Ein Aufsatz:Puderlocken

Auch Äußerlichkeiten wie die Haartracht wurden im 18. Jahrhundert in den Streit zwischen Reformern und Konservativen in der katholischen Kirche einbezogen: die Tonsur der Mönche ist dafür ein sehr ergiebiges Beispiel.

Von Rudolf Neumaier

Lange bevor sich Fußballer und Popsänger Ornamente ins Schädelhaar rasieren ließen, waren katholische Mönche in dieser Disziplin kreativ. Wer die Verfilmung von Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose" gesehen hat, wird die Kunstwerke auf den Köpfen der Patres und Fratres kaum vergessen. Könnte es gar sein, dass diese Bilder die Coiffeure der Fußball- und Popstars inspiriert haben? Eine sehr beliebte unter den vielfältigen Tonsuren jedenfalls war bei den frommen Männern über die Jahrhunderte hinweg eine ins kurze Haar geschnittene Linie rings ums Haupt. Sie symbolisierte die Dornenkrone. Aber wie es mit Frisuren nun mal so ist, kommen sie gelegentlich aus der Mode. In der Frage der Haartracht und Haarpracht manifestierte sich im Benediktinerorden ein Streit, der im 18. Jahrhundert die ganze katholische Kirche zum Beben brachte: das Ringen zwischen Erneuerung und Beharrung, zwischen Für und Wider die Aufklärung.

Der Kirchenhistoriker Ulrich L. Lehner lehrt in Milwaukee und forscht seit Jahren über den Katholizismus und sein Verhältnis zur Aufklärung. In dem für die Kommission für bayerische Landesgeschichte von Bernhard Löffler und Maria Rottler herausgegebenen Tagungsband "Netzwerke gelehrter Mönche" (C. H. Beck Verlag, München 2015. 399 Seiten, 48 Euro) bringt er mit dem Aufsatz "Benediktiner und Aufklärung. Beobachtungen aus dem süddeutschen Raum" die Konflikte auf den Punkt. Mal mehr, mal weniger schwelen sie zwischen den Progressiven und den Konservativen bis heute fort.

Bei den Benediktinern tummelten sich im Jahrhundert der Aufklärung deutlich mehr reformerische Geister als in anderen Orden. Lehner führt dies unter anderem auf ihre Verfassung zurück: Die Abteien waren im Vergleich etwa zu den Klöstern der Bettelorden geradezu autonom. Die gigantischen Benediktiner-Bibliotheken bildeten den Nährboden für breite Bildung und Studien in alle Richtungen. Der Orden brachte namhafte Wissenschaftler und Intellektuelle hervor. Dass sich die Differenzen zwischen Verfechtern des herkömmlichen Glaubens sowie des Gehorsamsprinzips auf der einen und wissenschaftlicher Erkenntnis sowie Freiheitsdrang auf der anderen Seite auf Äußerlichkeiten wie die Frisur ausdehnten, ist eine hübsche, wenn auch aussagekräftige Fußnote dieser Geschichte.

Fast alle Konvente seien in zwei Lager geteilt, schrieb ein anonymer Benediktiner im Jahr 1790: in Tonsuristen und Antitonsuristen. Die Köpfe der konservativen Tonsuristen seien mit dem "hochpreislichen Symbolum der dörnichten Krone des Weltheilands" gar "schön und erbaulich zu sehen". Die Reformer gäben "dieser frommen Sitte Urlaub". In der Nachbarschaft der Ohren sei nichts von religiösen Allegorien zu entdecken. Diese Männer trügen ihr Haar nackenlang wie profane Menschen, bei manchen ringle es sich "nach dem Geschmacke der Weltleute in Locken. Auf den aufgeklärtesten Köpfen entdeckt man wohl gar Spuren vom Gebrauche des Haarpuders. O tempora! o mores!"

Bei den Benediktinern gab es plötzlich Kaffee und französische Küche

Mancherorts wurde die Klosterzelle zum Salon, in dem gelehrte Patres mit Gästen disputierten. Im Kloster Melk ließ der Abt eigens kleinere Tische ins Refektorium stellen, damit sich die Brüder besser unterhalten konnten. Sie wussten, dass sie außerhalb der Klostermauern belächelt, wenn nicht sogar verachtet wurden. Die Vorwürfe reichten von ökonomischem Parasitentum bis zur Förderung des Aberglaubens. Bei antiklerikalen Geistern standen die Geistlichen in der Kritik, da sie wegen des Zölibats der Gesellschaft ihre sexuelle Fruchtbarkeit vorenthielten. Gegen solche Angriffe wehrten sich einige Benediktiner durch Anpassung. Plötzlich tranken sie Kaffee, was wenige Jahrzehnte zuvor noch ausdrücklich untersagt war, und sie stellten ihre Ernährung um: Statt der vormals fetten Speisen kam bei den Benediktinern französische Küche in Mode.

Wo Ordensobere streng auf alten Sitten beharrten, kam es zu bitteren Zwischenfällen. In der Abtei Oberaltaich schnitt sich der liberale Pater Nonnosus Gschall selbst die Kehle durch. Ulrich Lehner zufolge waren die konservativen Kräfte in diesem Kloster zu mächtig - intern brandmarkten sie den Theologen als Ketzer und mobbten ihn. Nonnosus Gschall wurde nach seinem Tod als der "katholische Werther" bekannt.

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