Ein Auszug aus steadycam:Tagebuch des Kritikers

Das Ziel einer modernen aktuellen Kritik müsste es sein, in einen Dialog mit dem Film und dem Zuschauer zu treten.

Milan Pavlovic

Tagebuch des Kritikers

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Ein Auszug aus der aktuellen Ausgabe von steadycam

8.11.

Einen Text nachgelesen, in dem der wunderschöne Satz vorkommt: "Kino entsteht erst im Prozess der Wahrnehmung." Wie schön, wie wahr, wie edel. Und wie naiv. Im heutigen Alltag und inzwischen auch im Feuilleton wird dem lesenden Zuschauer so gut wie kein Platz mehr gelassen für eigene Entdeckungen. Alles wird vorher durchgekaut, totgeredet, totgezeigt. Die Schwemme von Artikeln und TV-Berichten, die in kürzester Zeit auf Kinogänger einprasseln, verleiden einem immer mehr die Lust auf die Filme. Man muss (und kann) das gar nicht alles lesen.

Es ist nur so, dass man dieser Informations-Lawine auch dann nicht entgehen kann, wenn man wenig oder nichts liest oder ansieht - das Gefühl der Überinformation ist auch so da und ermüdet.

Die meisten Kritiker wissen heutzutage gar nicht mehr, welches Privileg sie genießen, Filme (o.ä.) in deren Stadium der Jungfräulichkeit zu erleben - oder zumindest ganz kurz nach der Entjungferung. Den meisten von ihnen ist aber wahrscheinlich sogar lieber, wenn jemand vorher dran war, weil dann reflektiert werden kann, was der erste Reflektor gesagt hat. Fast die Hälfte des ANTOINETTE-Textes speist sich aus Verweisen auf andere Artikel und Dementis geäußerter Meinungen, die meisten von ihnen beziehen sich auf Artikel aus dem Mai. Was aber hat ein Leser davon, der den Film noch gar nicht sehen konnte? Der Text ist dem Leser mindestens zwei Längen voraus, er galoppiert ihm davon, weil er reflektiert, bevor die Reflexion des Lesers überhaupt begonnen haben kann.

Das Ziel einer modernen aktuellen Kritik müsste es aber doch sein, in einen Dialog mit dem Film und dem Zuschauer zu treten. Für Nachbetrachtungen und Kreuzverhöre sollte die Zeit erst dann gekommen sein, wenn auch die Leser/Zuschauer die Chance gehabt haben, einen Film zu sehen. Aber erstens ist es dann zu spät, weil ja schon das nächste Event vorbesprochen werden muss; und zweitens gibt es in Deutschland nicht ein Medium, das sich den Luxus dieser Arbeit leisten würde. Ein Medium, in dem das Sehen von sowie das Reden und Schreiben über Filme thematisiert wird. Denn nur so kann der Leser beginnen zu begreifen, was in einem Kritiker vorgeht, kann der Dialog vervollständigt werden, können mehr als ein paar Cineasten bewogen werden, über einen einzelnen Film nachzudenken und in die große Filmhistorie einzutauchen. Alles andere ist Onanie.

Je weiter aber der derzeitige Aktualitätswahn getrieben wird - also die Jagd nach der ersten Kritik, der ersten Meinung usw. -, desto unmöglicher wird auf Dauer die breitenwirksame Analyse von Filmen und vom Kinogeschäft. Und desto oberflächlicher wird das Nachdenken und Schreiben über Filme.

23.11.

Die Heuchelei und der aufgeregte Enthusiasmus der Filmmedien treibt immer absurdere Blüten. Die Tageszeitungsinserate zu neuen Filmen sind stets voller Phrasen und so langweilig komponiert, dass ich mich frage, wen sie erreichen sollen. Aber die Bond-Zitate sind wirklich von ausgesuchter Dämlichkeit. Die beliebtesten Quellen (yam! und TV Movie) sind natürlich wieder dabei (mit den tollen Zeilen "Der schärfste Bond aller Zeiten!" und "Explosiv, witzig, sexy"), jolie steuert "erotischer als je zuvor" bei, und Bild weiß: "Er ist besser und härter als alle alten Bonds zusammen."

Mein Lieblingszitat kommt aber von der Welt am Sonntag, kurz WamS: "Der beste Bond seit zwanzig Jahren". Hmm, was heißt das: seit THE LIVING DAYLIGHTS (1987) mit der unzulässigen Nastassja-Kinski-Kopie Maryam d'Abo? Oder A VIEW TO A KILL (1985) mit Roger Moore im Rentenalter? Diese Angabe mag ein Zufall sein, aber ich finde sie eher bezeichnend. Hätte da 30 Jahre gestanden (also THE SPY WHO LOVED ME) oder 40 (also THUNDERBALL oder YOU ONLY LIVE TWICE), hätte man wenigstens ansatzweise streiten können. Aber so ist es bloß ein weiterer Beweis für die Nachlässigkeit und/oder absolute Ignoranz der meisten Autoren.

