Ein Aufsatz:Jürgen Habermas über Populismus

In einer Zeitschrift kritisiert der Philosoph den Umgang der Parteien mit dem aktuellen Rechtspopulismus.

Von Jens Bisky

Seit die Populisten auch in Deutschland sich nicht mehr ignorieren lassen, bietet die Öffentlichkeit ein Schauspiel der dauererregten Hilflosigkeit. Sie werden attackiert, sie werden umworben, ausgegrenzt, eingeladen, beschimpft, sie werden analysiert, auf die Couch der Sozialtherapeuten gelegt, sie werden"ernst genommen" - und doch scheinen ihnen aus jeder Reaktion wieder nur neue Kräfte zuzuwachsen. Andererseits schaden all ihre Verstöße gegen die guten Sitten, ihre "Tabubrüche" - und seien sie noch so vulgär -, ihre goebbelsdeutschen Vokabeln und Drohgebärden ihnen kaum. Woran liegt es, dass weder die Fehler und Schwächen der Rechtspopulisten noch das erprobte Instrumentarium des politischen Betriebs ihren Aufstieg aufhalten können?

Eine Antwort darauf bietet das jüngste Heft der Blätter für deutsche und internationale Politik, deren erste Nummer im November 1956 erschien. Der "innenpolitische Umgang mit dem Rechtspopulismus" habe, sagt der Mitherausgeber Jürgen Habermas im Interview, "von Anfang an die falsche Richtung eingeschlagen". (Für eine demokratische Polarisierung. Wie man dem Rechtspopulismus den Boden entzieht. Jürgen Habermas im Interview. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 61. Jahrgang, Heft 11/2016, Blätter Verlagsgesellschaft Berlin, 10 Euro).

Habermas sieht dabei wohl einen Unterschied zwischen Anbiederung und Konfrontation, zwischen etwa Nicolas Sarkozy, der Marine Le Pen zu überbieten versucht, und dem Justizminister Heiko Maas im Streit mit dem AfD-Mann Alexander Gauland. Aber dieser Unterschied ist, wie der Theoretiker des kommunikativen Handelns erfrischend klar sagt, "ziemlich wurscht". Beide Reaktionen stärkten den Gegner, weil sie ihm Aufmerksamkeit verschaffen. Schlimmer noch und grundsätzlicher: "Der Fehler der etablierten Parteien besteht darin, die Front anzuerkennen, die der Rechtspopulismus definiert: ,Wir' gegen das System".

Die Gegenstrategie heißt "Dethematisierung", diese gelinge am besten durch die Thematisierung eines anderen, des eigentlichen Problems: "Wie erlangen wir gegenüber den zerstörerischen Kräften einer entfesselten kapitalistischen Globalisierung wieder die politische Handlungsmacht zurück?" Zum Thema wird dieses Problem, für Habermas die entscheidende Frage der Gegenwart, durch politischen Streit, in "demokratischer Polarisierung". Es ginge also darum zu definieren, worin die Krise liegt, statt die Definition der Lage den Populisten zu überlassen. Der scharfe Streit der etablierten Parteien darüber, wie man eine globalisierte Welt politisch gestalten kann oder ob man den neoliberalen Imperativen der Staatszurückhaltung folgen müsse, wäre dazu erforderlich. Er ist aber derzeit nicht in Sicht.

Im Interview entfaltet Habermas seinen Gedanken der demokratischen Polarisierung im Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre, mit innenpolitischen Spitzen und europapolitischen Überlegungen, die er schon mehrmals ausführlicher dargelegt hat. Zur "Dethematisierung" müsste freilich, denkt der Leser, ein genaueres Bild der Populisten kommen. Mit guten Gründen weist Habermas die These von einer neuen "autoritären Internationale" zurück, von Putin über Erdoğan bis Trump. Da sei keine einheitliche Tendenz zu erkennen, "eher verschiedene strukturelle Ursachen und viele Zufälle". Große Verschiedenheit dürfte auch die rechtspopulistischen Akteure auszeichnen, im Lager der Reinheitsversessenen herrscht große Vielfalt an Biografien, Motiven, Absichten.

Einen Teil ihrer Kraft gewinnen die Rechtspopulisten wahrscheinlich und paradoxerweise eben aus dieser Vielfalt. Habermas empfiehl demokratischen Parteien für den Umgang mit denen, die "völkischen Parolen" nachlaufen: "Sie sollten diese Art von ,besorgten Bürgern', statt um sie herumzutanzen, kurz und trocken als das abtun, was sie sind - den Saatboden für einen neuen Faschismus." Das dürfte richtig sein, und es dürfte gleichwohl nicht reichen.

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