"Eine deutsche Rapgeschichte":Böhmermanns fette Bässe

Böhmermann Dendemann witzefrei

Deutscher Hip-Hop umgegendert - dank Anke Engelke.

(Foto: Screenshot Youtube)

Justin Timberlake legt in einer US-Latenight-Show vor, Jan Böhmermann macht es nach: Mit Dendemann rappt der ZDF-Moderator ein Medley aus 25 Jahren deutscher Hip-Hop-Geschichte. Und macht das sogar noch klüger als sein Vorbild.

Von Matthias Huber

Dieses Pfeifen kennt jeder. In diesem Fall steht es für einen Skype-Anruf, von Thomas. "Hallo Thomas." - "Hallo." - "Alles klar?" - "Klar. Ist es schon wieder Donnerstag?" Ja, ist es, sagt Fernsehmoderator Jan Böhmermann. Und dass er jetzt keine Zeit hat, weil er rappen muss. Mit Dendemann, Hamburger Deutschrap-Urgestein, vormals die Eins von Eins Zwo, noch früher Live-Vorgruppe von Fettes Brot. Das war etwa 1996. "Meine Freundin ist weg und bräunt sich."

Was Böhmer- und Dendemann am Donnerstag in der ZDFneo-Show "Neo Magazin Royale" veranstaltet haben, nennen die beiden liebevoll "eine deutsche Rapgeschichte". Eine Ehrerbietung an das, was US-Latenight-Talker Jimmy Fallon und Popmusik-Riese Justin Timberlake mittlerweile bereits vier Mal auf die Fernsehbühne gebracht haben: Moderator und musikalischer Studiogast rappen und singen sich durch 30 Jahre Hip-Hop-Geschichte, ein Medley aus Evergreens und Geheimtipps, gespickt mit kleinen Referenzen an noch viel mehr Songs, die es nicht in die immerhin 35 Lieder lange Playlist geschafft haben.

Die Meisterleistung daran: J.Bizzy (so der mitten im Song verliehene Bühnentitel für den Moderator) und Dende gelingt es, das große amerikanische Vorbild noch zu übertreffen. Vielleicht nicht in Sachen Performance, denn da bringen Fallon und Timberlake begleitet von Fallons Studioband, der Hip-Hop-Gruppe "The Roots", noch ein ganzes Stück mehr Wucht auf den Schirm. Aber während die Amerikaner die Geschichte des Genres hauptsächlich zitieren, machen Böhmermann und Dende sogar noch neuen Hip-Hop daraus. "Hast du Interesse, an Rap und fette Bässe?" - "Dann ist Neo Magazin Royale die richtige Adresse."

"Samplen, remixen - das ist die Hip-Hop-Kultur"

Der Reiz an so einer Darbietung ist die gespielte Spontanität. Natürlich ist all das einstudiert, vermutlich sogar sehr mühsam. Aber trotzdem, dieses "wir singen einfach mal, was uns einfällt" gehört zum Charme des musiknostalgischen Festivals zwingend dazu. Deshalb reden Jan Böhmermann und Daniel Ebel auch erst einmal über Hip-Hop, ehe sie als J.Bizzy und Dendemann zum Mikrofon greifen. "Samplen, remixen - das ist die Hip-Hop-Kultur", sagt Böhmermann. "Bist du am Start, Dende?" Ist er.

Böhmermann Dendemann witzefrei

Per Skype-Konferenz hilft das deutsche Hip-Hop-Kollegium mit ihren Versionen diverser Klassiker aus.

(Foto: Screenshot Youtube)

Die 35 Rap-Schnippsel, die folgen, stammen vielleicht nicht aus den bekanntesten deutschen Hip-Hop-Songs, womöglich nicht einmal aus den wichtigsten. Künstler aus der zweiten Reihe wie Spax, MC Rene oder Main Concept, die vielleicht weniger Platten verkauft, dafür aber die Szene in den 90er Jahren insgesamt umso mehr und nachhaltiger geprägt haben, kommen im zehnminütigen Medley nicht vor. Auch die musikalisch unverzichtbaren Kinderzimmer Productions und FlowinImmo haben es nicht in die Auswahl geschafft. Von Blumentopf werden ausgerechnet ein paar Takte aus dem wenig typischen "Safari" angespielt, und für das klitzekleine und gut versteckte Curse-Zitat muss man schon sehr aufmerksam zuhören.

