In der Lindt-Boutique in Düsseldorf – laut Lindt ist dies „die einzigartige Welt der Schokolade“, und sie befindet sich schräg gegenüber vom Senfladen an der Wallstraße – hat sich am Dienstag ein vorweihnachtlicher Stau gebildet. Nicht so beim Senfladen. Das ist saisonal bedingt und spricht nicht gegen Löwen-Senf als scharfes Präsent unterm Baum. Hier aber geht’s um süße Dubai-Schokolade. Oder, wie es auf Utopia.de heißt, um „die bittere Wahrheit hinter dem Hype“. Gemeint ist die umweltproblematische Pistazien-Produktion mit viel Wasser.
Um bei Lindt die gehypte Schlange, bestehend aus entschlossen dreinblickenden Senioren mit niederländischem Akzent, zu umgehen, guckt man bei einer freundlich aussehenden Servicekraft im Lager vorbei. Man wähnt sich besonders schlau. Im Lager wird die einzigartige Welt der Schokolade tafelweise in die Regale geschlichtet. Wie Goldbarren.
Bald ist Weihnachten, und Lindt & Sprüngli droht eine Klage
Die Frage nach Dubai-Schokolade wird von der Servicekraft im Lager, respektive im Tresor so beantwortet: Sie schließt die Tür. Noch unangenehmer wäre man ihr wohl nur dann, wenn man auch noch aus Köln käme. Die Frage nach der unfassbar angesagten Dubai-Schokolade steht auf ihrer Ich-bin-echt-genervt-Skala ganz oben. Kein Wunder. Bald ist Weihnachten, und dem Schweizer Schokoladenhersteller Lindt & Sprüngli droht eine Klage.
Grund ist der Vertrieb der Dubai-Schokolade, mit der Lindt unter der Variante „Dubai Chocolade“, 150 Gramm zu je 14,99 Euro (die Tafel, nicht das Gramm), einen bizarren Marketing-Hype bedient. Bis jetzt. Denn jetzt klagt die Alina Wilmers Verwaltungs GmbH. Diese sei, heißt es, der einzige und somit einzig wahre Vertrieb der originalen Dubai-Schokolade. Die wiederum so original ist, dass sich der Erbprinz von Dubai das eigene Logo auf das Etikett hat drucken lassen. Bei Lindt ist die Schokolade „ausverkauft“. Wie überall.
Schokoladenpreis:Die Schokoflation schlägt mit voller Wucht zu
Ausgerechnet vor Weihnachten ziehen die Preise für Schokolade deutlich an. Eine Ursache liegt in Westafrika. Werden die Deutschen in Zukunft also weniger naschen?
Draußen vor der Tür, was sich exakt so anhört wie ein Drama von Wolfgang Borchert, in dem es um Gott, Tod und Krieg, nicht jedoch um Schokolade geht, zückt man umgehend das Handy. Man geht hier nicht weg aus der einzigartigen Welt der Schokolade – nicht ohne Dubai in Tüten. Auf dem Online-Marktplatz von Kaufland gäbe es noch was. Leider für 169,90 Euro. Pro Tafel. Nicht pro Gramm.
Zwei Minuten später ist das Angebot offline. Entweder haben die Anwälte der Verwaltungs-GmbH zugeschlagen oder der Erbprinz. Oder Lindt & Sprüngli. Oder es hat sich rumgesprochen, dass Aldi, Lidl & Co. von kommendem Montag an ebenfalls die Dubai-Schokolade anbieten. Zu Discount-Bedingungen. Bei Aldi Süd heißt sie dann „Alyan Dubai Schokolade“ und kostet 4,29 Euro. Erhältlich ab 16. Dezember. Auf dem Handy kann man den Erinnerungsservice aktivieren. Das tut man. Die Niederländer tun es vermutlich auch. Die freundliche Servicekraft im Lager, das ist jetzt eine weitere Vermutung, seufzt vor Erleichterung.
Der Schoko-Hype ist so irre, dass er ohne illegale Substanzen kaum zu erklären ist
Der Markt ist derzeit – wie sagt man? – „nervös“. Eigentlich wirkt Schokolade beruhigend. Manchmal sogar antidepressiv. Mit dem Dubai-Turbo aber ist daraus etwas Euphorisierendes geworden, was man ohne Aldi in Zukunft womöglich viertelgrammweise auf dem Schwarzmarkt hätte dealen und durch die Nase ziehen müssen. Der Schoko-Hype ist so irre, dass er ohne illegale Substanzen kaum zu erklären ist. Es ist ein Elend. Danke, Tiktok! Danke, Insta! Danke, Food-Influencer, die von Food-Flatulenzen kaum zu unterscheiden sind! Danke aber vor allem: Dubai! Vor wenigen Jahrzehnten war das noch ein Dorf im Sand und am Fluss. Jetzt ist es der ultimative Hype-Generator aus dem Übermorgenland. Mit auf Sand gebauten Träumen im Überfluss.
