Da geht man arglos ins deutsche Stadttheater, Schauspiel Frankfurt, absolut abonnentensicheres Haus - und dann das: Georg Büchners Revolutionsdrama "Dantons Tod" als gigantomansiches Maschinenrotationswerk im Operngroßformat. Mit Wortwalzenwucht daherdonnernd, dass es einem durch Mark und Bein fährt. Satz-Salven. Pathos-Kanonaden. Chorisch-musikalische Sinnesattacken bei höchster Überwältigungsgefahr. Es ist großartig. Zermürbend. Berührend. Enervierend. Oft alles zugleich. Es ist nur eines nicht: Durchschnitt.
Der Regisseur Ulrich Rasche, Jahrgang 1969, ist mit formal strengen Chorprojekten auffällig geworden. Von der Kunstgeschichte und aus der theatralen Schule Robert Wilsons kommend, tritt er würdevoll eigenständig in die Fußstapfen des Chortheaterexerziermeisters Einar Schleef. Heißt: Er schafft Theater-Zeremonien, in denen sich Körper, Sprache, Musik und Rhythmus ritualhaft verbinden. Die Feierlichkeit, die dabei entsteht, das hohe Pathos und die ästhetische Strenge dieser Arbeiten sind im authentizitätssüchtigen, möglichst bloß ja keinen Kunstverdacht erregen wollenden Gegenwartstheater so selten wie gewöhnungsbedürftig. So sehr man sich dagegen sträuben mag - man kommt dem Sog schwerlich aus. Auch jetzt wieder, bei "Danton". Man ist geplättet nach diesem fast zweieinhalbstündigen Tretmühlentheater der Revolution. Aber mehr noch ist man künstlerisch und existenziell durchgeschüttelt, aufgerüttelt, beeindruckt. Wie von einer höheren Gewalt.
Rasche hat kolossale schwarze Walzen in den Bühnenraum schaffen lassen. Walzen, die sich unablässig drehen. Auf ihnen: die Schauspieler in permanenter Laufbewegung. Nur wer mitläuft, stürzt nicht ab. Ewiges Vorwärts. Die Akteure (in historisierenden Kostümen) sind zur Absicherung an Seilen befestigt, dadurch wirken sie wie lebende Marionetten an Strängen. Passend zu Dantons Erkenntnis: "Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen, nichts wir selbst."
Der "grässliche Fatalismus der Geschichte", den Büchner beklagt, er findet in Rasches unerbittlichem Marsch- und Monumentaltheater eine eindrucksvolle Umsetzung. Das Stück spielt in der Schreckenszeit nach der Französischen Revolution, als der Tötungsmechanismus sich verselbständigt und das Volk hungert. Robespierre, der "Blutmessias", will die Sache durchziehen bis zum bitteren Ende.
Aber Danton ist des Mordens müde. Während die Schauspieler immerfort auf der Walz sind - und dabei auf der Stelle treten -, sprechen sie den Text chorisch oder teilen ihn sich reihenweise. Es ist ein frontales Nach-vorne-Sprechen, laut und skandierend. Musikalisch angetrieben, suggestiv untermalt und gefühlsbombastisch verstärkt wird der theatrale Dauerlauf von zwei Cellisten links und zwei Gitarristen rechts am Rand. Dazu gibt es auf der hinteren Walze drei dunkel gewandete Sänger, die genauso vorwärts marschieren wie die Schauspieler, während sie in höchsten Tenortönen summen, singen oder Ha-Ha-Ha-Choräle anstimmen.
Den Soundteppich hat der amerikanische Komponist Ari Benjamin Meyers gewoben, der in der Kunstszene gerade sehr gefragt ist, weil er mit Raum, Dauer, Wiederholungen experimentiert und Musik als performatives Medium begreift. Seine Dauermusikschleifen erinnern an die minimalistischen Kompositionen von Philip Glass und Michael Nyman. Sie wiegen einen in Trance, hypnotisieren, elektrisieren, und sie sind auch penetrant.
"Dantons Tod" als monströs-mechanistisches Wortoratorium. Alle Revolutionen dieser Welt, auch die jüngst wieder gescheiterten, scheinen darin auf, das ewige Zerschellen menschlicher Utopie an politischer Doktrin. An Fanatismus und Fatalismus. Für Individualität, Intimität, psychologische Einfühlung oder die Auslotung von Beziehungen ist in Rasches Werkhalle kaum Platz. Es obwaltet stark und beklemmend der Geschichtspessimismus, das große Ganze, das zähe Mühlwerk aller Politik. Einige Schauspieler, allen voran Torben Kessler als glutvoller Danton und der tänzelnde Nico Holonics als Robespierre, gewinnen trotzdem Prototypen-Profil.
Zwischendurch droht der Abend, sich in seiner Monotonie zu verfangen. Aber er fängt sich - und die Zuschauer - immer wieder und steigert sich zu einer todesorgiastischen, dunkel poetischen Schlusschor-Offensive. "Nieder mit Danton", skandiert das Volk. Die Revolution frisst ihre Kinder. "Sterben müssen . . ." - Luciles herzbewegender Abschied von ihrem Camille, die baumelnden Leichen am Strick, die weitermarschierende Masse. So endet die Inszenierung als schmerzvolles Requiem auf die Revolution. Im Dunkeln klingt die E-Gitarre nach. Der Abend ist eine Wucht.