Süddeutsche Zeitung

"Ein freudiges Ereignis" im Kino:Feindliche Übernahme

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Remi Besancons "Ein freudiges Ereignis" ist das, was man im Englischen als Dramedy bezeichnet - ein Horrorfilm im lustigen Gewand. Für werdende Eltern eher ungeeignet, weil aus dem Liebesrausch blasser und gräulicher Realismus wird.

Von Susan Vahabzadeh

Alles was gut ist, wird noch besser, davon ist Barbara felsenfest überzeugt. Den ersten Rückschlag erlebt sie im Büro ihres Doktorvaters, zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht einmal einen erkennbaren Bauchansatz vorweisen kann. Er zerpflückt ihre Arbeit über Wittgensteins "Tractatus logico-philosophicus" und schwafelt dann etwas von Gregor Samsa. "Die Verwandlung!", raunt er schließlich, als säße auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch ein Wesen, halb schwangere Frau, halb Käfer.

Gut, Barbaras Doktorvater ist ein sexistischer Saftsack. Aber diese Frau, die Louise Bourgoin - Frederic Beigbeders Alice in "Das verflixte 3. Jahr" - mit niedlichem Stirnrunzeln spielt, wird bald tatsächlich nicht mehr sie selbst sein.

Remi Besancons "Ein freudiges Ereignis" ist das, was man im Englischen als Dramedy bezeichnet - ein Horrorfilm im lustigen Gewand, für werdende Eltern eher ungeeignet. Wir hasten durch die Vorgeschichte: Nicolas (Pio Marmai) arbeitet in einer Videothek. Barbara und er flirten mit DVDs: "In the Mood for Love" legt er ihr mit schmachtendem Blick auf den Tresen, sie antwortet mit "Catch Me if You Can". Er kann. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt, und in einem Augenblick des romantischen Überschwangs wollen die beiden ihre Beziehung mit einem gemeinsamen Kind krönen. Barbara glaubt da noch, sie würde sich in ihre neue Rolle besser fügen als ihre eigene Mutter. Es wird eher eine Art feindliche Übernahme daraus.

Charme im Aktenkoffer verstaut

Die Schwangerschaft selbst verläuft vergleichsweise harmlos. Dann, als ihr Töchterchen geboren ist, geht die Verwandlung in die finale Phase: Barbara ist hin- und hergerissen zwischen mütterlicher Besessenheit und postnataler Depression, mit Nicolas kommuniziert sie nur streitend - ansonsten interessiert sie nicht mehr viel.

Ungefähr so mag es vielleicht wirklich gewesen sein: Remi Besancon hat für "Ein freudiges Ereignis" den autobiographischen Roman von Eliette Abecassis adaptiert, im ersten Teil, dem Liebesrausch, glänzt die Welt in satten Farben, im zweiten, wenn der Realismus einsetzt, wird sie blass und gräulich. Barbara ist nicht über Nacht zur Supermutter geworden, sie ist bloß unglücklich und anstrengend; und Nicolas, von der Verantwortung erdrückt, macht seine eigene Verwandlung durch und verstaut seinen jugendlichen Charme in einem Aktenkoffer.

Es ist schon irgendwie bitter, dass Barbara ihre Doktorarbeit in den Papierkorb wirft und statt dessen ein Buch übers Kinderkriegen schreibt. Ein Bestseller wie "Un heureux evenement" wäre die Arbeit über Wittgenstein bestimmt nicht geworden, und für Barbara ist die Logik sowieso kein Thema mehr. Sie ist aus tiefster Überzeugung und von Herzen irrational. Ob das der Sinn des Lebens ist? Unsinnige Fragen soll man gar nicht erst stellen.

Un heureux evenement, Frankreich 2011 - Regie: Remi Besancon. Drehbuch: Besancon und Vanessa Portal, basierend auf dem Roman von Eliette Abecassis, Kamera: Antoine Monod. Mit: Louise Bourgoin, Pio Marmai, Josiane Balasko. Camino Filmverleih, 108 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2013
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