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls typisch, wie opportunistisch die Berichterstattung in dem von mir sehr verehrten Entertainment Weekly ist. Immer wieder schlägt der Hype mit etwas Abstand um in ätzenden Sarkasmus. Jetzt ist es in, Roger Moore halbwegs schick zu finden und dafür auf Pierce Brosnan und vor allem auf Timothy Dalton einzuprügeln. Während also die totalen Schnarchbonds THUNDERBALL und YOU ONLY LIVE TWICE auf den Plätzen 4 bzw. 2 der 007-Bestenliste landen (mit zum Teil saublöden Begründungen), FROM RUSSIA WITH LOVE und THE SPY WHO LOVED ME hinter GOLDENEYE platziert sind, gilt LICENCE TO KILL als einer der beiden Tiefpunkte der Serie.

Es ist fast schon makaber, dass dem Film inzwischen vorgeworfen wird, er sei zu hart und zu wenig 007-like - also ziemlich genau das, was derzeit CASINO ROYALE zugute gehalten wird. EW erfindet immerhin ein neues Argument gegen LICENCE: "Not even Benicio Del Toro in an early role as a henchman is enough to pep up the action." Pep up the action? Reden wir hier über den gleichen Film? Das ist so ein Moment, in dem ich gerne mal zwanzig Jahre in die Zukunft blicken würde, um schon jetzt nachzulesen, wie 2026 das Urteil über CASINO ROYALE ausfällt.

Tagebuch des Kritikers

3.1.

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Vermutlich war die alte Fußball-Floskel von den elf Freunden nicht so gedacht: Zu meinem ersten öffentlichen Vortrag ("Zur Situation der deutschen Filmkritik" in Aachen) erscheint nicht einmal ein Dutzend Menschen. Persönlich ist mir das einerlei, mit jedem Besucher wäre wohl bloß meine Nervosität gestiegen. Ehrlich gesagt würde ich für mich auch keinen Eintritt zahlen. Eher für meinen Vortrag, der so geht:

Guten Abend, mein Name ist Milan Pavlovic, und es ist aus zwei Gründen ein Fehler, das ich hier heute spreche. Erstens würde ich mich nicht als Filmkritiker bezeichnen, sondern immer zuerst als Kinogänger. Und zweitens lese ich keine Filmkritiken mehr.

Na gut, das ist nicht ganz wahr.

Aber ich lese tatsächlich nicht mehr so viele wie früher. Und ich habe mir angewöhnt, sie erst zu lesen, wenn ich einen Film gesehen habe. Ich bezweifle deshalb auch, dass man mich einen normalen Filmkritiken-Leser nennen kann, denn wer erlaubt sich schon diesen Luxus, Stapel von Papier anzuhäufen, die er irgendwann abarbeitet?

Es geht aber nicht anders. Denn ich weiß meistens, welche Filme ich sehen möchte - nicht alle, aber viele -, und ich habe keine Lust, sie mir schon vor dem Ansehen zerreden zu lassen. Das war schon früher so, aber das hat mit den Jahren zugenommen. Und das wiederum hat, glaube ich, mehr mit den Texten als mit mir zu tun.

Ich halte den Zustand der deutschen Filmkritik für bedenklich, aus mehreren Gründen, und ich möchte zumindest versuchen, sie hier anzureißen.

Der erste Grund hängt damit zusammen, dass offenbar kaum jemand weiß, wofür die Filmkritik noch da ist. Schließlich kann heutzutage wirklich jeder über Film schreiben, der will - das Internet hat das möglich gemacht. Das Internet und seine Blogs, das müsste uns dazu zwingen, darüber nachzudenken, wie man über Filme schreibt und redet, aber ich habe den Eindruck, dass eher das Gegenteil der Fall ist - zumindest in der auf Papier veröffentlichten Form wird kaum noch über Filme reflektiert.

Jede Publikation hat heute etwas über Film zu sagen, aber reden sie damit auch über das Kino? Ich glaube nicht, denn es geht immer nur um die gleichen neuen Filme, die gleichen neuen Projekte, die gleichen neuen Gerüchte. Wenn aber jeder über die gleichen neuen Filme schreibt, dann entsteht ein Brei, aus dem man nur herausragen kann, wenn man etwas Besonderes zu bieten hat. Mit Besonderes meine ich nicht etwas besonders Intelligentes, sondern etwas, das besonders auffällt.

