Süddeutsche Zeitung

Drogen und Gesellschaft:Highway in die Spießigkeit

Lesezeit: 6 min

Während die letzten Techno-Jünger zur Love Parade reisen, sind ihre Drogen längst in der Mitte der Gesellschaft gelandet. Über das letzte Aufbäumen einer todgeweihten Bewegung.

Verena Krebs

Bernd ist 28, studiert Kommunikationsdesign und arbeitet als Cutter. Früher verbrachte er viele Samstagabende in einem Club. Er machte dort "das Licht", wie es unter Eingeweihten hieß.

Das bedeutet: Er regelte am Computer die korrekte Zufuhr von Rot, Grün, Weiß für die Tanzfläche unter ihm. Manchmal "machte" er auch den Nebel, und einmal hüllte er dabei die Partygäste so tief in das Wasser-Glykol-Gemisch, dass diese hustend auf die Straße stürzen mussten, jaja. . .

Das ist schon wieder Jahre her. Heute legt Bernd immer noch in Clubs auf, aber mit Loveparade, Rave, Techno, hat er, wie er sagt, "eigentlich nichts am Hut, noch nie gehabt". Er sei doch eher ein Gemütlicher, der gern spazieren geht und es sich schön vorstellt, in einer Hütte im Wald zu leben.

Der Wald ist aber nun mal weit weg von München-Haidhausen, das Fernsehprogramm ist meistens schlecht, der Club hingegen nah, die Freunde sind auch schon da - und so schlägt Bernd sich heute noch, als Techno-Opa, durchs Clubland.

Techno ist tot, es lebe Techno

Zwischen lauter neuen Generationen, neuen Energien, neuen Codes. Einmal verzweifelte er in der Münchner "Roten Sonne" an österreichischen Raverinnen, die anderen Gästen Wäscheklammern an die Nasen hefteten.

Vergangenen Winter erschien er mit Tweed-Schiebermütze und Regenschirm in der "Registratur" und versprach, das Ende des Technos sei nun nahe. Dann schlief er während der Party zwischen dem spaßhungrigen Jungvolk ein, gut versteckt zwischen Sofa und Wand, weil der Techno immer noch da war, aber so schrecklich langweilig.

Genauso wie Drogen zu nehmen. Er tut es trotzdem, dann und wann. Um der alten Zeiten wegen. Und genauso banal, wie das klingt, ist heutzutage die Aura dieser, vielleicht sogar: aller Drogen.

Noch bis in die neunziger Jahre kamen Drogenkonsumenten vor allem an drei Orten vor: auf der Stadion-Rockbühne, in Hollywood und im dreckigen Berliner Bahnhofsklo aus "Christiane F."

Bedrohliche Mythen rankten sich um diesen Stätten, den schmalen Grat zwischen Leben und Scheitern, Wiederauferstehung und Tod. Und jeder, der damals vom Lehrer in der Schulpause beim Kiffen erwischt wurde, wurde auf seinen nun unausweichlichen Lebens-, zumindestens aber Karriere-Endpunkt hingewiesen.

Lustige bunte Pillen

Doch dann kamen die Neunziger. Der Techno. Die Flokati-Fellstulpen. Die lustige Hexenfrau mit den grünen Augenbrauen, der hochgepitchten Stimme und ihrem Lied "Somewhere over the Rainbow". Die bunten Pillen mit den eingestanzten Cowboys, Delphinen und Fröschen.

Noch nie zuvor hatte eine Droge sich so schnell über die Welt verbreitet wie Ecstasy. Natürlich wäre es falsch, ihre Wirkung und ihre Folgen deshalb herunterzuspielen, aber das hat ja auch nie ein vernünftiger Mensch getan, im Gegenteil: Forscher warnen seit vielen Jahren vor Spätschäden. Der degenerativen Wirkung auf das Hirngewebe. Dem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses. Halluzinationen, Paranoia. Depressionen.

Aber: Offenbar fühlten sich davon nur wenige angesprochen. Laut Schätzungen der Drogenbeauftragten der Bundesregierung haben knapp zehn Millionen Deutsche zwischen 18 und 59 Jahren Drogen zumindest einmal konsumiert.

Gerade Ecstasy ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Techno verkündete die Botschaft, dass alles gut sei und jeder lieb und dass es fast schon politisches Engagement wäre, seinen Busen in durchsichtige Plastikfolie zu hüllen, darin auf der Straße zu tanzen und "Friede, Freude, Eierkuchen" zu lallen: auf einer ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration, genannt Love Parade.

Und die Welt dreht sich weiter

Manche Besucher drehten Live-Pornos, andere umarmten Polizisten und pinkelten in den Tiergarten. Viele konnten hinterher ihr Hotel nicht wiederfinden, und noch Tage später irrten struppige Flokatihäuflein durch Berlin. Aber die Welt änderten sie dadurch nicht, nicht mal ein bisschen.

Um dies alles weiterhin vor sich selbst rechtfertigen zu können, warfen die Techno-Jecken sich und anderen immer mehr, immer anders bedruckte Pillen zu: Mitsubishis, Roadrunners, Sterne oder Herzen. . . Man konnte sich fortan als Teil einer großen Sache sehen, die ständig weiterwuchs.In englischen Fußballstadien gab es plötzlich Pillen zum Bier und seelig lächelnde Fankurven.

Einem properen Radrennprofi wurde angeblich irgendwas in der Disco zugeschoben. Dem armen Gotthilf Fischer, der eigentlich nur fröhlich musizieren wollte, wurde was ins Glas gekippt. Irgendwo war immer jemand dicht. Der Praktikant auf der Medien-Aftershowparty genauso wie ein Liegewiesennachbar, der anschließend aus der 50 Zentimeter tiefen Isar vor dem Ertrinken gerettet werden musste.

Auf der Love-Parade tanzte nach einer Weile jedoch nur noch der saufende Hartz-IV-Nachwuchs. Ende der Neunziger war Techno offiziell tot, aber im Grunde hatte er sich nur umgezogen und umgetauft: Er nannte sich nunmehr "Electro" oder "Minimal", DJs wie Miss Kittin und DJ Hell kleideten sich in Helmut Lang und Versace und kreierten den gehobenen Porno-Schick.

Jede Vorstadt-Tussi lief plötzlich im Lackmini und zu engen Muscle-Shirt herum. Wer rebellieren wollte, musste sich schon etwas anderes ausdenken: "Wahre Liebe wartet" propagieren. Auf dem Kirchentag "Benedetto" brüllen. Oder in die CSU eintreten.

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über Digitale Bohèmes und Mietnomaden.

All die kleinen Mädchen und Jungs mit den großen Kinderaugen wurden erwachsen. Und viele machten trotzdem weiter. Allerdings ging es ihnen nicht mehr um das kollektive Erleben, sondern um das punktuelle Ausscheren.

Ach, die Jugend von heute!

In der Regel waren sie nicht auf dem Bahnhofsklo gelandet, sondern wurden Mediendesigner, Yoga-Lehrerinnen, Digitale Bohèmes oder Mietnomaden. Es wurde auf einmal alles schrecklich spießig: Nach Büroschluss traf man sich in den alten Clubs, in denen noch ein paar Veteranen die Theke wischten.

Dort beschwerte sich dann der Michael über seinen Praktikanten, der, anstatt Logo-Varianten zu entwerfen, die ganze Zeit nur "Grand Theft Auto" spielte. Die Marion beschwerte sich über ihren zickigen Babysitter und über die mangelnde Ergonomie moderner Bürostühle.

Und alle miteinander beschwerten sich über die heutigen Jugendlichen, die nur noch ihre Bequemlichkeit und ihre Myspace-Seiten im Kopf hätten und so gar nicht zielstrebig seien. Nebenbei zog man Speed in Klokabinen, deren Wände mit Hulk- und Lucky-Luke-Comics beklebt waren. Und im Nullkommanichts waren schon wieder drei, vier, fünf Jahre rum . . .

