Süddeutsche Zeitung

"Driveways" auf DVD & VOD:Vielleicht muss man gar nicht resignieren

Andrew Ahns zweiter Spielfilm erzählt mal anders von der amerikanischen Vorstadt, nämlich hoffnungsvoll.

Von Doris Kuhn

Es ist nicht so, dass Del und Cody sich seit Langem kennen. Cody kommt gerade erst mit seiner Mutter Kathy in Dels Kleinstadt an. Kathy muss das Haus ihrer verstorbenen Schwester ausräumen, der Junge hängt in der Garagenauffahrt herum, er will der Mutter nicht im Weg sein. Im Nachbarhaus, unauffällig im Eck der Veranda, sitzt Del. Er schaut Cody zu, irgendwann spricht er ihn an.

Cody ist acht und ein sensibles Kind. Wenn ihm die Umgebung zu stressig wird, muss er sich übergeben. Aber das ist nicht schlimm, erklärt ihm Del. Er weiß das, denn er war bei der Army, da hat er gesehen, wie auch erwachsene Männer ziemlich viel Angst hatten. Del war Soldat im Koreakrieg. Er ist über achtzig.

Die Gespräche zwischen dem Jungen und dem alten Mann haben kein hierarchisches Gefälle. Del redet mit beiläufiger Selbstverständlichkeit, weil er alt genug ist, um sich zu erinnern, wie schrecklich der belehrende Tonfall von Erwachsenen sein kann. Cody wiederum hat die Regeln der Höflichkeit noch nicht verinnerlicht, die jede Kommunikation aufs Oberflächliche reduzieren. Er fragt, was ihn interessiert, und Del gibt Antwort. Er nimmt in Kauf, dass dabei Dinge aus seiner Vergangenheit zur Sprache kommen, die er normalerweise für sich behält.

So erzählt "Driveways" als Erstes von einer Freundschaft, die spontan entsteht, im halböffentlichen Raum des Vorgartens. Der Junge und der alte Mann beginnen sich umeinander zu kümmern - eine ungewohnte Aufgabe, denn beide waren bisher ans Alleinsein gewöhnt. Im Lauf des Sommers allerdings nimmt ihr Vertrauen zu, bis sie dieses unbedingte Gefühl der Zugehörigkeit spüren, das Freundschaften nur manchmal erreichen. Einmal sitzen die beiden auf den Verandastufen, Cody will Del den Arm um die Schulter legen, wie man das bei einem Kumpel macht, obwohl er kaum weit genug nach oben kommt, um Dels Schulter überhaupt zu erreichen. Innerlich spürt er diesen Unterschied nicht.

Alltägliche Situationen, die völlig anders ausgehen, als man es erwartet

Die Gespräche der zwei nehmen einen großen Teil von "Driveways" ein, trotzdem machen sie den Film nicht geschwätzig. Andrew Ahn bringt seine Figuren zusammen und hält dann inne, um zu sehen, wie sie aufeinander reagieren. Er verläuft sich nicht in Exzentrik, füllt das entspannte Tempo nicht mit Erklärungen, denn Ahn besitzt eine Selbstbeherrschung, die wenige Filmemacher an den Tag legen: Hinter den knappen Dialogsätzen lässt er Raum für Schweigen. Und er schafft es, dass man darin nuanciert die Gefühle erkennt, die das Gesagte begleiten, die vielen Facetten von Zu- oder Abneigung, Furcht oder Hoffnung.

Die Rolle von Del spielt Brian Dennehy, das dürfte vom Alter her gut hinkommen. Dennehy war auf der Leinwand präsent seit den Siebzigern, ein massiger, quadratschädliger Bär, den man immer wiedererkannte - er steckte ein unbändiges Vergnügen in seine Rollen, die meistens böse Männer waren, und meistens Nebenfiguren. Er ließ sie jovial lachen, gab ihnen schnelle Bewegungen trotz seiner Schwere. Jetzt, in "Driveways", gibt es Momente, in denen wirkt er langsam, nicht mehr sonderlich kräftig, obwohl er sein Zentrum schon noch hält. Wenn man ihn hier sieht, wird man traurig, wenn man weiß, dass Brian Dennehy im April 2020 gestorben ist.

Codys Mutter Kathy ist eine Frau, die alles alleine macht, vom Geldverdienen bis zur Kindererziehung. Sie legt wenig Wert auf alte weiße Männer wie Del, insbesondere nachdem diverse andere Nachbarn sie mit dem alltäglichen Rassismus bombardieren. Kathy, Amerikanerin mit asiatischen Wurzeln, setzt den Menschen bloß noch Resignation entgegen. Trotzdem wird Andrew Ahn den Film zu einem Moment lenken, in dem Kathy und Cody zusammen mit Del und dessen alten weißen Männerfreunden im Klub der Koreakriegsveteranen Bingo spielen, und sie werden dabei alle großartigen Spaß haben. Denn das schätzt Ahn: alltägliche Situationen, die völlig anders ausgehen, als man es erwartet. Die Erleichterung, die sich darüber einstellt, die Freude.

Kathys Aufgabe ist das Ausräumen und der Verkauf des Hauses ihrer Schwester. Sie hatte keinen Kontakt zu ihr, und das bereut sie jetzt. Nicht nur, weil sie vom Leben der Schwester nichts weiß, sondern weil ihr erst durch das Haus klar wird, dass diese ein Messi war. Die Stapel der gehorteten Dinge sind höher als die Fenster, kein Licht kommt in die Zimmer, kein Mensch durch die Tür. Aber auch da macht Kathy eine neue Erfahrung: Die Frau vom Amt, die den Hausverkauf regeln soll, steht mitten im Chaos der Veranda, und Kathy ist so überfordert, dass sie in Tränen ausbricht. Da sagt die Frau "I'm a crier, too", ich muss auch oft heulen, gibt Kathy ein Taschentuch und hilft ihr von da an weiter.

"Driveways" zeigt, wie Menschen lernen, die Zähne nicht ganz so fest zusammenzubeißen. Das ist schwierig, weil so etwas leicht in Sentimentalität abschmieren kann, aber Andrew Ahn achtet auf Beiläufigkeit. Er erzählt keine große Geschichte, er belässt es dabei, einen Sommer lang zu beobachten, wie ein vollgerümpeltes Haus ausgeleert wird bis zur letzten toten Katze. Dabei flicht er ein paar Gedanken über Kindheit, Alter und Mitgefühl ein, zeigt die Variationen unerwarteter Hilfe, und am Ende hat man etwas gesehen, was es selten ins Kino schafft: Die Sensibilität der amerikanischen Vorstadt.

Driveways - USA 2019. Regie: Andrew Ahn. Mit Lucas Jaye, Hong Chau, Brian Dennehy. 83 Minuten. Tobis. Auf iTunes, Amazon, Videoload, Maxdome und anderen Plattformen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5295026
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/khil
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.