Nehmen wir als einfachstes Beispiel etwas, das niemandem hier fremd sein dürfte: die ganz normalen Zeitungsanzeigen für die neuen Filme. Niemand wird in diesen Schnipseln hochwertige Literatur oder Absätze mit hochgeistigen Reflektionen erwarten. Etwas mehr als "packend", "ein hervorragendes Stück Kino", "ein Wunder!", "Aufwendiges Kinospektakel", "Mega-Spaß!" oder, besonders schön, "herzerwärmend - ein Film fürs Publikum", würde ich mir schon erhoffen. Fühlt sich wirklich noch jemand durch solche 08/15-Sätze animiert, ins Kino zu gehen?

Zitiert wird natürlich nur, wer begeistert ist. Und da fällt auf: Wir sind in Deutschland immer begeistert. Wir leben offenbar in überragenden Kinozeiten. (...) Bleiben wir noch kurz bei den Zeitungsinseraten, weil das etwas ist, das uns alle verbindet - und weil es uns zum größeren Problem führt. yam!, Woman, TV Movie, TV 14, TV Digital, TV Direkt, Joy, jolie.

Ich habe mich immer gefragt, warum Verleiher lieber Analphabeten zitieren als seriöse Medien. Nicht etwa weil ich selbst zitiert werden wollte mit Kritiken aus Steadycam oder aus dem Kölner Stadt-Anzeiger. Sondern weil ich als Zeitungsleser Zitate von Zeitungen lesen möchte, die ich ernst nehme. Nehmen wir zum Vergleich Amerika. Auch da ist nicht alles zum Besten bestellt, und auch da gibt es auf den Anzeigenseiten viele Phrasen. Aber die Studios dort sind froh, wenn sie in ihre Anzeigen Zitate aus der New York Times, dem Time Magazine, der LA Times oder Newsweek stellen können.

Und jetzt fragen wir uns: Welche Zeitungen könnten hierzulande diese Rolle übernehmen? Und damit kommen wir zum wichtigeren Problem: Es gibt hierzulande keine.

Sicher, wir haben die Zeit, den Spiegel, die FAZ sowie die SZ. Dort bin ich, das möchte ich der Form halber vorwegschicken, als Sportredakteur beschäftigt. Aber wer glaubt, das mich das parteiisch und unkritisch macht, wird bald merken, dass dem nicht so ist.

Als ich aufgewachsen bin, Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre, hatte die Filmkritik ihre letzte große Phase. Ich mag das in der Erinnerung vielleicht ein bisschen verklären, schließlich waren die Zeitungsinserate und die Zitate auch damals nicht viel intelligenter. Aber es gab einige namhafte Kritiker und inspirierende Respektspersonen: Hans C. Blumenberg bei der Zeit, Hellmuth Karasek und Urs Jenny beim Spiegel, Michael Schwarze bei der FAZ, Frieda Grafe und Peter Buchka bei der SZ. Und in Köln, wo ich aufwuchs, Brigitte Desalm beim Kölner Stadt-Anzeiger. Das waren Autoren, denen man zuhörte, selbst wenn man ihre Meinungen nicht teilte. Man kannte vielleicht die Präferenzen dieser Autoren, aber dennoch war nie klar, was sie sagen würden - und wie. Diese Autoren hatten starke Stimmen, und sie hatten starke Redakteure, die eine klare Vorstellung vom Kino und, vielleicht wichtiger noch: von ihrem Filmteil hatten.

Über die heutigen Redakteure möchte ich gleich etwas sagen. Zunächst geht es um die Autoren.

Heute gibt es immer noch gute Autoren, aber es gibt soviele Kritiker, soviele verschiedene Stimmen, dass es enorm schwer fällt, sie aus dem Stimmengewirr herauszuhören. Und wenn man sie hört, hört man zu oft das gleiche. Oft ist es absehbar, was zu erwarten ist. Die Zeit fällt dann über einen Film wie THE DEVIL WEARS PRADA mit einer Gemeinheit her, dass man sich im Grunde seiner guten Laune schämen müsste, und die FAZ kanzelt einen streitbaren, vielleicht sogar wirklich verschenkten Film wie DÉJÀ VU auf eine Weise ab, die jeden interessanten Aspekt des Films unterschlägt. Die schlechte Laune, die solche Texte verbreiten, sind zunächst ernüchternd. Und auf die Dauer ermüdend.

