Bei den sechs Journalisten, die zwischen selbstgekauften Ikea-Tischen, Obsttellern und dem Gewerkschaftskalender sitzen, klingt es reihum nach Verschwörung. Mindestens. "Es war geplant wie im Krieg", sagt der eine. "Wie vom Geheimdienst", assistiert ein anderer. "Die Mafia hätte das nicht besser hingekriegt", höhnt der Dritte. Die Wut ist geblieben. Auch jetzt noch, 14 Monate nach jenem trostlosen Freitagabend.

Am 19. Januar 2007 war den 17 Redakteuren der Münsterschen Zeitung (MZ), die im Verlag Lensing-Wolff erscheint, bei einem Treffen in einem Stadthotel en passant mitgeteilt worden, dass sie von da an nicht mehr benötigt würden. Die Diensthandys wurden im Minutentakt abgeschaltet, die Schlüssel für das frisch renovierte Pressehaus in der Innenstadt hatten sie bereits abgeben müssen.
Die Neuen machen es billiger
Und die Rechner in dem bezogenen Provisorium, das die Gruppe in böser Ahnung Alcatraz getauft hatte, waren abgeklemmt. Zwei Tage später produzierte ein neues Team aus überwiegend Jungredakteuren, gebündelt in einer neuen Gesellschaft ohne Tarifbindung, die Montagausgabe. Ein kalter Entzug, der selbst zurückhaltende Beobachter entsetzte. Es war ein Outsourcing nie gekannten Ausmaßes.
Lambert Lensing-Wolff, der das alles zu verantworten hat, sitzt im Besprechungszimmer im 5. Stock seines Verlages am Dortmunder Westenhellweg. Die Heizung ist ausgefallen, es ist etwas kühl: "Ich würde auch heute noch sagen, dass ein Wechsel in der Lokalausgabe Münster stattfinden musste", sagt der 40-Jährige, "aber wir haben sicher Fehler in der Kommunikation dieser notwendigen Entscheidung gemacht."
Die Auflage der Münsterschen Zeitung war rapide gesunken, teilweise verlor das Blatt jährlich zehn Prozent. Man habe einen letzten Versuch unternehmen müssen, verteidigt sich Lensing-Wolff heute. Dieser sei, "zugegeben, ziemlich radikal" ausgefallen.
Die Opfer dieses Weges sind weiter als Leidensgemeinschaft vereint, Vergangenheitsbewältigung im Kollektiv: "Wenn ich nach dem 19. Januar meinen eigenen Weg gegangen wäre, hätte das in die Katastrophe geführt", sagt etwa Heike Hänscheid.
Sie sitzt jetzt mit neun Kollegen von damals in den Redaktionsräumen von Echo Münster. So heißt das Online-Stadtmagazin, das die entlassenen Redakteure begründet haben. Mit Hilfe von Lambert Lensing-Wolff, könnte man pointiert sagen. Denn Echo Münster ist eine Maßnahme, die derzeit noch über die vom Verlag mitfinanzierte Transfergesellschaft getragen wird. "Es ist ein bisschen kurios, dass wir für eine Zeit lang praktisch einen Wettbewerber mitfinanzieren", gesteht Lensing-Wolff, aber es sei "auch keine Katastrophe".
Die Alten machen Konkurrenz
Man habe den "Mitarbeitern in Abstimmung mit dem Verlag eine maßgeschneiderte Qualifizierungsmaßnahme angeboten", sagt Heinrich Jürgen König, Geschäftsführer der Petram, die die Transfergesellschaft betreut. Die Arbeitnehmer bekommen Transferkurzarbeitergeld, dazu zahlt der Verlag die Sozialabgaben, einen Lohnzuschuss und die Petram-Dienstleistung. "Herr Lensing-Wolff war außerordentlich großzügig", sagt König.
Von dieser Gabe sind längst nicht alle überzeugt: "Lambert, der Kniepige", wurde andernorts einst über den sparsamen Kaufmann getitelt. Lensing-Wolff kann sich darüber echauffieren. Zwei Millionen Euro hat der Münsteraner Kahlschlag den Verlag gekostet. Und für die neue, junge Redaktion gebe man mehr aus als für die alte:
"Wenn einer meint, dies sei eine Sparmaßnahme gewesen, hat er sich getäuscht." Es sei jetzt nur ein größerer Output und mehr Qualität vorhanden. Alles andere, so Lensing-Wolff, "wäre stumpfes Sparen, und das kann ja jeder."
Im vergangenen Jahr habe der Verlag, der bisher stets schwarze Zahlen schreibt, insgesamt fast 40 Millionen Euro investiert. Das Geld floss in neue Gebäude, modernere Technik und neue Systeme. Der Anteil der Personalkosten in Münster aber, das bestätigt selbst die neue Redaktion, dürfte drastisch gesunken sein. Und von neuen Arbeitsplätzen ist auch nicht die Rede.
Auch die geschassten Redakteure reden noch nicht von neuen Arbeitsplätzen, sie sprechen "vom kleinen Strohhalm, den sie gesehen haben". Nun zeigen sie ihrem früheren Arbeitgeber im heimischen Markt, wie flexibel sie sind - ausgerechnet im Online-Geschäft, in das Lensing-Wolff große Hoffnungen setzt.
Den alten Verleger treffen
"Wir zeigen denen jetzt, wie es geht", sagt der vormalige Sportchef der Münsterschen Zeitung, Thomas Austermann. "Alles das, was sie meinten, was wir nicht können, machen wir hier Tag für Tag vor." Diesen kleinen Triumph genießen sie.
20 000 Seitenaufrufe verzeichnet das Web-Portal Echo Münster täglich, Tendenz steigend. "Wir lernen das Medium jeden Tag mehr schätzen", sagt Stefan Clauser. Aktuell, modern, flexibel. Aber derzeit eben nicht gewinnbringend. 100 Euro kostet das Standardbanner im Monat. Noch leben sie auch von der Solidarität in der Stadt, von alten Kontakten, von Firmen, die den Neuanfang mehr oder minder karitativ unterstützen, und Bekannten, die ohne Honorar arbeiten.
Sie wissen, dass dieses Band irgendwann reißen wird. "Keiner von uns glaubt, dass wir alle hier dauerhaft einen Job finden", sagt Lutz Hackmann. Aber noch schwärmen sie von "flachen Hierarchien", dem Teamgeist und dem "viel motivierenderen Umgang miteinander".
Jeder Satz soll auch ihren alten Verleger treffen. Im November läuft die Unterstützung durch die Transfergesellschaft für den letzten Altredakteur aus, dann müssen sie ohne Lensing-Wolff klarkommen. Nicht nur finanziell, sondern auch als Feindbild. So lange aber geht der Kampf weiter.