Echo-Verleihung 2017:Die unendliche Wurschtigkeit des deutschen Pop
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Durch neue Regeln sollte der Echo endlich ein relevanter Musikpreis werden. Aber statt alte Probleme zu lösen, hat er sich neue geschaffen.
Von Julian Dörr
Eigentlich ist auch dieser Text schon wieder zu viel der Aufmerksamkeit für eine Veranstaltung, die sich deutscher Musikpreis nennt, aber gerne so relevant wäre wie die amerikanischen Grammys. Diese goldrobenglitzernde Veranstaltung, in der auch in diesem Jahr wieder schwarze Musiker in Nischenkategorien marginalisiert wurden. In Deutschland hätte man gern solche Probleme. Aber man hat nur den Echo.
In Berlin wurde am Donnerstag der wichtigste deutsche Musikpreis verliehen. Udo Lindenberg hat ihn gewonnen ("Album des Jahres", "Künstler Pop National"), Ina Müller ("Künstlerin Pop National") und AnnenMayKantereit ("Newcomer National", "Band Pop National"). Xavier Naidoo und Sasha haben moderiert. Und ein Lied gesungen für die verstorbenen Stars des vergangenen Jahres.
Alles egal
Aber das ist alles egal. Weil die deutsche Popkultur egal ist. Das ist hart, aber man muss es so sagen, weil den Deutschen ihre Popkultur nicht wichtig ist. Deshalb hat auch dieser Text wieder seine Daseinsberechtigung, obwohl er sich ohne Zweifel einreiht in das beliebte Hau-den-Echo-Spiel, in dem sich die intellektuelle Medienblase diese Landes gerne alljährlich misst. Jan Böhmermann hat dieses Spiel seinem Song "Menschen Leben Tanzen Welt" für den Echo 2018 durchgespielt. Er ließ den Text von fünf Gelsenkirchener Schimpansen zusammenstellen und hofft nun, sie werden im kommenden Jahr ausgezeichnet. Aber zurück zum Echo. Der Popkritiker, um es mal mit den Worten des viel zu früh verstorbenen Autors Martin Büsser zu sagen, muss Scheiße auch als Scheiße benennen - sonst ist seine Arbeit überflüssig geworden.
Die Kritik am Echo war in den vergangenen Jahren verheerend geworden. Bei der ARD wollte man den Musikpreis nicht mehr. "Erschöpft und müde" sei der Echo geworden, sagte ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber im vergangenen Jahr. Eine Echo-Reform musste her. Daraus könnte ja etwas werden, dachte man kurz. Wurde es dann aber doch nicht.
Viel ist neu in diesem Jahr, auch der Sendeplatz. Aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist der Echo in den Freitagabend zum Privatsender Vox abgewandert. Man kann auch sagen: abgerutscht. Außerdem wurde der Echo zwar am Donnerstagabend verliehen und aufgezeichnet, im Fernsehen wird er aber erst am Freitagabend ausgestrahlt. Vielleicht um etwaige Holprigkeiten und Anflüge von Spontaneität nachträglich ausbügeln zu können. Die wichtigsten Neuerungen aber betreffen den Preis selbst.
Zum ersten Mal entschieden in diesem Jahr nicht allein die Verkaufszahlen über die Gewinner des Abends. Um dem Vorwurf der stumpfen Kommerzvergoldung entgegenzuwirken, hat man beim Echo in diesem Jahr verschiedene Fachjurys berufen, um die Preisträger zu bestimmen. Das klingt nach Besserung? Doch diese Jury-Reform ist kaum mehr als ein Feigenblatt.
Die fünf Nominierten in der Kategorie "Künstler Pop National" sind gleichzeitig auch die fünf erfolgreichsten nationalen Künstler aus den offiziellen deutschen Top-100-Album/Single-Charts: Mark Forster, Max Giesinger, Udo Lindenberg, Xavier Naidoo und Westernhagen. Reine Verkaufszahlen also. Über den Gewinner entscheidet nun aber nicht allein eine qualifizierte Jury aus Musikindustriellen, Branchenkennern und Popjournalisten.
Das Kleingedruckte der neuen Echo-Richtlinien verrät: "Die Stimmen der Jurymitglieder fließen zu 50% in das Endergebnis ein, die restlichen 50% ergeben sich aus der Bewertungsgrundlage." Die Bewertungsgrundlage sind die Verkaufszahlen, die überhaupt ja erst zu der Nominierung führten. Udo Lindenberg hat also vor allem deshalb gewonnen, weil Udo Lindenberg noch immer verdammt viele Alben verkauft.
Nun ist ihre überraschend schwache Stimmkraft nicht das einzige Problem der neuen Jurys. Die bestehen nämlich neben Mitgliedern des Bundesverband Musikindustrie und Experten auch aus aktuell Nominierten und Preisträgern der Vorjahre. Aber das führt dazu, dass Nominierte potenziell für sich selbst abstimmen können. So stellte das Musikmagazin Visions in einem Blogbeitrag fest, dass sich "unter den 62 Namen der offen einsehbaren Jury-Mitgliederliste für 'Rock National' auch die Nominierten Frei.Wild, In Extremo und Schandmaul" finden.
Interessanterweise lässt sich diese Zusammensetzung der Jurys, auf die sich der Vorwurf der Visions bezieht, in der einsehbaren Liste auf der Webseite des Echos nicht mehr nachvollziehen. Unklar ist, ob der Bundesverband Musikindustrie auf die gerechtfertigte Kritik reagiert hat - oder einfach nur die Namen aus der Liste gestrichen hat. Die alte Juryliste, die laut URL wohl vom 15. März stammt, ist online nicht mehr verfügbar. Die aktuell abrufbare Juryliste stammt hingegen wohl vom 24. März. Hier fehlen zwar nun die Nominierten Frei.Wild, In Extremo und Schandmaul in der Jury "Rock National". In der Kategorie "Schlager/Volkstümliche Musik" zählen aber weiterhin die Nominierten Andrea Berg, Vanessa Mai und Andreas Gabalier zu den Juroren. Genauso wie Xavier Naidoo in der Kategorie "Künstler Pop National".
Dem Echo ist mit seiner Regelreform jedenfalls nicht nur gelungen, alte Probleme nicht zu lösen, sondern sich gleich noch ein paar neue Probleme an den Hals zu hängen. Und was heißt das jetzt für die deutsche Popkultur? Müssen wir schon glücklich und zufrieden damit sein, dass in diesem Jahr die absolute Überkonformität beim Echo dominiert hat und nicht etwa die Brüllaffen von rechts außen - so wie Frei.Wild im vergangenen Jahr?
Einer, der hingegangen ist, der in den Jurys saß und mitgemacht hat, ist Jens Balzer, ehemaliger stellvertretender Feuilletonchef der Berliner Zeitung und einer der hellsichtigsten Beobachter der Pop-Gegenwart. Vor der Echo-Verleihung sagte Balzer: "Man muss als Musikjournalist immer dahin gehen, wo es weh tut, da unterscheidet sich der Echo nicht von einem Konzert von Andreas Bourani." Und wahrscheinlich hat er damit sogar recht. Also: Jetzt alle den Böhmermann-Song in die Charts kaufen, nächstes Jahr zum Echo gehen und die Schimpansen wählen. Weil Popkultur eben nicht egal sein darf.