Süddeutsche Zeitung

Zeitgenossen erinnern sich an Egon Ammann:Ein Verlag zum Verlieben

Wie der Schweizer Verleger Egon Ammann die deutschsprachige Literatur und ihre Autoren verändert hat.

Von Martin Ebel

Emil Oprecht, Otto F. Walter, Daniel Keel: Auch die Schweiz hatte ihre großen Verlegergestalten. Der jüngste und vorerst letzte in der Reihe war Egon Ammann, Gründer und fast 30 Jahre lang Leiter des Ammann-Verlages in Zürich. 2010 schlossen er und seine Frau und Mitverlegerin Marie-Luise Flammersfeld das Unternehmen, 2017 ist Egon Ammann in Berlin gestorben. Fünf Jahre später erscheint ein Erinnerungsbuch, das an die Leistung dieses Verlegers und seine Persönlichkeit erinnert.

40 Autoren, Mitarbeiterinnen, Weggefährten erzählen, was Ammann für einer war - und was er für sie war. Eine Elementarkraft, die mit ihrem Charme verführte und mit ihrem Temperament mitriss. "Alles an ihm war Schwung", schreibt die Journalistin Margrit Sprecher, "die Extremsituation war sein Normalzustand", der Filmer Markus Imhoof, und mehr als einmal taucht das Wort "wahnsinnig" auf - bezogen auf Ammanns berüchtigte Fahrkünste und sein Geschäftsgebaren.

Ammann verstand zwar durchaus etwas von Zahlen, aber mehr noch von Literatur, und meist ließ Letzteres ihn Ersteres ignorieren. Was er verlegte, stemmte, woran er hartnäckig festhielt, gegen alle kalkulatorische Vernunft: Das war, je nach Standpunkt, gewagt, tollkühn oder eben wahnsinnig. Und manchmal funktionierte es doch. Zum Beispiel bei Wole Soyinka. Den hatte Ammann ins Programm genommen, in mehreren Jahren genau 14 Titel verkauft, der Rest verursachte Lagerkosten, der Verwaltungsrat murrte - und dann bekam Soyinka den Nobelpreis, und die Ladenhüter waren im Nu verkauft.

"Lektor und Förderer, Freund und Berater, Propagandist und Kritiker, Bewunderer und Lehrmeister, Finanzier und Abzocker"

Um Soyinka rankt sich eine jener berühmten Egon-Ammann-Anekdoten, die jeder gern weitererzählt und die sich der Überprüfung verweigern. Ammann soll nämlich einst am Londoner Flughafen Heathrow einen jungen Mann beobachtet haben, der einen Packen Manuskripte in die Papiertonne warf und davonging. Ammann, neugierig geworden, holte den Stapel heraus, schaute hinein, war begeistert, bekam den Namen des Autors heraus und druckte ihn: Es war Wole Soyinka.

Im Beitrag des Buchhändlers, Publizisten und Afrika-Kenners Richard Butz liest sich die Bekanntschaft Ammanns mit Soyinka etwas anders: Er, Butz, habe Ammann im Rahmen eines Afrika-Projektes für den Suhrkamp-Verlag mehrfach auf Wole Soyinka hingewiesen. Dass Ammann "in der Euphorie meine nicht ganz unwichtige Rolle vorerst vergaß, führte zu einer Entfremdung und zum Streit".

Butz ist nicht der Einzige, der bei aller Hochachtung Schwierigkeiten und Verletzungen nicht verschweigt. In einem der schönsten Beiträge beschreibt Navid Kermani die Beziehung des Autors zum Verlag als Liebesbeziehung. In diesem Fall hat sie "alle Insignien einer langen Liebe getragen, von der Verliebtheit am Anfang zum ehelichen Alltag, aber auch den Verrat, die Abwendung und die rechtzeitige Versöhnung". Zu bemerken, dass man in der Verlagsvorschau nach hinten rutscht, dass mit anderen Autoren geworben wird, sei, "als würde man den Liebhaber beobachten, wie er nachts an der Bar mit einer anderen knutscht". Kermani beschreibt Ammann aber auch als einen Verleger, der der Idealvorstellung so nahe kam wie selten einer, der "zugleich Lektor und Förderer, Freund und Berater, Propagandist und Kritiker, Bewunderer und Lehrmeister, Finanzier und Abzocker" war.

