Süddeutsche Zeitung

Edita Gruberova verlässt Staatsoper:Abschied einer Primadonna

Ihre Stimme ist imstande, schwierigste Passagen wie Spielereien darzubieten: Doch das Münchner Opernpublikum wird dies bald nicht mehr erleben dürfen. Edita Gruberova trennt sich von der Bayerischen Staatsoper, weil sich die Zahl ihrer Auftritte laufend reduziert und neue Rollenangebote ausbleiben.

Karl Forster

Es sind deutliche Worte, und sie werden Münchens Opernfreunde ins Herz treffen. "Hiermit gebe ich bekannt, dass ich zum 27. Juli 2014 meinen Abschied von der Bayerischen Staatsoper schweren Herzens nehmen werde." Also sprach Edita Gruberova am Montagabend vor der versammelten Fachpresse jener Stadt, deren Opernfans sie so sehr ins Herz geschlossen haben. Und sie erläuterte, durchaus bewegt, warum sie diesen Entschluss habe fassen müssen.

Es sei, so die heute 65-jährige "Divissima", die Zahl ihrer Auftritte an diesem Haus immer mehr reduziert worden, von neuen Rollen sowieso keine Spur. "Dadurch habe ich den Eindruck, dass die Bayerische Staatsoper kein Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit hat." Nun waren zwar im Vorfeld ihrer jüngsten Auftritte am Nationaltheater als Elisabetta in Donizettis "Robert Devereux" am vergangenen Sonntag und kommenden Donnerstag (natürlich allesamt ausverkauft) schon Gerüchte umhergewabert, Edita Gruberova fühle sich etwas aufs Abstellgleis geschoben.

Doch das wollten und konnten ihre Fans nicht glauben. Zu strahlend, zu phantastisch virtuos und doch zugleich einfühlsam war die Stimme der Gruberova noch immer, als dass man sich einen Opernbühnenabschied dieser weltweit einzigartigen Sängerin hätte vorstellen können.

Denn es ist ja nicht irgendein Star, der hier die Opernbühne verlässt, es ist eine Künstlerin, über die nach der München-Premiere ihrer Lucia in Donizettis "Lucia di Lammermoor" der jeglicher lobhudelnder Übertreibung unverdächtige Joachim Kaiser einst schrieb: "Man hörte gewissermaßen zu atmen auf. Das Premierenpublikum wurde ganz still, ein Raubtier auf der Lauer (. . .). Ich habe die Callas und die Sutherland noch in großen Belcanto-Partien erleben dürfen: Die Leistung der Gruberova am 19. Oktober 1991 in München kam dem zumindest gleich - ja, war eigentlich noch zwingender."

Und Jürgen Kesting griff in der FAZ in seiner Geburtstagsgirlande zum sechzigsten der Künstlerin gar nach Goethe und zitierte: "Alles Vollkommene in seiner Art muss über seine Art hinausgehen; es muss etwas Anderes, Unvergleichbares werden. In manchen Tönen ist die Nachtigall noch Vogel; dann steigt sie über ihre Klasse hinaus und scheint jedem Gefiederten andeuten zu wollen, was eigentlich Singen heißt."

Zum guten Dritten noch eine Wortschöpfung, deren Wert nur ermessen kann, der weiß, wie streng in der SZ das Gebot gehandhabt wird, mit Namen keinen Scherz zu treiben. Eben hier erfand man für Gruberova den Titel "Primadonna assoluterova". Edita Gruberova, am 23. Dezember in Bratislava (Slowakei) geboren, begann 1961 dortselbst am Konservatorium, Klavier und Gesang zu studieren. Schon damals unkte manch Lehrer und Kommilitone, aus ihr würde wohl die beste Koloratursopranistin werden, die Bratislava je gehört habe.

Das war, mit Verlaub, ein bisschen untertrieben. 1969 schon wurde die Gruberova an der Wiener Staatsoper verpflichtet, dort debütierte sie ein Jahr später als fulminante "Königin der Nacht", eine Rolle, mit der sie später die Bühnen der Welt erobern wird. Ebenso wie als Zerbinetta in Richard Strauss' "Ariadne auf Naxos" oder "Elvira in Bellinis "Il Puritani". Dass Edita Gruberova, wie auch bei dem "entzückenden Mädchen" (Libretto) Zerbinetta optisch nicht immer den Klischees ihrer Rollen entsprach, war nie ein Problem.

Ob als Lucia oder als Konstanze in Mozarts "Entführung aus dem Serail" oder als Violetta in Verdis "La Traviata" und hochgepriesene Manon, immer entführte ihre Stimme, die selbst schwierigste Passagen wie kleine Spielereien darzubieten imstande war, das Publikum weg von der Bühne ins Phantasieland der Musik, man gab sich der Gruberova einfach hin. Nun weiß natürlich auch sie, dass mit dem Körper die Stimme altert. Sie hat sich, mit der ihr eigenen Vehemenz, schon immer diesem Problem gestellt. Mit der Rolle der Norma wartete sie bis November 2001, bevor sie sagte: "Na ja, jetzt glaube ich, ist es soweit", und sich dieser Herausforderung stellte.

Es wurde, wen wundert's, ein phänomenaler Triumph. Vor wenigen Jahren erst hat sie sich wieder einem Gesangstraining unterzogen, um ihre Technik dem Körper anzupassen. "Es geht", sagte sie dazu in einem Interview, "dabei um rein organisches Wissen, um die Stütze, um das Zwerchfell. Und so habe ich in meinem zarten Alter noch immer keine Probleme bei Spitzentönen oder Fortestellen."

Auf neuen Triumph hofft sie nun an anderer Münchner Spielstätte. Auf eingangs erwähntem Pressegespräch offenbarte sie ihre nächsten Pläne: Sie hatte für sich eine selten gespielte Bellini-Oper entdeckt: "La Straniera", auf Deutsch "Die Fremde", eine klassisch italienische Tragödie, in der am Schluss natürlich gestorben wird.

Die Rolle der Alaide ist Edita Gruberova, so scheint es, auf den Leib, respektive auf den Kehlkopf geschrieben - alles drin von artistische Koloratur bis zum sanften Sterbensseufzer. Am 5. Juli wird Edita Gruberova mit Ensemble in der Philharmonie zum 175. Jahrestag der Erstaufführung dieser Oper "La Straniera" konzertant dem Publikum offerieren, Ihrem Publikum, das sie also nicht verlieren wird (weitere Aufführungen am 9., 12. und 16. Juli).

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Quelle:
SZ vom 08.02.2012/sonn
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