Echo 2018:Das hat der deutsche Pop nicht verdient

Der Echo ist ein reiner PR-Preis, bei dem Qualität nicht zählt. Kein Wunder, dass am Ende nur Schlagerstars und Rapper unter Antisemitismusverdacht gewinnen.

Kommentar von Jens-Christian Rabe

Die Nominierten für den Echo, den meistbeachteten deutschen Popmusikpreis, sind längst bekannt, ebenso die Laudatoren und die Künstler, die mehr oder weniger live auftreten werden: Es ist wieder alles dabei, was der deutsche Mainstream-Schlager-Pop so zu bieten hat an Künstlern, für die man anderswo zu Recht belächelt wird: also zum Beispiel die Kelly Family, die Toten Hosen, Helene Fischer, Peter Maffay, Johannes Oerding, Kerstin Ott, Yvonne Catterfeld, Julia Engelmann, die - so nennen sie sich - Lochis, Santiano, die Kastelruther Spatzen und natürlich die beiden Berufssexisten und Gewaltfetischisten Kollegah und Farid Bang.

Deren Nominierung zwang die Echo-Verantwortlichen zuletzt auch noch dazu, einen Ethikrat einzuberufen. Auf ihrem aktuellen Album findet sich die Zeile "Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen". Der Ethikrat missbilligte diese Art von Spiel mit antisemitischem Ressentiment, entschloss sich aber trotzdem gegen einen Ausschluss und für die Kunstfreiheit. Der Auftritt der beiden auch in der Vergangenheit schon einschlägig aufgefallenen Düsseldorfer Gangster-Rapper dürfte nun der Höhepunkt der Veranstaltung werden. Wie man hört, wappnet sich der übertragende Sender Vox schon für den Ernstfall antisemitischer Live-Ausfälle.

01 04 2017 Würzburg Posthalle Kollegah Imperator Tour 2017 Foto Kollegah Copyright HMBxMedia

Kollegah auf der Bühne in Würzburg

(Foto: imago/HMB-Media)

Die Echos sind dagegen schon als Show eine Totgeburt

Wobei zur traurigen Wahrheit des Echo ebenso gehört, dass der Skandal womöglich das Beste ist, was der Veranstaltung passieren konnte. Weil die Verleihung in der Messe Berlin sehr wahrscheinlich langweilig und peinlich und schlicht schlecht sein wird. Den Verantwortlichen gelang es in den vergangenen Jahren ja nicht einmal, die Liveshow als Liveshow zum Fliegen zu bringen, obwohl es sogar im deutschen Popgeschäft Spezialisten für die Produktion von überwältigendem Bühnenentertainment gibt. Anderswo gelingt das ja oft ganz gut oder wenigstens viel besser, bei den amerikanischen Grammys etwa, dessen deutsche Version die Echos so gerne sein möchten.

Die Echos sind dagegen als Entertainment-Spektakel regelmäßig eine Totgeburt - mit lausig-zotigen Gags der Moderatoren und Laudatoren, blutleeren Dankesreden der Preisträger, die sich oft nicht einmal Mühe geben, echte Freude gut zu spielen, und lustlosen Playback-Auftritten zwischendurch. Noch weniger inspiriert agieren meistens nur die eingeflogenen internationalen Popstars - in diesem Jahr unter anderem Kylie Minogue, Rita Ora und Luis Fonsi. Die Gala ist aber nur die sichtbarste Folge des eigentlichen Problems des Echo, das ein ungleich substanzielleres ist: Seine gesamte Anlage ist falsch. Und damit seine Antwort auf die Frage, was hierzulande auf in der großen Öffentlichkeit eigentlich preiswürdige Popkultur sein soll oder vielmehr: sein darf.

In der Kunst sind Preise üblicherweise Auszeichnungen für herausragende künstlerische Leistungen. So wie es im Sport Preise für herausragende sportliche Leistungen gibt. Wenn also zum Beispiel in Deutschland jemand ein herausragendes Buch geschrieben oder einen besonders guten Film gedreht hat, dann bekommt er dafür deshalb womöglich den Deutschen Buchpreis oder den Deutschen Filmpreis. Eher weniger werden Preise in der Literatur oder beim Film allein schon dafür verliehen, dass man ein Buch besonders oft verkauft oder besonders viele Zuschauer ins Kino gelockt hat. Eine Belohnung ist dafür ja auch nicht mehr nötig, man hat sie in Form von Geld bereits erhalten.