Eine Kugel landete in "Dichtung und Wahrheit": War das Dichtung oder Wahrheit?

Kermani war nicht der Einzige, der in der Vorschau nach hinten rutschte - oder auch ganz aus der Autorenschaft herausfiel. "Ich kann es mir nicht mehr leisten, mit erfolglosen Schweizer Autoren mein Geld zu verlieren", soll er den Schriftsteller Dieter Bachmann auf einer Frankfurter Buchmesse angeherrscht haben. Bachmanns Landsmann Matthias Zschokke hat dem psychologischen Motiv dieser Zuneigungsentziehung nachgespürt und herausgefunden: "Seine Autoren wollte er erfolgreich sehen, glücklich und wohlhabend. Wenn sie es nicht waren, kränkte ihn das. Er fühlte sich davon persönlich beleidigt." Ihre Erfolglosigkeit musste doch an ihnen liegen, ihrem mangelnden Einsatz - denn sein Instinkt, sein Gespür für ihr "Potenzial" konnte sich keinesfalls getäuscht haben.

Neben den farbigen vorverlegerischen Lebensstationen - unter anderem diente er einem spanischen Torero und vertrieb Goethe-Original-Gesamtausgaben in der Türkei (und geriet in einen Kugelhagel von aufständischen Türken, eine Kugel landete in "Dichtung und Wahrheit": was ist das nun, Dichtung oder Wahrheit?) kommt die verlegerische Leistung Ammanns nicht zu kurz. Er stemmte Großprojekte wie einen neuen Dostojewski, übersetzt von Swetlana Geier. Eine zehnbändige Mandelstam-Ausgabe, betreut von Ralph Dutli. Den gesamten Pessoa mitsamt seinen Pseudonymen. Viele Titel von Ismail Kadaré und Laszlo Krasnahorkai. Er holte Georges-Arthur Goldschmidt in die deutsche Sprache zurück.

Er betreute die Debüts von Navid Kermani, von Julia Franck, von Ulrich Peltzer. Und natürlich Thomas Hürlimann, dessen "Tessinerin" das erste Programm eröffnete und dessen Briefwechsel mit Ammann 20 Aktenordner umfasst. 900 Titel kamen in knapp 30 Jahren zusammen, darunter viele, die Literaturgeschichte geschrieben haben und ohne die viele Regale wahrer Literaturliebhaber klaffende Lücken aufwiesen.

Wie war das möglich? Was hatte Ammann, was andere Verleger nicht haben? Instinkt, Wagemut, Ausdauer. Den unbedingten Glauben, dass "Literatur als Kunst" wichtig sei, ja nötig als "Beitrag zur Fortschreibung des Buches der Menschheit". Dazu natürlich ein kleines Team, das sich die Beine ausriss. Die für die Buchgestaltung verantwortliche Marie-Luise Flammersfeld, deren Bedeutung für den Verlag zu erwähnen fast kein Beiträger vergisst. Und, dann aber doch, last but not least: Geld. "Egonek war wie ich an Geld nicht interessiert, obwohl er es auch dann hatte, wenn er es nicht hatte", schreibt Richard Swartz. Das Geld, das er nicht hatte und nicht erwirtschaftete, kam von zwei Mäzenen: erst von George ("Tschöntsch") Reinhart aus der Unternehmerfamilie Volkart-Reinhart, dann von Monika Schoeller, der S.-Fischer-Verlegerin. Bei ihrem Verlag sind viele Autoren und Projekte gelandet, als Ammann sich entschloss, seinen Verlag zu schließen.

Ob dies so alternativlos war, wie der Verleger es darstellte: Um diese heikle Frage machen die Autoren einen dezenten Bogen. Ein Beitrag des Schweizerischen Literaturarchivs in Bern, wo der Ammann-Verlag in Papierform in 1101 Archivschachteln lagert, sowie eine Chronik und Titelliste runden den lesenswerten Band ab.

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