Im Emirat Dubai wurde die Dubai-Schokolade erfunden. Schon vor Jahren. Sie besteht aus Kadaifi oder auch Kadayif (ein süßes Gebäck aus dem balkanisch-levantinischen Raum, das aus feinen Teigfäden, Engelshaar genannt, und diversen Füllungen zubereitet wird), außerdem aus Pistaziencreme und, hurra, doch, Schokolade. Rezepte für Do-it-yourself-Engelshaar werden auch gerade herumgereicht auf Insta. Die Kadaifi-Produzenten kommen nicht hinterher. Es gibt den Goldrausch, den Ölboom – und jetzt: Engelshaar. Sagenhaft.
Entwickelt wurde die Schokolade von Sarah Hamouda von Fix Dessert Chocolatiers, Dubai. Wie jedes vernünftige Kulinarik-Phänomen entstand auch dieses durch Herumprobieren, Experimentieren und Innovationslust. Und, hier beginnt der Wahnsinn, durch ein Tiktok-Video, das viral ging. Nicht in Dubai. Bei uns.
MeinungSZ Jetzt Trend-Süßigkeit:Knuspern im Mund und ein Hauch Pistazie: Der Hype um Dubai-Schokolade ist nicht gerechtfertigt
Wobei man froh sein kann, dass die Dubai-Schokolade in Dubai bekannt ist. Toast Hawaii zum Beispiel wurde in den Fünfzigerjahren angeblich vom deutschen Fernsehkoch Clemens Wilmenrod erfunden, aber auch die französische Sandwich-Variante Croque Monsieur und die amerikanische Version vom Grilled Spamwich werden urheberrechtlich diskutiert. Jedenfalls ist der Toast Hawaii in Hawaii so unbekannt wie Spaghetti Bolognese in Bologna.
Oder wie Wiener Würstel in Wien, die man dort als Frankfurter kennt, während in Frankfurt auch Wiener gegessen werden. Es ist schwierig. Übrigens sollte man Thüringer essen. Die außerdem den Vorzug haben, scharf angebraten jedenfalls, der „Color of the Year 2025“ zu entsprechen. Das ist „Mocha Mousse“. Ein Hype umarmt den anderen Hype.
InStyle beschreibt die Trendfarbe als „wärmenden Braunton, der unsere Sehnsucht nach Komfort und einfachen, kleinen Freuden anspricht“. Wenn das die Parteikader der NSDAP und ihre paramilitärischen Ableger von der SA miterlebt hätten. Man nannte sie Braunhemden. Es ist aber trotzdem nicht sehr wahrscheinlich, dass Pantone den aufkommenden Neofaschismus unseren Sehnsüchten nach kleinen Freuden zurechnet.
Wobei die Dubai-Formel etwas komplexer ist als ein Pantone-Farb-Code, der von Style-Experten diskutiert wird: Erde ist braun, braun ist erdig. Tja. Dubai ist dagegen im Grunde nur ein anderes Wort für himmlischen Luxus – aber, das ist ja der Witz, zu erdigen Aldi-Preisen. Bitte nicht falsch verstehen: Man kann Dubai natürlich dennoch lieben. Unbedingt. Und Leute wie die Geissens tun das ja auch. Die wohnen sogar dort. Weshalb sie jetzt auch noch Dubai-Schokolade über ihren Onlineshop verticken, wenn auch leider zum „Wucherpreis“ (Focus).
Bei Nacht ist Dubai eine Idee von Zukunft. Wie man sich vorgestern die Zukunft vorstellte
Dubai, ein Traum. Mindestens. Als der Autor kürzlich dort war, begab er sich auf die Spitze des höchsten Hauses der Welt. Von dort, ganz oben auf dem Burj Khalifa, sieht man etwas Wunderschönes: Dubai bei Nacht. Ein einziges Lichtermeer. Wolkenkratzer, wohin man schaut. Eine unfassbare Lebenslust. Die Idee von Zukunft. Zumindest hat man sich gestern oder vorgestern die Zukunft, die morgen oder übermorgen schon wieder endet, so vorgestellt.
Zufällig war man an gleicher Stelle, als das Fundament für das höchste Haus der Welt gelegt wurde. Damals war das ein Ort im Nichts. Nur Sand. Ein paar Jahre später erkennt man die Stadt nicht wieder. In Dubai gibt es eine explosive Energie, die man auch bestaunen kann. Zumal dann, wenn man in einem Land lebt, in dem der ICE von Düsseldorf nach München acht Stunden braucht.
Acht Stunden, in denen man die kaputten Klos, ein Bordbistro ohne Gläser (kaputt seit der Notbremsung hinter Aschaffenburg) und sonstige Mängel (etwa die Verkehrspolitik der CSU) studieren kann. Zum Rotwein in einem fingerhutgroßen Plastikbecher, den der Mann vom Bistro reicht. Unter, wie es scheint, Tränen.
Spät erreicht man mit einigen Stunden Verspätung München. Im Gepäck keine Dubai-Schokolade, sondern Gouda und Senf. Man weint sich in den Schlaf, träumt von Dubai – und hofft, dass Aldi liefert. Dubai-Schokolade ist nur der Anfang. Es gibt Dubai-Stollen, Dubai-Zimtschnecken, Dubai-Burger und Dubai-Currywurst. Die bittere Wahrheit ist: Nach dem Hype ist vor dem Hype. Die Dubai-Schokolade schmeckt, sagt einem die Frau, der man Dubai-Schokolade mitbringen wollte, ganz okay. Nach Pistazien und: Schokolade. Verrückt.