dapd)

Den ersten Preis haben die Münchner Marc Weis und Martin de Mattia mit "70.000" gewonnen: auf den ersten Blick ein buntes Fußballfeld. Auf farbigen Keramikplatten stehen farbige Podeste aus Aluminiumblech. Die meisten dieser Podeste können Bürgern ausgehändigt oder einfach mitgenommen werden: ein demokratisches Souvenir. Die sieben Farben sind sorgsam gewählt, sie erinnern an die Bestuhlung des Gewandhauses, die Uniform der Volkspolizei und Zeittypisches mehr. Jeder Farbe ist ein Buchstabe zugeordnet, wer das weiß, kann im bunten Feld "Einheit" und "Freiheit" lesen.

Diese dekorative Spielerei mag am Tisch charmant wirken, ob sie die Umsetzung ins Monumentale verträgt, bleibt zu bezweifeln. Und so wie das Schaukeln durch Gruppenbildung in Berlin wirkt das Podest-Mitnehmen in Leipzig wie eine naive Inszenierung von Demokratie. Besteht die nicht wesentlich darin, dass man etwas beiträgt, abgibt, aufgibt? Müsste man nicht vielmehr Hocker und Podeste auf den Platz bringen, statt ein Freiheits-Andenken heimzutragen?

Die entscheidende Erfahrung der Montagsdemonstrationen, die Selbstermächtigung, die Aufkündigung des Gehorsams im "vormundschaftlichen Staat", spiegelt kein Entwurf. Einer, der am 9. Oktober dabei war, meinte während einer Führung durch die Ausstellung, er erinnere sich an Angst, Mut, Disziplin und finde dies nirgends wieder. Vor der Nikolaikirche steht - unaufdringlich, eindrucksvoll - eine Säule zum Gedenken an den Aufbruch, nicht weit vom Neuen Rathaus dokumentiert das Museum "Runde Ecke" in der einstigen Stasi-Zentrale den revolutionären Geist des Herbstes.

Unterm Leuschner-Platz, in einer City-Tunnel-Station könnte man zeitgeschichtlich informieren. Hilft das gegen die Schwäche der Entwürfe? Sie fangen das Besondere der Friedlichen Revolution nicht ein, sondern domestizieren die einzigartigen Erfahrungen in Inszenierungen gegenwärtiger Hoffnungen und Illusionen. Es sieht so aus, als sei uns der Herbst 1989 sehr fern gerückt, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz fremd geworden. In welcher Form diese Fremdheit Denkmal werden soll, muss jetzt der Stadtrat entscheiden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: