"Ein Geschenk der Götter" im Kino:"Kunst sollte unabhängig vom Applaus sein"

"Ein Geschenk der Götter" im Kino: Hartz-IV-Empfänger therapieren sich mit einem Reclam-Heft und spielen Sophokles' Antigone.

Hartz-IV-Empfänger therapieren sich mit einem Reclam-Heft und spielen Sophokles' Antigone.

(Foto: Arsenal Filmverleih)

Wenn Hartz-IV-Empfänger Theater spielen: Die Tragikomödie "Ein Geschenk der Götter" erzählt von Langzeitarbeitslosen, die an der Leistungsgesellschaft scheitern. Ein Gespräch mit Regisseur Oliver Haffner über Außenseiter, Popcorn-Kino und Rebellion.

Von Thorsten Glotzmann

Neun Langzeitarbeitslose belegen einen Schauspielkurs, damit sie aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden. Unter Anleitung von Anna, die tatsächlich Schauspielerin ist und von ihrem Theaterdirektor gefeuert wurde, sollen sie Sophokles' Antigone aufführen. Leise, leicht und munter erzählt Oliver Haffner die Geschichte derjenigen, die nicht im Rampenlicht der Leistungsgesellschaft stehen. Beim Schreiben des Drehbuchs hatte er ein Klavierstück von Franz Schubert im Kopf, das melancholisch und heiter zugleich klingt. Schuberts Melodie zieht sich auch durch seinen neuen Film, die Tragikomödie "Ein Geschenk der Götter", die am Donnerstag in die Kinos kommt.

SZ.de: Herr Haffner, in Ihrem Film therapieren sich Hartz-IV-Empfänger mit einem Reclam-Heft. Zugleich verraten diese Außenseiter etwas über die gesellschaftliche Norm. Wie kann ein Mensch heute erfolgreich sein?

Oliver Haffner: Er muss sich gut verkaufen können, alles in die Arbeit stecken, er muss größte Leistungsbereitschaft, eine gewisse Skrupellosigkeit und einen starken Ich-Bezug haben. Das ist der schnelle Weg zu öffentlichem Ansehen. Diejenigen, die damit erfolgreich sind, gehen aber irgendwann daran kaputt.

Also glauben Sie nicht an den schnellen Weg zum Erfolg?

Ich glaube immer noch an die Verbundenheit von Ich und Gemeinschaft. Ich sehe mich als Teil der Gemeinschaft. Wenn es ihr gut geht, geht es auch mir gut. Und umgekehrt. Dem System gegenüber, das heute propagiert wird, habe ich großes Misstrauen. Aber zugleich habe ich das Gefühl, dass mit der jungen Generation etwas Anderes nachkommt. Die ist nicht mehr bereit, auf soziale Lebensqualität zu verzichten, um erfolgreich sein zu können. Und das halte ich für einen wichtigen Impuls.

Dieser Impuls ist auch in Ihrem Film spürbar - der kriegt dadurch eine politische Komponente.

Das Bewusstsein, eine Gesellschaft mitzugestalten, schwingt beim Filmemachen immer mit. Denn immer wenn sich die Leute etwas auf der Leinwand ansehen, hat das Konsequenzen. Deshalb muss ein Film aber keine trockene oder langweilige Veranstaltung sein. Im Gegenteil: Diese Verbindung von anspruchsvollen Themen und Unterhaltung interessiert mich am Erzählen.

Sie haben Ihren Film "in Ulm und um Ulm herum" gedreht, wie Sie selbst sagen. Wieso spielt die Geschichte von arbeitslosen Außenseitern ausgerechnet im wohlhabenden Baden-Württemberg?

In der öffentlichen Diskussion werden Armut, Arbeitslosigkeit und Scheitern nur im Ruhrgebiet oder im Osten verortet. Tatsache ist aber, dass Ausgrenzung in allen Regionen Deutschlands existiert. Ich glaube, es ist sogar schlimmer, wenn man in einer Region lebt, die ihre Identität aus dem Satz "Mir schaffet alles" herleitet. Wer da nicht mitmachen kann, ist noch viel stärker isoliert.

"Am besten etwas mit hübschen Frauen und Sex."

Wie die Protagonisten der Geschichte, so war auch dieser Film zunächst ein Außenseiter, der lange keinen Verleih gefunden hat. Waren Sie manchmal so verzweifelt wie Anna, die arbeitslose Schauspielerin?

Natürlich war ich verzweifelt und dachte mir: Mensch, wieso kann nicht jemand den Film entdecken und den Mut haben, ihn ins Kino zu bringen? Zumal der Stoff ja witzig ist und beim Publikum gut ankam. In diesen Momenten stärkt mich der Gedanke, dass ich hinter dem Film stehe und ihn genauso gemacht habe, wie ich ihn haben wollte. Das lässt mich Rückschläge und Durststrecken besser verkraften.

Wie muss ein Film heute gemacht sein, um Erfolg zu haben?

Ein Film, der erfolgreich sein möchte, braucht Stars, eine einfache Story, am besten etwas mit hübschen Frauen und Sex. Und er muss fett, also aufwändig produziert sein. Klassisches Popcorn-Kino. Oder besser gesagt: Burgerfilme. Man beißt einmal rein und hat das Gefühl, man ist satt, nach zwei Stunden aber hat man schon wieder Hunger. Und das ist schlimm, weil zu viele Burger den Geschmack verderben.

Haben Sie trotzdem Hoffnung, was die deutsche Filmlandschaft betrifft?

Eigentlich fehlt mir die Hoffnung nicht, es gibt genügend Leute, die etwas anderes machen, und ein Publikum, das etwas anderes sehen möchte. Die Frage ist nur, für welche Seite sich die Filmförderanstalten und Sender entscheiden: Lassen sie sich von der Angst treiben oder arbeiten sie visionär? Letzteres heißt für mich, dass man andere Filmformate fördert, denn Innovationen kommen immer aus dem Independent-Film. Die Förderanstalten sollen nicht wirtschaften wie eine Bank und ihr Geld in Herrn Schweighöfer oder Herrn Schweiger anlegen, damit die Zahlen stimmen.

Woran liegt es, dass junge Kreative heute gerne ignoriert oder verheizt werden, wie die Schauspielerin Anna in Ihrem Film?

Heute wird kreatives Tun erst für qualitativ gut befunden, wenn es erfolgreich ist, wenn es gesehen wird. Das ist dem Wesen der Kunst aber zuwider: Ein künstlerischer Prozess sollte unabhängig vom Applaus stehen. Der Künstler war immer ein Außenseiter und konnte dadurch von außen auf die Gesellschaft einwirken. Vielen Kreativen fehlt der lange Atem, die schauen nur auf den schnellen Erfolg. Auch Anna war in ihrem Job schon lange nicht mehr glücklich. Sie hat kleine Rollen gespielt, und das ziemlich unmotiviert, aus einem Sicherheitsdenken heraus: besser als gar nichts zu haben. Doch dann wird ihr gekündigt.

In der Kündigung liegt also eine Chance?

Ja, nach der Kündigung wird der Titel "Ein Geschenk der Götter" eingeblendet. Das erscheint zwar zynisch, letztlich ist die Kündigung aber ein Geschenk für sie, weil sie sich in ihrem privaten und künstlerischen Umfeld neu positioniert.

Im Film sollen die Arbeitslosen die Antigone spielen, die sich dem Befehl des Königs Kreon widersetzt und ihren Bruder beerdigt, um ihre Würde zurückzugewinnen. Wie rebelliert man heute gegen das System?

Man sollte nicht warten, dass irgendwas von den Institutionen kommt. Wichtig ist die Mensch-zu-Mensch-Beziehung: sich zusammentun, Gruppen bilden, alternative Modelle des Wirtschaftens und des Zusammenlebens gestalten. Und zwar ab sofort.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: