Drogenkonsum und Musik:Trinken wie Mick in Frankreich

Drogenkonsum und Musik: Collage: Nick im Rotwein und Noel im Bier

Collage: Nick im Rotwein und Noel im Bier

(Foto: Collage SZ.de)

Die Rolling Stones sind Rotwein und Oasis ein Bier im nordenglischen Pub. Eine persönliche Reise durch Schall und Rausch.

Von Julian Dörr

"Die hier ist Rotwein", sagte mein Freund und hielt mir eine Schallplatte hin. Die Rolling Stones. "Exile on Main Street". Von 1972. Das Herzstück meiner damals noch überschaubaren Plattensammlung. Die Hochmesse des Rock'n'Roll, aufgenommen in einer südfranzösischen Villa. Zwischen jeder Menge leerer Weinflaschen.

Mein Kumpel hatte eine Theorie entwickelt, die uns in dieser Nacht großartig und revolutionär vorkam und auch noch bei Tageslicht alles andere als abwegig erscheint: Musik entfaltet erst dann ihre ganze Wirkung, wenn man sie im gleichen Zustand hört, wie sie einst produziert wurde. Kurz: Sei so drauf wie dein Star.

Die harmlos-naive Gymnasiasten-Version des Rockstar-Lebens

Also dinierten wir an diesem Abend wie Gott in Frankreich, oder wie seinerzeit: die Stones in Nizza. Wir aßen teure Steaks und tranken billigen Wein - für mehr reichte es nicht. Natürlich spielten wir die harmlos-naive Gymnasiasten-Version des Rockstar-Lebens in Südfrankreich. Keith Richards hatte in der Villa Nellcôte doch mehr im Blut als Rotwein und torpedierte mit seinem exzessiven Heroin-Konsum die gesamten Aufnahmesessions.

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Trotzdem lag ich einige Stunden später in meinem Zimmer und hatte zum ersten Mal das Gefühl, die Welt zu verstehen. Schwer und müde vom Rotwein machte plötzlich alles Sinn. Die Gitarrenriffs, gleichzeitig messerscharf und zäh. Die Bläser, der Blues, Country und "Sweet Virginia".

Dass wir mit dem Rausch der Giganten nicht mithalten konnten und wollten, wurde uns schnell bewusst. Sonst hätten wir irgendwann auch Ameisen schnupfen müssen und so hart ist dann doch nur Ozzy Osbourne. Überhaupt: Heroin, Koks, LSD, Upper, Downer, Schmerztabletten - in ihren Hochzeiten schmissen alle Großen alles ein. Dylan modulierte mit chemischer Unterstützung die Dramaturgie seiner Shows, Lou Reed inszenierte auf der Bühne den goldenen Schuss. Uns reichte auch eine versoffene Nacht, um Neil Youngs "Tonight's the Night", den schlimmsten Kater der Musikgeschichte, in seiner ganzen Schwärze zu begreifen.

Jim Morrison: Sex-Schamane und untoter Che Guevara des Pop

Songs kamen und gingen in meiner Jugend, aber die Theorie blieb. Tom Waits und der letzte Bourbon an der Bar zeigten mir die wärmende Fatalität der Sperrstunde ("Closing Time"). Oasis habe ich erst richtig verstanden, als ich nach einem Premier-League-Spiel angetrunken aus einem nordenglischen Pub stolperte. Soll heißen: die frühen Oasis. Denn es gibt natürlich Grenzen. Um die Hybris des Epochenwerks "Be Here Now" nachzuempfinden, müsste man demnach vollends zugekokst einen Rolls Royce im Pool versenken. Und das pulverisiert den Kreditrahmen von jugendlichen Gelegenheits-Rockstars aus der saarländischen Provinz.

Und einiges sollte man vielleicht auch gar nicht probieren: die mittelspäten Beatles auf LSD, die Madchester-Mischpoke um Primal Scream - "Loaded!" - auf Ecstasy, den paranoiden Thin-White-Duke-Bowie auf Koks und unter keinen Umständen: Jim Morrison auf irgendwas. Verkörpert der Sex-Schamane und Doors-Frontmann doch bis heute alles, was in der wilden Ehe von Rock und Rausch schief gelaufen ist. Und fristet ein untotes Dasein als Che Guevara des Pop, inklusive der zum Pariser Friedhof Père Lachaise pilgernden Alternativ-Abiturientinnen, die ihre Joints dort verstreuen.

Nicht die Konstitution eines Gangster-Rappers

Bei mir hat das mit dem Gras nie wirklich funktioniert. Entweder bin ich nach anderthalb Songs von The Whos "Tommy" tiefenentspannt weggepennt (den Effekt wie in dem Film "Almost Famous" hatte es bei mir nie) oder habe - meist in Kombination mit Alkohol - die Nacht über der Kloschlüssel verbracht. Hennessy und Hasch - dafür, das musste ich mir eingestehen, fehlte mir die Konstitution eines Gangster-Rappers vom Kaliber Tupac oder Biggie Smalls.

Irgendwann entdeckte ich dann die sedierten Tabletten-Rocker von Spiritualized und ihre Vorgängerband Spacemen 3. Deren 1990 erschienenes Album "Taking Drugs to Make Music to Take Drugs to" trug unsere Theorie schon im Namen und hatte ernüchternde Wirkung: So einzigartig waren wir mit unserer These dann doch nicht.

Auch wenn die Leistungsgesellschaft hinter jeder Ecke lauert, nüchterner sind unsere Zeiten nicht geworden. A$AP Rocky veröffentlichte im Frühjahr seine neo-halluzinogene, LSD befeuerte Platte "At. Long. Last. A$AP", Future rappt high auf Hustensaft und Sprite. Und die Kneipenbolschewisten von Wanda kommen keinen Song ohne Schnaps aus. Wer es nachempfinden möchte: Macht die Chauvi-Attitüde zwar erträglicher, ist am Ende aber den besten Rausch nicht wert.

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