Süddeutsche Zeitung

Ein Porträt der zerklüfteten Rocklegende:Mit der Kampfkraft der Kakerlake

Unglaublich: Der Senior-Rocker und ewige Rolling Stone Keith Richards feierte erst seinen 60. Geburtstag.

Kurt Kister

Alte Witze müssen nicht immer schlecht sein, auch wenn sie etwas geschmacklos sind.

Also: Welche beiden Arten von Lebewesen würden selbst einen Atomkrieg relativ unbeschadet überstehen? Ganz klar, die Kakerlaken und Keith Richards.

Letzterer ist seit 1962 Gitarrist der Rolling Stones und wenn ihm nichts zustößt, wird er auch in 15 Jahren noch Gitarrist der Stones sein. Die Stones, das wissen alle wirklich Gebildeten, sind nicht nur die größte Rockband der Welt, sondern auch die langlebigste. Von der alten, fünfköpfigen Stonesbesatzung sind immer noch drei übrig: Mick Jagger, seit ein paar Tagen Sir Mick und seit Juli 60 Jahre alt; Charlie Watts, der 62jährige Drummer; und eben Keith Richards, seit diesem Donnerstag auch 60.

Heute leisten 60jährige ja die unglaublichsten Dinge, aber im Falle Richards ist es schon sehr bemerkenswert, dass er diesen Geburtstag überhaupt erlebt hat.

Richards war zeitlebens unter den bad boys der Stones definitiv the worst. Er hat sämtliche bekannte und vermutlich etliche unbekannte Drogen über Jahrzehnte hinweg konsumiert, war heroinabhängig und säuft bis heute aus großen Gläsern Wodka Orange mit einem Mischungsverhältnis von etwa drei zu eins.

Unter anderem dies hat dazu geführt, dass sein Gesicht heute manchmal so aussieht, als sei es eine Mischung aus Tolkienschem Orc und der forensischen Rekonstruktion eines eigentlich nicht mehr Lebenden.

Als junge Männer waren Richards und Jagger fasziniert vom Rythm and Blues, von Bo Diddley und Muddy Waters, aber auch von Chuck Berry, der R&B für den Rock'n Roll adaptierte.

Gemeinsam mit dem Exzentriker Brian Jones, der auch daran zerbrach, dass er nie als der Kopf der Stones wahrgenommen wurde, spielten die weißen Engländer zuerst die Musik der Schwarzen nach, bevor sie den eigenen, unverwechselbaren Sound entwickelten.

Jagger und Richards übrigens hatten bereits im Herbst 1961 noch ohne Jones, Watts und Wyman eine R&B-Band, die sich Little Boy Blue and the Blue Boys nannte. Die hätte wohl nicht bis ins 21. Jahrhundert überlebt.

Keith Richards war nie der wirklich virtuose Gitarrist, kein Künstler wie Jimmi Hendrix oder Eric Clapton, dafür aber ein genialer Kunsthandwerker.

Im Verein mit dem androgynen Hüpfeteufel Jagger hat Richards zahllose Songs erfunden, die heute zum globalen Kulturgut gehören - darunter I can't get no satisfaction.

Obwohl man persönlich eng befreundet war, stilisierten sich die Stones in den paar Jahren, in denen es die Beatles gab, zu einer Art Gegenmodell - hier die manchmal leicht esoterische Unterhaltungsmusik einer Mittelklasse-Band; dort die schrille Sympathie für den Teufel und das ostentative Fuck-you-Gehabe auf der Bühne.

Selbst als 60plus-Multimillionär nimmt man Richards noch den Straßenrocker ab.

Richards ist es in erster Linie zu verdanken, dass es die Stones bis heute noch gibt. Ohne ihn wäre Jagger wohl längst mccartneysiert; Watts lebte, wie es Wyman seit Jahren tut, auf dem Land, und der junge Ron Wood (56) würde irgendwo anders die Gitarre schrummen. In diesem Sinne ist Keith Richards der eigentliche, ewige Rolling Stone.

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SZ v. 19.12.2003
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