Böhmermann und Dende schaffen neuen Hip-Hop

Böhmermann Dendemann witzefrei

Böhmermann versucht sich sogar an den Hip-Hop-Posen - wenn auch nicht so gut, wie US-Vorbild Jimmy Fallon.

(Foto: Screenshot Youtube)

Aber viel wichtiger als eine komplett solide Kanon-Auswahl, wie sie auch Fallon und Timberlake produzieren, ist das, was Böhmermann und Dende aus diesem Musik-Mischmasch zusammensetzen. Kaum ein Song kommt unverändert über ihre Lippen: Mal tauschen sie ein paar Textzeilen gegen eigene aus, mal zitieren sie ein Lied nur, indem sie das Instrumental unter den Text eines anderen Stücks legen. Hip-Hop eben, das Zitat im Sample, und womöglich das postmodernste Popmusik-Genre überhaupt.

"Wer Hip-Hop macht, aber nur Hip-Hop hört, betreibt Inzest", hat Jan Delay einmal gerappt, und es war vielleicht der wichtigste Satz, den je ein deutscher Hip-Hopper in einen Song gepackt hat. In neun Wörtern beschreibt er die Essenz der ganzen Szene. Der Satz ist Musiktheorie, Leitmotiv und Kulturkritik in einem. Das war im Jahr 2003. Mittlerweile ist auch in diesem Genre die postmoderne Selbstreferenz satisfaktionsfähig, Künstler wie Fettes Brot und Das Bo performen in ihren Live-Auftritten ähnlich nostalgische Medleys. Und Böhmermann und Dende haben ebenfalls verstanden, was ein Zitat von musikalischem Inzest unterscheidet.

Deshalb ist es auch ein kleiner Geniestreich, ein knappes Dutzend anderer Künstler in die Performance einzuladen. Anke Engelke rappt eine halbe Strophe aus "Hand aufs Herz" von Dendemann, und gendert dabei kurzerhand "Pussies" um in "Typen fallen reihenweise um wie Dominosteine". Per Skype-Schalte tauchen außerdem diverse Hip-Hop-Promis auf, von Blumentopf bis Bürger Lars Dietrich, von Curse bis Kollegah, von Smudo bis Samy Deluxe. An den Bildschirmecken immer wieder Nachrichten von Bushido, der angeblich auch gerne mitspielen würde. Auch der Diss ist eben ein Teil der Hiphop-Kultur.

Freunde aus dem Fernsehen

Die Zitat-Krönung gelingt Absolute-Beginner-Frontmann Eißfeldt bzw. Jan Delay: Sein Anruf leitet mit einer Parodie der Comedy-Nummer aus dem eigenen Song "Füchse" das Promi-Medley per Skype-Videokonferenz ein. Und schließt am Ende mit einer Performance von "Easy", dem Song von Cro, in dem wiederum eine gehörige Portion Hommage an Jan Delay steckt.

Als die Hip-Hopper aufgelegt haben, spielt Böhmermann den Deprimierten. Es hätten nur "Freunde" von Dendemann angerufen. Wer Hip-Hop macht, aber nur Hip-Hop hört, betreibt Inzest. "Was ist denn mit deinen Fernsehfreunden?", fragt Dendemann zurück. Oh, es klingelt just das Telefon. Eine wohlbekannte gepfiffene Melodie, "Die da!?!" von den Fantastischen Vier. Am anderen Ende der Leitung: Thomas. Nicht D, sondern Gottschalk.

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Spotify-Playlist mit 26 der 35 Songs

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