Und exakt hier ist das zentrale Missverständnis des Echo, das die Macher natürlich gerne in Kauf nehmen: Das wesentliche Kriterium dafür, einen Echo für das Album oder den Hit des Jahres zu erhalten, ist nicht eine herausragende künstlerische Leistung, sondern die nackten Verkaufszahlen. Der Echo prämiert den kommerziellen Erfolg eines Werkes, nicht jedoch künstlerische Qualität.

Ein lächerliches Schaufenster

Um zu verstehen, warum das so ist, muss man wissen, dass die Macht beim Echo - anders als beim Grammy oder beim Deutschen Filmpreis - nicht bei einer Künstler-Akademie liegt und auch nicht bei einem Kritikergremium wie beim Deutschen Buchpreis, sondern beim Bundesverband der deutschen Musikindustrie, also bei den Plattenfirmen, allen voran den großen drei Labels: Universal, Warner und Sony. Der Echo ist also im strengen Sinne gar keine Veranstaltung der Musikkünstler, sondern eine Veranstaltung der Musikvermarkter, die behauptet, die beste Musik sei die, die sich am besten verkaufe.

Aus Sicht der Vermarkter ist das natürlich völlig plausibel, denn bei der Musik, die sich schon einmal gut verkauft hat, ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass sie sich, wenn man sie fleißig weiter auf die große Bühne stellt, auch noch weiter gut verkaufen lässt.

Mit diesem Geheimnis lebte der Preis, der dieses Jahr zum 27. Mal verliehen wird, in unserem Pop-Entwicklungsland über zwei Jahrzehnte ganz gut.

Dann spürte man im Bundesverband offenbar endlich ein Legitimationsproblem. Oder konnte die Kritik an der Vergabepraxis nicht mehr hören. Oder es selbst nicht mehr ertragen, kommerziell höchst erfolgreiche Schlagerstars auszeichnen und auftreten zu lassen zu müssen, die unüberhörbar Musik für Menschen machen, die bestimmt und zu Recht irgendetwas mögen - nur eben auf keinen Fall Musik.

Für die über 20 Kategorien wurden also verschiedene "Fachjurys" gegründet (oder auch nur erstmals kommuniziert), deren Votum nun irgendwie neben den Verkaufszahlen das Zünglein an der Waage sein soll. Aber das ist ein schaler Kompromiss. Nicht zuletzt, weil auch die Jurybesetzung durch den Bundesverband und das Gewichtungsverfahren weiter alles andere als klar ist. Welches Interesse sollte der Bundesverband daran auch haben. Mit der Objektivität der Verkaufszahlen ist er fein raus.

Insofern ist es allerhöchste Zeit, dass sich auch für den deutschen Pop eine unzynische große Künstler- und Kreativen-Akademie-Jury formiert, aus Songwritern, Produzenten, Musikverlegern, Toningenieuren und Musikern, nur eben ohne Musikmanager. Damit wären natürlich längst nicht alle Qualitätsprobleme gelöst, die Diskussionen um die Grammy-Entscheidungen oder um die Preisträger beim Deutschen Filmpreis beweisen es. Das wäre auch gar nicht wünschenswert. Es muss gestritten werden über Kunst (auch mit Schlagerproduzenten). Nur eben bitte aus den richtigen, aus künstlerischen Gründen, von Leuten, die in erster Linie die Musik mehr lieben als das Geschäft.

Weil: Es kann doch nicht sein, dass der nach den USA und Japan drittgrößte Musikmarkt der Welt, dessen Popkultur Bands wie Can oder Kraftwerk hervorgebracht hat, die in der Popgeschichte in einer Reihe mit den Beatles stehen, und der auch seither - von DAF und Trio über Tocotronic bis zu (den immerhin in Nebenkategorien nominierten, aber chancenlosen) RIN oder Haiyti - regelmäßig begnadete Popkünstler hervorbringt, dass dieser Markt kein besseres, nur ein bisschen weniger lächerliches Schaufenster zustande bringt als den Echo.

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