Süddeutsche Zeitung

Duncan Jones:Aus der Zeit gefallen

Ein Treffen mit dem Regisseur Duncan Jones, der für Netflix den Film "Mute" gedreht hat: einen Science-Fiction-Thriller und eine Hommage an die Berlin-Jahre seines Vaters David Bowie.

Von Annett Scheffel

Ein paar Kindheitserinnerungen sind Duncan Jones von seinem ersten Besuch in Berlin geblieben. Als Sechsjähriger kam er mit seinem Vater Mitte der Siebzigerjahre in die Stadt. Westberlin, das war damals ein düsteres, kaputtes Niemandsland. Sein Vater war David Bowie. Der Popstar, der vor zwei Jahren gestorben ist, war 1976 in eine Siebenzimmerwohnung im Stadtteil Schöneberg gezogen, um den Drogen abzuschwören und an zwei seiner wichtigsten Alben zu arbeiten: "Low" und "Heroes". Und ein wenig ist es so, als wäre man 40 Jahre später mit dem Sohn noch einmal in dieser Wohnung - genauer gesagt in der Küche. Typischer Berliner Altbau, hohe Decken, raue Wände, schummriges Licht fällt auf das Erbsengrün der Einbauschränke.

Duncan Jones ist Regisseur und Drehbuchautor. Sein neuer Film "Mute", eine Science-Fiction-Dystopie über einen stummen Barkeeper der im Berlin des Jahres 2052 seine verschollene Freundin sucht, ist seit einigen Tagen beim Streaming-Dienst Netflix zu sehen.

Bei den Dreharbeiten an einem eisigen Novembertag im vorletzten Jahr beugt Duncan Jones beide Arme über eine gemusterte Wachsdecke. Der Küchentisch, an dem das Gespräch stattfindet, gehört zum Filmset von "Mute". In einer zugigen Studiohalle in Berlin Babelsberg entstehen die Innenaufnahmen. Zwischen Sperrholzplatten befindet sich hier die Kulisse des Nachtclubs, in dem die Hauptfigur arbeitet. Und seine Wohnung mit der erbsengrünen Küchenzeile. In der futuristischen Welt des Films ist dieses Apartment so etwas wie eine altmodische Oase: aus der Zeit gefallen und vollgestellt mit Verweisen auf das alte Westberlin.

Ist das Bowies Wohnung? "Es ist kein Nachbau, nein", sagt Duncan Jones und sieht sich um. "Aber was die Stimmung und die Art der Einrichtung angeht, gibt es viele Überschneidungen mit meinen Erinnerungen an die Wohnung, in der ich als Kind war". Die Vergangenheit hat er in die Zukunftsgeschichte seines Films eingebaut: alte Holzmöbel, viele Bücher, Ufo-Lampen aus Plastik, gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos.

Dass "Mute" in Berlin spielt, hat aber nicht nur mit den Erinnerungen eines Sohnes an seinen Vater zu tun. "Für mich ist Berlin eine perfekte Metapher für das Zusammenleben verschiedener Kulturen", sagt Jones. "Ein Ort voller unvorhergesehener Immigrantengemeinschaften. Viel mehr noch als Amerika." In seiner Sci-Fi-Vision ist Berlin ein schmutziger, neonfarbener Moloch. Eine futuristische Stadt mit gigantischen Hochhäusern und fliegenden Autos, aber immer wieder durchsetzt von Orten, die sich kaum verändert haben. "Mir ging es um eine glaubhafte, realistische Zukunft. Ich wollte ein Berlin zeigen, das man wiedererkennt. Nicht zu aufpoliert, aber auch nicht vollkommen dystopisch."

Die Lebendigkeit der Charaktere und Spielorte, das sei etwas, das er an "Blade Runner" immer bewundert habe. Ein Werk, das er auch nennt, wann man ihn nach dem wichtigsten Film seiner Kindheit und Jugend fragt. Speziell für "Mute" seien aber andere Einflüsse aus dem Kino wichtiger gewesen: "Ich hatte vor allem Siebzigerjahre-Thriller im Kopf, 'Hardcore' von Paul Schrader oder 'Point Blank' von John Boorman. Vielleicht auch ein bisschen 'Casablanca' und die seltsam düstere Berliner Unterwelt in Fritz Langs 'M'. Und zwei meiner Figuren sind von Robert Altmans 'Mash' inspiriert".

Gemeint sind die beiden zwielichtigen amerikanischen Ex-Army-Chirurgen (Paul Rudd und Justin Theroux), denen der von Alexander Skarsgård gespielte Held in den Niederungen der Stadt begegnet.

Nach seinem viel gelobten Spielfilmdebüt "Moon" von 2009 wurde Duncan Jones als einer der spannendsten Science-Fiction-Regisseure des neuen Jahrtausends gehandelt. Der Film war seine eigene, kleine Variation von Kubricks "Odyssee im Weltraum", in der Sam Rockwell einen einsamen Astronauten spielt, der auf einer Mondstation in eine existenzielle Krise gerät. Danach drehte Jones den Thriller "Source Code" und übernahm, als ein geplanter dritter Film nicht zustande kam, 2014 die Kinoverfilmung der Computerspiel-Reihe "World of Warcraft": ein Multimillionen-Dollar-Blockbuster, der ihn nach eigenen Aussagen viele Nerven kostete. Der Film kam erst nach zwei langen Jahren der Postproduktion in die Kinos und floppte dann auch noch beim amerikanischen Publikum.

Nach diesem Ausflug in die mühselige Welt der CGI-Effektfeuerwerke hat er seinen neuen Film an so vielen Originalschauplätzen wie möglich gedreht. "In Berlin gibt es tolle Orte dafür. Dass ICC-Gebäude zum Beispiel sieht von außen aus wie ein Raumschiff aus 'Kampfstern Galactica', das in der Stadt gelandet ist. Und von innen wie ein Kubrick-Set."

Jones bezeichnet "Mute" als "geistiges Sequel" zu seinem Erstling "Moon". Als kleines Insider-Häppchen taucht Sam Rockwell in seiner Rolle als geklonter Raumfahrer noch einmal kurz in einer Nachrichtensendung auf. "Beide Filme spielen in derselben Zukunft, bedienen dabei aber ganz verschiedene Genres", erklärt er. "'Moon' war eine kontemplative Weltraumgeschichte, 'Mute' ist ein Großstadt-Thriller." Wenn es nach ihm geht, möchte er mit seinem nächsten Film eine lose zusammenhängende Trilogie komplettieren. Diesmal mit einer weiblichen Hauptrolle. Das Drehbuch liege bereits seit Jahren fertig in der Schublade.

Auch an "Mute" hat er lange gearbeitet. Die Idee zu dem Projekt habe er schon vor 16 Jahren gehabt. Aber erst mit Netflix fand sich ein Partner, der den Film finanzieren wollte.

Ein paar Tage vor der Online-Veröffentlichung des Films vergangene Woche, sitzt Jones zu Hause in Los Angeles und erzählt am Telefon, wie gut ihm die Arbeit an "Mute" getan habe. "Es war wie eine Therapie für mich - nach dreieinhalb Jahren 'Warcraft' und nachdem ich meinen Vater und die Frau verloren habe, die mich großgezogen hat." Für diese beiden Menschen findet sich am Ende des Films eine Widmung - "for those who became parents".

Sein Vater, bürgerlich David Jones, starb am 10. Januar 2016. Im vergangenen Jahr starb Marion Skene, das Kindermädchen, das sich nach der Scheidung von Jones' Mutter Angie Barnett um ihn gekümmert hatte. Und während diese Schicksalsschläge auf ihn einprasselten, wurde im Juli 2016 sein erstes eigenes Kind geboren. "Das war wie eine Links-rechts-Kombination beim Boxen: den Vater verlieren und selbst Vater werden."

Duncan wurde 1971 als Zowie Haywood Jones geboren und änderte seinen Namen als Teenager in Duncan. "Die Wahrheit ist, ich könnte meine Filme heute nicht machen, ohne die Erfahrung, die ich als Kind gesammelt habe", sagt er. Bowie drehte mit ihm kleine 8-mm-Filme mit "Star Wars"-Figuren und gab ihm später die "Neuromancer"-Trilogie zu lesen. Trotzdem fing er erst spät ernsthaft mit dem Filmemachen an. Zuerst studierte er in Amerika Philosophie, weshalb sich seine Filme oft um moralische Fragen drehen: Identität, freier Wille, die Grenze zwischen künstlicher Intelligenz und Menschlichkeit.

Für "Mute" sei das Thema der Elternschaft wichtig, sagt Jones. "Auf der einen Seite ist es eine klassische Sciene-Fiction-Story, auf der anderen eine sehr persönliche. Sie betrachtet das Elternsein aus verschiedenen Blickwinkeln. Eltern haben, Eltern verlieren, Eltern werden. Und die Frage, was gute Eltern ausmacht?"

Diese Frage ist auch der Grund, warum er L. A. gerade nicht verlassen kann. Seine Frau, die Fotografin Rodene Ronquillo Jones steht kurz vor der Geburt des zweiten Kindes. Einmal schreit während des Telefonats ein Kleinkind im Hintergrund; Jones hält kurz inne und lacht. "Das Verrückte daran ist, dass man plötzlich nicht mehr selbst das Kind ist, sondern der Vater, zu dem alle aufblicken. Es erinnert einen aber auch daran, dass man nie weiß, wie viel Zeit einem noch bleibt. Und ich will auf jeden Fall solange ich kann Filme machen."

In einer Zeit, in der die Filmindustrie sich so drastisch wandelt, ist er aber noch unentschieden, was nach "Mute" der nächste Schritt sein wird. Er sei dankbar für die Möglichkeit, bereits mit so unterschiedlichen Budgets gearbeitet zu haben - "Moon" war mit 5 Millionen Dollar vergleichsweise günstig, "Source Code" kostete 32 und "Warcraft" stolze 160 Millionen. "Aber ich bin nicht sicher, ob ich es noch einmal fertigbringe einen großen Studiofilm zu machen. Andererseits brauche ich nach einem persönlichen Projekt wie 'Mute' vielleicht auch wieder einen Hit." Diesen Rhythmus habe ihn sein Vater gelehrt: "Du machst einen für dich und dann machst du einen für sie."

Für Duncan Jones ist "Mute" eine Zusammenfassung von allem, was er bisher über das Filmemachen gelernt hat und auf seine Art ein Abschied vom verstorbenen Vater. Am Set, in der Berliner Altbauwohnung, liegt auf einem Tisch eine Plattenhülle des Minimal-Music-Komponisten Philip Glass: Sinfonie Nr. 4 mit dem Titel "Heroes", komponiert auf Grundlage von Bowies berühmtem Berliner Album. Eine letzte kleine Hommage.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2018
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