"Ein deutsches Leben" im Kino:Im Halbschlaf in die NS-Diktatur

Lesezeit: 2 Min.

Brunhilde Pomsel blickt in "Ein deutsches Leben" auf ihre NS-Vergangenheit zurück. (Foto: Blackbox Film)

Der Dokumentarfilm "Ein deutsches Leben" porträtiert Brunhilde Pomsel - im Dritten Reich Sekretärin von Joseph Goebbels. Ein Rückblick, bei dem einem mulmig zumute wird.

Von Anna Fastabend

Am Anfang ist es beklemmend still. Nur das erwartungsvolle Summen der Aufnahmegeräte ist zu hören. Die Kamera zeigt das Gesicht einer über hundert Jahre alten Frau. Es ist von Falten zerfurcht, die durch die Schwarz-weiß-Optik des Films noch verstärkt werden. Die Falten erzählen von einem ereignisreichen Leben, das untrennbar mit dem Aufstieg und Niedergang der Nationalsozialisten verbunden ist. Der Blick von Brunhilde Pomsel ist konzentriert, das Kinn nachdenklich in die Handfläche gestützt. Wo soll sie nur anfangen?

Unpolitisch, feige und naiv

Brunhilde Pomsel, die diesen Januar im Alter von 106 Jahren gestorben ist und nach dem Krieg als Chefsekretärin bei der ARD arbeitete, war so nah dran am NS-Regime wie nur wenige. Sie arbeitete von 1942 bis Kriegsende als Sekretärin im Büro des Propagandaministers Joseph Goebbels. Rückblickend bezeichnet sie sich in der Dokumentation "Ein deutsches Leben" als unpolitisch, feige und naiv. Die über Hundertjährige erzählt von einer Berliner Kindheit, die durch den blinden Gehorsam den Eltern gegenüber geprägt war. Der Vater hämmerte ihr mit Schlägen das preußische Pflichtbewusstsein ein. Als ihr erster Freund sie zu einer Rede von Hermann Göring in den Sportpalast mitnahm, kannte sie den nationalsozialistischen Politiker nicht. "Politik, wieso? Bin ja auch 'ne Frau, muss ja auch nicht." So erklärte sie ihrem Freund, dass sie nie wieder zu so einem Haufen stinkender Männer mitkäme. Doch ehe sie sich versah, war sie mittendrin. Als ihr Arbeitgeber, ein jüdischer Rechtsanwalt, wegen des erstarkenden Antisemitismus kaum noch Aufträge erhielt, brauchte die Stenotypistin einen neuen Job. Über den besagten Freund geriet sie 1933 an den nationalsozialistischen Schriftsteller und Radiosprecher Wulf Bley und tippte dessen Kriegsmemoiren ab. Nach der Machtergreifung verschaffte Bley ihr einen Job als Sekretärin beim Rundfunk. Von dort wechselte sie während des Krieges ins Ministerbüro.

Wenn sie einmal ins Reden gekommen ist, ist Brunhilde Pomsel eine gute Erzählerin mit brillantem Gedächtnis. Ihre persönlichen Erlebnisse schildert sie derart lebhaft und detailliert, als seien sie gesternpassiert. Manche Gespräche von damals gibt sie sogar in Dialogform wieder. Sie war stets an den Orten, an denen Geschichte geschrieben wurde: Winkte dem "Führer" am Brandenburger Tor zu und war zum Kriegsende im Keller des Propagandaministeriums eine der Ersten, die von Hitlers und Goebbels' Selbstmorden erfuhr.

Bei ihren Schilderungen wird einem mulmig zumute. Sie machen sichtbar, wie rasant man in Nazi-Deutschland Karriere machen konnte, wenn man den richtigen Stammbaum und wenig Skrupel hatte. Dass diese intelligente, eloquente und sympathische alte Dame in ihren jungen Jahren den Staatsumbau in eine Diktatur nur im Halbschlaf erlebt haben will, kann man im Nachhinein kaum glauben. "Es geschah mit uns", rechtfertigt sie sich im Film. Und das, obwohl es auch im direkten Umfeld genug Anzeichen für das um sich greifende Unrecht gegeben hatte. Ein Ansager des Rundfunks kam ins Konzentrationslager, weil er homosexuell war. Ihre jüdische Freundin Eva Löwenthal verschwand irgendwann. Wohin, will sie nicht gewusst haben. Vom Holocaust habe sie erst nach fünf Jahren in sowjetischer Kriegsgefangenschaft erfahren, die sie unter anderem im ehemaligen KZ Buchenwald absaß. Sie sei fassungslos gewesen, dass die Insassen in eben jenen Waschräumen vergast worden waren, auf die sie sich wegen der warmen Dusche immer so gefreut hatte.

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Die vier Filmemacher Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer ergänzen das Interview durch Zitate aus Goebbels' Tagebuch und durch Ausschnitte aus US-Aufklärungsfilmen und NS-Propagandafilmen. Das Archivmaterial macht deutlich, wie sehr die behauptete heile Nazi-Welt und die Realität in Kontrast standen. Damals sei vieles verschleiert worden, erklärt die Zeitzeugin. Aber sie wollte keine Schwierigkeiten. Sie sei eine fürstlich bezahlte Staatsangestellte in einem komfortablen Arbeitsumfeld gewesen.

Ein deutsches Leben , AT/D 2016 - Regie Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer, Florian Weigensamer. Kamera: Frank van Vught, Davor Marinkovic. Verleih: Salzgeber, 113 Minuten.

© SZ vom 07.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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