Eine Quote für Deutschlands Pop:Der Jägerzaun

Sie fühlen sich unterrepräsentiert in den deutschen Medien und wollen das nicht länger hinnehmen. Nach ersten Versuchen in den neunziger Jahren starten heimische Popgrößen wie Xavier Naidoo oder Udo Lindenberg nun einen neuen Anlauf. Ihr Ziel: eine Radioquote für deutsche Popmusik.

Von Johannes Willms

Der neue Aufruf im Internet (siehe link "Im Netz") wird bislang von rund 450 Musikern unterstützt. Darunter sind altbekannte Quoten-Befürworter wie Heinz Rudolf Kunze - doch erstmals haben sich nun in größerer Zahl Branchenstars wie Niedecken, Lindenberg und Maffay, aber auch junge Musiker wie Xavier Naidoo und Jan Eißfeld angeschlossen. Am 29. September findet zum Thema eine Anhörung im Bundestag statt. Wir dokumentieren hier unterschiedliche Positionen zu diesem umstrittenen Thema.

Eine Quote für Deutschlands Pop: Will mehr deutschsprachigen Pop im deutschen Radio: Der Sohn Mannheims, Xavier Naidoo. Mit auf der Liste der Künstler sind Sangeskollegen wie Emanuel Fialik  von Rammstein, Ulla Meinecke oder Michael Schmidt alias Smudo.

Will mehr deutschsprachigen Pop im deutschen Radio: Der Sohn Mannheims, Xavier Naidoo. Mit auf der Liste der Künstler sind Sangeskollegen wie Emanuel Fialik von Rammstein, Ulla Meinecke oder Michael Schmidt alias Smudo.

(Foto: Foto: AP)

Vorreiter in Sachen Radioquote ist Frankreich, wo bereits seit 1994 französischsprachige Künstler gezielt unterstützt werden sollen.

Zum französischen Wesen, das den Rest den Welt gelegentlich vor Rätsel stellt, gehört der Anspruch, eine "kulturelle Ausnahme" zu sein. Damit ist gemeint, dass man es im Land der mehr als 325 Käsesorten erfolgreich verstanden habe, die eigene "kulturelle Identität" erfolgreich gegen fremde Einflüsse zu behaupten. Die Abwehr gilt vor allem der amerikanischen Kulturindustrie, die auch in Frankreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem in Film und Musikszene die Standards setzte.

Dieser Prozess, bei dem das Eigene durch das irgendwie erfolgreichere Fremde mehr und mehr verdrängt zu werden droht, beschleunigte sich in dem Masse, wie sich das Fernsehen zu einem Massenmedium entwickelte und der private Hörfunk sich ausbreitete. Von dem damit Hand in Hand gehenden sprunghaft wachsenden Bedarf nach preiswerten und publikumsgängigen Programminhalten profitierten zwar auch einheimische Produzenten, gleichzeitig war abzusehen, dass auf mittlere Frist die Erzeugnisse der amerikanischen Traumfabrik die Märkte beherrschen würden.

Identitätsverlust und kulturelle Überfremdung

Dem Identitätsverlust, der kulturellen "Überfremdung", die damit drohten, galt es mit aller Entschiedenheit zu begegnen. Das ist ein Thema, das in Frankreich über alle Lager hinweg unstrittig ist, und bei dem Linke wie Rechte, Liberale wie Protektionisten am gleichen Strang ziehen: Ihnen allen ist es eine geradezu heilige Pflicht, die Eigenart der französischen Kultur zu wahren, denn sie ist es vor allem, die das Image Frankreichs prägt, den Anspruch auf seine Führungsrolle auch nach dem Verlust des "Empire française" unterstreicht.

Das ist der eine Aspekt. Ein anderer, weitaus sympathischerer und ohne allen Hintersinn als Vorbild zu empfehlender ist, dass der Franzose seine Kultur um ihrer selbst willen schätzt. Diese oft belächelte durchaus liebevolle Achtung und stete Aufmerksamkeit, die den Hervorbringungen der eigenen Kultur, den sogenannten Schönen Künsten so gut wie den Tafelfreuden oder der Mode, gezollt wird, hat nicht zuletzt für deren Produzenten immense Vorteile.

In Frankreich gelten nicht nur die Erfolgreichen in ihrem Metier etwas, sondern die nämliche Wertschätzung widerfährt auch dem, dessen künstlerische Tätigkeit hierzulande als "brotlos" gering geschätzt, der rasch als "gescheitert" gelten würde.

Praktische Konsequenzen

Dieses breite gesellschaftliche Interesse, das in Frankreich den kulturellen Belangen entgegengebracht wird, hat eine Reihe sehr praktischer und nachahmenswerter Konsequenzen. Eine der wichtigsten davon ist, dass die französische Urheberrechtsgesetzgebung in vieler Hinsicht vorbildlich zu nennen ist. Das gilt insbesondere für die Honorierung der Verwertungsrechte, die in Frankreich wie in Deutschland von nach Sparten organisierten Gesellschaften des privaten Rechts eingesammelt und an die Urheber verteilt werden.

Eine andere Konsequenz ist die Praxis, dass die Konsumenten von Kultur auch einen Obolus für deren Förderung entrichten müssen. So ist im Preis jeder Kinokarte, die in Frankreich verkauft wird, ein Betrag enthalten, der unmittelbar der Finanzierung der heimischen Filmproduktion zu Gute kommt. Mit anderen Worten: Auch wer sich bei "Shrek" oder "Spiderman" amüsiert, trägt dazu bei, den französischen Film materiell zu unterstützen.

Eine vergleichbar effiziente Regelung zum Schutz und zur Förderung der französischen Unterhaltungsmusik wurde mit dem am 1. Februar 1994 beschlossenen Gesetz zur Regelung der Kommunikationsfreiheit angestrebt, das den Fernseh- und Radiosendern zur Auflage machte, ihre Musikprogramme wenigstens zu 40 Prozent mit französischsprachigen Produktionen zu bestücken. Artikel 12 dieses Gesetzes bestimmte zum weiteren, dass wenigstens 20 Prozent mit Produktionen bestritten werden müssten, "die von neuen Talenten oder aus aktuellen Aufnahmen stammen, die zu Zeiten intensiver Programmnutzung ausgestrahlt werden."

Der Jägerzaun

"Junge Talente" sind solche, die noch nicht zwei "goldene Schallplatten" erhalten haben oder die nicht schon vor 1974 eine Platteneinspielung veröffentlichten.

Diese Bestimmung wurde anfangs vor allem von den privaten Hörfunksendern, die auf ein von Werbung unterbrochenes Programm musikalischer Dauerberieselung spezialisiert sind, dadurch unterlaufen, dass sie die Quote von 40 Prozent dadurch erfüllten, französische Chansons und insbesondere solche der "Jungtalente" in den nutzungsarmen späten Nacht- und frühen Morgenstunden zu versenden.

Oder auch dadurch, dass sie mehrmals täglich einen der erfolgreichen französischen Titel auflegten. Auf Druck der Aufsichtsbehörde CSA (Conseil supérieur de l'Audiovisuel), die über ein gestaffeltes Instrumentarium an Sanktionen bis hin zur zeitweiligen Schließung eines Senders verfügt, hat sich diese Praxis in den letzten Jahren sehr verändert: Im "Nudelprogramm" dieser Stationen wechselt sich nun in der Regel ein englischsprachiger Song mit einem französischen Chanson ab. Auch die Quote der französischsprachigen Musikbeiträge liegt unterdessen im Schnitt aller Stationen bei rund 50 Prozent.

Früher ging' s auch ohne

Ein nachweisbarer Effekt dieser Quotenregelung lässt sich mittelbar auf der Einnahmenseite feststellen. Im Jahr 2002 konnte die SACEM (Société des Auteurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique), das französische Gegenstück zur GEMA, die Summe von 530,8 Millionen Euro an 43 686 Gesellschafter verteilen, von denen Autoren, Interpreten und Komponisten mit 34 405 den Löwenanteil stellen.

Von der über einer halben Milliarde Euro auf der Habenseite der SACEM entfielen 181,6 Millionen auf Einnahmen aus dem Bereich Fernsehen und lediglich 38,7 Millionen auf den Hörfunk. Die der Quotenregelung unterliegenden Medien trugen unmittelbar also nur 33 Prozent zu diesem Ergebnis bei.

Wesentlich aussagekräftiger ist deshalb der Anstieg der Verkaufszahlen französischer Musikproduktionen seit Einführung der Quotenregelung. Schlug dieser 1994 mit einem Anteil von 44 Prozent an allen verkauften Schallplatten zu Buche, so verbesserte sich dieser bis 1997 auf 48 Prozent. Noch deutlicher wird diese Entwicklung, legt man die absolute Anzahl von französischen Musikproduktionen zu Grunde. Wurden 1994 nur 117 französische Singles und 98 Alben veröffentlicht, stieg deren Zahl 1997 auf 308 und 358. Der Anteil der "jungen Talente" an dieser Produktion stieg im selben Zeitraum von 43 auf 154 Produktionen bei den "Singles" und von 51 auf 138 bei den Alben.

Die von der SACEM aus dem Verkauf von Musikträgern aller Art erzielten Rechterlöse beliefen sich 2002 auf 24 Prozent der Einnahmen. Aufschlussreich ist zum weiteren, dass von den hundert Personen, die wertmäßig den größten Anteil der Rechteverwertung einkassierten, 69 im Bereich des Chanson und des Varieté tätig sind; 21davon treten auch als Interpreten auf.

Oberflächlich betrachtet: Positiver Einfluss

Aus diesen Zahlen lässt sich der Schluss ziehen, dass das Quotensystem die französische Musikproduktion positiv beeinflusst hat. Dagegen ließe sich einwenden, dass Johnny Halliday, Gilbert Becaud, Charles Aznavour e tutti quanti schon zu Zeiten zu Weltruhm gelangten, als es dieses System noch nicht gab.

Das gilt erst recht für die längst verstorbenen Größen des französischen Chansons, für die Piaf, Brassens, Brel oder Gainsbourg. Andere, wie die wunderbare Catherine Sauvage, die eine Röhre wie die Piaf hatte, sind bereits zu Lebzeiten verstummt und verschwunden. Andererseits darf man jedoch vermuten, dass das Quotensystem die in letzter Zeit bemerkbare Renaissance des französischen Chansons, die sich vor allem mit den Namen Carla Bruni oder Benjamin Biolay verbindet, die mit ihren poetischen Liedtexten an dessen beste Traditionen anknüpfen, positiv beeinflusst hat.

Möglich aber auch, dass sie sich ohnedies durchgesetzt hätten, denn Kunst kommt bekanntlich von Können und nicht von Quote, der stets der Verdacht anhaftet, nur Mittelmaß zu prämieren.

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