Tagebuch des Kritikers

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Das heißt aber nicht, dass das andere Extrem besser wäre. Eher im Gegenteil. Vor allem bei der SZ werden so viele Superlative benutzt, dass einem schwindlig werden kann. In der SZ ist alles so grandios, fantastisch, überragend, fabelhaft und großartig, dass man meinen könnte, es wäre wieder 1939, und Hollywood würde im Wochenturnus Filme herausbringen wie GONE WITH THE WIND, MR. SMITH GOES TO WASHINGTON, STAGECOACH, WUTHERING HEIGHTS, THE WIZARD OF OZ, ONLY ANGELS HAVE WINGS, YOUNG MR. LINCOLN, THE WOMEN, GUNGA DIN, THE ROARING TWENTIES oder NINOTCHKA.

Wir reden derzeit dann aber doch nur über Filme wie HAPPY FEET.

Wer das Kino als Redakteur wirklich liebt [das ist jetzt ein Eigenzitat aus N° 45, pardon, Anm.], der weiß, dass man nicht jeden Film großartig oder grandios nennen kann. Es muss ein Maß geben, an dem man sich orientieren kann, denn wenn alles fantastisch ist, wie soll dann etwas noch besser sein? Wer alles lobt, erdrückt das Kino mit seiner Zuneigung. Er verliert das Augenmaß und seine Leser - wenn er denn überhaupt für Leser schreibt.

Die Flut an Superlativen für vielleicht nicht ganz so weltbewegende Filme führte zuletzt dazu, dass an dem Tag, als Martin Scorseses The Departed in der SZ besprochen wurde, ein Wort wie großartig alltäglich und verbraucht wirkte.

Aber vielleicht ist das alles schon zu speziell. Vielleicht sollte ich versuchen zu sagen, was ich unter Filmkritik verstehe - und warum diese Form nur in einem größeren Zusammenhang funktionieren kann.

Zunächst einmal haben Filmkritiker einen unsichtbaren "Vertrag" mit den Lesern. Sie sollen informieren, unterhalten und leiten. Filmkritiken haben also unter anderem Service-Charakter, aber pssst!, das ist ein böses Wort unter Menschen, die gleich denken, sie wären Teil von Stiftung Warentest, wo sie doch in Wahrheit Feuilletonisten, besser noch: Poeten sein möchten.

Für solche Autoren, Sie ahnen es bereits, konnte ich mich noch erwärmen. Denn diese Autoren gehören garantiert zu jenen, die ihren Lesern immer einen Schritt zu weit voraus sind und die kein Problem damit haben, wichtige Inhalte zu verraten - die also kurz mal in einem Text zu THE DEPARTED einstreuen (bitte weghören, wer den Film noch nicht gesehen hat), dass weder Nicholson noch DiCaprio noch Matt Damon das Ende des Films erleben werden. Unter anderem deswegen habe ich aufgehört, mir Trailer anzugucken und vorab Filmkritiken zu lesen.

Das Problem ist nur: Man kann den Vorab-Texten gar nicht mehr entgehen. Manchmal wird man den Eindruck nicht los, dass wir es in Deutschland mit einer Art Tageswettbewerb zu tun haben: Wer hat die Kritik als Erster im Blatt, wer hat das Volk als Erster mit seiner Meinung versorgt?

Nur schlägt das inzwischen um in einen Wochenwettbewerb. Im Sommer überraschte uns Die Zeit mit einem Verriss vom PARFUM - drei Wochen vor dem Start des Films! (...)

Einem guten Filmredakteur und einer souveränen Zeitung müsste es egal sein, wann die Kritik zu einem Film erscheint. Er/sie müsste das Selbstvertrauen besitzen, sich zu sagen, dass die Leser der Kritik in ihrer Zeitung entgegenfiebern - ganz egal, wie viele Kritiken vorher sonstwo erschienen sind. (...) Ansonsten machen wir munter Fehler, ich nehme mich da nicht aus, weil ich vor kurzem eine Szene von CASINO ROYALE von Madagascar nach Uganda verlegte.

In der Zeit heißt ein Scorsese-Film BRINGING OUT THE DEATH, in SZ-Extra spielt Jack Nicholson in THE PLEDGE angeblich einen Psychopathen, im Spiegel werden die Baseball-Schläger in GOODFELLAS eingesetzt statt in CASINO, und in der SZ wird schon einmal behauptet, dass der billig produzierte poetische Horrorfilm THE OTHERS sein Publikum in Amerika nicht gefunden habe - obwohl er dort 100 Millionen Dollar eingespielt hatte, bei Kosten von nicht einmal zehn Millionen Dollar! Auch für so etwas sind meiner Meinung Redakteure da, auch für solche Kleinigkeiten.