Diesen Samstag findet wieder einmal die Love Parade statt. Die Aussicht auf Tausende Menschen, die mit riesigen Pupillen und unter dem Motto "Highway to Love" durch die Straßen Dortmunds taumeln, ist so aufregend wie ein neues Abenteuer der Schlümpfe.

Drogen zu nehmen hat nichts Mythisches, Entrücktes mehr, Techno hat dem Drogenkonsum den Glamour der Studio-54-Jahre genommen, aber auch das Unheimliche. Das Establishment hat es längst antizipiert und kanonisiert.

Deshalb freuen sich heute in der Werbung reingebügelte Familien so manisch über die ganzen Fruchtstücke im Orangensaft, als hätte ihnen jemand Liquid Ecstasy ins Glas gekippt.

Die Stadt Frankfurt am Main lobt sich auf ihrer Homepage mit den Worten: "Hier wird Techno gelebt und Tango getanzt." Was das bedeuten soll - eine Stadt wie eine After Hour, laut, kaputt und voller Abfall? - erklären die Stadtväter nicht.

Der berühmte amerikanische Musik- und Drogenjournalist Harry Shapiro fasst es ein bisschen anders zusammen. Für ihn ist es beispielsweise die Aufgabe von Stars, "sich an unserer Stelle böse zu verhalten", was wiederum ihren häufigen Drogenkonsum erklärt. Nur: Findet das überhaupt noch irgendjemand böse?

Harmlose Wracks

Anders als in den sechziger Jahren werden Süchte nicht mehr durchlitten, sondern öffentlich zelebriert. Und andersherum scheinen die Menschen von heute kein Mitleid übrig zu haben für die Süchtigen, die sich vor ihren Augen zugrunde richten, sondern vielmehr Sympathie, Wohlwollen, Beifall und Geld.

Die beiden prominentesten Abgrund-Vertreter Amy Winehouse und Pete Doherty prügeln sich blutig, landen im Gefängnis, leiden an Schuppenflechte, ziehen am Crackpfeifchen und wirken dabei irgendwie clownesk, jedenfalls harmlos genug, dass 13-Jährige ihre Stumpfe-Rabenvögel-Looks kopieren und 47-Jährige ihre Alben kaufen.

Solange Radiostationen "Rehab" spielen, kann man Einrichtungen wie "Promises" oder "Harmony" ebenso wenig ernst nehmen, jene "Ferraris unter den Suchtkliniken", in denen man bis zu 70000 Dollar im Monat zahlt, für Gesprächstherapien, Wellness und die Ausgeherlaubnis für die Oscar-Verleihung.

Keine Kunst ohne Drogen?

Die einzige, in diesem Zusammenhang interessante Frage lautet: Was würde es für die Kultur bedeuten, wenn es Drogen nicht gäbe? Die Antwort ist natürlich hypothetisch. Die stimulierende Wirkung der Betelnuss ist immerhin seit 11000 Jahren bekannt, die des Fliegenpilzes seit 7000 Jahren.

Der römische Kaiser Marc Aurel war opiumsüchtig, Papst Leo XIII. pries den Erfinder eines cocahaltigen Weins als "Wohltäter der Menschheit". Das Bedürfnis nach Bewusstseinserweiterung ist im Menschen verankert, der Suchtforscher Alfred Springer hält die Forderung nach absoluter Drogenfreiheit "für kulturfeindlich".

Aber: Entsteht aus all diesem heute WIRKLICH große Kunst? Wohl kaum. Es entsteht eher mal ein netter Sommerhit. Ein YouTube-Lacher. Die eine oder andere sentimentale Lagerfeuer-Pointe. Und viel Stoff für Bunte oder US Weekly.

Versprochen: Die wahren Rebellen nehmen keine Drogen mehr. Schon weil die anderen es tun. Die Hängengebliebenen. Die Popstars mit den doofen Frisuren. Die Techno-Opas.

Und Bernd. Der es nicht bis in den Wald schaffen wird, nie.

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Quelle:
SZaW vom 19./20.07.2008/mst
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