Süddeutsche Zeitung

Ein Aufsatz:Rettende Parodie

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Peter Rühmkorf übertrug Walther von der Vogelweide aus dem Mittelhochdeutschen oder Klopstock aus der "Fremdsprache" des 18. Jahrhunderts. Über die Parodie als Medium der Aneignung gab er in munteren Gesprächen Auskunft.

Von Lothar Müller

Das Jahr 1975 hatte es, parodistisch gesehen, in sich. Anfang Januar starb Robert Neumann, der Altmeister der literarischen Parodie in deutscher Sprache, gegen Ende des Jahres erschien Peter Rühmkorfs Band "Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich". Zwei Pole waren damit bezeichnet. Neumann hatte Gegenwartsschriftsteller auf die Schippe genommen und die Parodie zu einem Erfolgsgenre gemacht, das seinen satirischen Reiz aus der übertreibenden Kondensierung stilistischer Eigenarten der Parodierten gewann. Rühmkorf handhabte, indem er Walther von der Vogelweide oder Klopstock aus dem Mittelhochdeutschen oder der "Fremdsprache" des 18. Jahrhunderts übertrug, die Parodie als Medium der Aneignung und Verlebendigung ferngerückter oder philologisch versiegelter Tradition, als Übersetzung im Wortsinn. So wurde er, mehr noch als sein Jahrgangsgefährte Enzensberger, zum Virtuosen rettender Kritik. Er begleitete seine Übersetzungen mit Essays, der eigentliche Schauplatz seiner rettenden Kritik aber war das Gedicht selbst.

Wie tief dieses Verfahren in die Fundamente seines Selbstbewusstseins als moderner Autor eingelassen waren, lässt sich jetzt im aktuellen Heft der Zeitschrift Sinn und Form nachlesen. Sie enthält ein Gespräch zwischen Peter Rühmkorf und dem Autor und Kritiker Helmut Heißenbüttel, das am 31. Januar 1975 im "Radio-Essay" des Süddeutschen Rundfunks gesendet wurde ( Sinn und Form, 72. Jg., Drittes Heft, Mai/Juni 2020). Einer der Gedichtbände, mit den Rühmkorf bekannt geworden war, hieß "Irdisches Vergnügen in g" (1959). "Irdisches Vergnügen in Gott" hieß das Original des nachbarocken Dichters Barthold Heinrich Brockes, den auch Arno Schmidt schätzte. Beide, Rühmkorf wie Schmidt, entzogen seinen Gedichten das Vertrauen auf den Himmel. Sehr luzide beschreibt Rühmkorf im Dialog mit Heißenbüttel diesen Grundimpuls, die "parodistische Umsetzung oder Versetzung" und die Wege, auf denen er Brockes, Klopstock, Walther von der Vogelweide für sich entdeckte. Dazu gehört das Interesse am Gedicht jenseits der Buchseiten, am Auftritt auf der Bühne. Der artistische Sprachvirtuose war sich nicht zu schade, auch die Rampensau zu geben. Im Dezember 2001 gab er der Kritikerin und Rundfunkautorin Gabriele Helen Killert Auskunft über sich selbst. Auch dieses funkelnde Selbstporträt ist nun in Sinn und Form zu lesen. Es zeigt nicht zuletzt, auf wie vertrautem Fuß der "kämpferische Agnostiker" mit der Melancholie stand und wieviel seine Lust an der Parodie der "Komik als Lastenaufhebungsprogramm" verdankte.

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Quelle:
SZ vom 06.05.2020
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