Aber heute haben wir es oft mit Redakteuren zu tun, die Plätze füllen und an die nächste, vielleicht noch die übernächste Woche denken, selten jedoch an gestern und den vergangenen Monat - und so gut wie nie an vergangene Jahre. Im momentanen Aktualitätswahn ist nämlich völlig aus dem Blick verloren gegangen, woher das Kino kommt und wohin es geht. Ich will dabei nicht unbedingt die Spekulation über neueste Trends wissen, denn ich finde es eher peinlich zu sehen, wie Trendartikel aus Fachzeitschriften wie Variety oder Entertainment Weekly ab- oder umgeschrieben werden. Aber es müsste ein Zusammenhang hergestellt werden, der über neue Filme und neue DVDs hinausgeht.

Es müsste über alte Filme, Querverweise und den Kinoalltag an sich geredet werden - gerade in Publikationen wie der FAZ und SZ. Aber nur die wenigsten Redakteure und Autoren kennen heute noch den Alltag, mit schlechten Projektionen in Multiplexen und der Verrohung der Sitten in Publikumsvorstellungen. Sie sitzen vorwiegend in kostenlosen Pressevorführungen, in denen sie sich (kostenlos) mit Popcorn und Getränken eindecken. Bei Pressevorführungen muss man heutzutage manchmal 25 Minuten warten, bis sich auch der letzte Hungrige seine Popcorn-Tüte abgeholt hat. [Nebenbei bemerkt: Ich hasse Popcorn-Krach im Kino, das macht es nicht einfacher.]

Im Zuge dieses neuen Rezensionsjournalismus, der längst auch bessere Zeitschriften erfasst hat, ist das Wesen der deutschen Filmkritik zu einem weitgehend austauschbaren Brei geworden. Wir haben noch ein paar gute Autoren, vorneweg Tobias Kniebe und Michael Althen. Sie liefern aber nur brillante Einzelaktionen. Ihre Publikationen, in diesem Fall die SZ und FAZ, haben nicht das Gewicht, das sie haben müssten und könnten - Kniebe, weil er nicht der Filmredakteur ist; und Althen, weil er jemand ist, der selbst fortwährend angetrieben gehört.

Weil es aber in Deutschland keine wirklich mächtige Stimme gibt, gibt es auch keinen Dialog untereinander. Lieber ignoriert man einander, als eine Diskussion zu entfachen. Und es gibt auch kein Forum, in dem regelmäßig über das Reden über Filme diskutiert wird. Ich würde das in Steadycam gerne tun, aber wenn das Heft nur einmal im Jahr erscheint, ist mir der Platz ehrlich gesagt zu schade. (Und weil Steadycam von den arrivierten Medien ignoriert wird, so gut es geht, käme eine ernsthafte Diskussion ohnehin nicht in Gang.)

Und außerdem: Wenn Kritiker hierzulande über Kritik reflektieren, dann klingt das oft wie in einem Beitrag, aus dem ich zwei kurze Passagen zitieren möchte: "Soziologisch gesprochen ist der Filmkritiker vermutlich die letzte Realisation eines "Bildungsbürgers", man setzt aber mindestens ebenso standhaft ein Bein dort ein, wo es "Pop" raunt. Und damit setzt das Metier die Dialektik seines Gegenstandes, nur Industrie in der Kunst, und Kunst in der Industrie sein zu können, fort: Bürgerliche Bildung im Pop-Diskurs, und Pop-Diskurs in der bürgerlichen Bildung." Und: "Von ihrem ökonomischen Desaster ganz abgesehen sind die Autoren auch nicht mehr in der Lage, den Schüben der Versimpelung und des Mainstreaming (die Leser wollen es halt so) zu widerstehen."

Der Text stammt aus einem Band der Zeitschrift Revolver, die dem Thema immerhin ein ganzes Heft gewidmet hat. Dort stehen auch entlarvende Artikel darüber, dass "kommerzielles" Schreiben automatisch schlechter sein muss. "Der "Filmkritiker von Rang" produziert heute (und entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise): Scheisse für Geld und Gold für'n ökonomischen Arsch." Oder: "Das ändert meine Art, überhaupt über den Film nachzudenken. (...) Das Ergebnis ist natürlich ein anspruchsloserer Text. (...) wofür ich beim Merkur überhaupt nicht den Platz habe und das Urteil einfach hinhaue: Das ist jetzt so und so." Vielleicht bin ich ein Heuchler, aber ich versuche nie so zu denken. Und Ausdrücke wie "das Urteil einfach hinhauen" sagen den Rest.

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