"Drive"-Autor James Sallis im Interview:"Wie die sich jetzt ärgern!"

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James Sallis hätte nicht für möglich gehalten, dass sein Buch "Drive" zum Kinoerfolg wird. Die meisten New Yorker Verlage hatten ihn abgelehnt, das bereuen sie längst. Nun hat er eine Fortsetzung geschrieben. Der US-Autor über seinen "Abstieg" zum Kriminalautor, sein neues Werk und darüber, was Hollywood mit Gletschern verbindet.

Doris Kuhn

James Sallis, 1944 in Arkansas geboren, gehört zu den Autoren, welche die amerikanische Kriminalliteratur um ein paar Schattierungen dunkler gemacht haben. 2005 veröffentlichte er "Drive", das Buch, dessen Verfilmung mit Ryan Gosling voriges Jahr in Cannes den Regiepreis holte. Inzwischen hat Sallis einen Nachfolgeband geschrieben, der im September auch auf Deutsch erscheint.

US-Autor James Sallis (Foto: Karyn Sallis)

SZ: Auf der Rückseite eines alten Jim-Thompson-Krimis steht: "Stoff für Rednecks, Verlierer, Psychopathen und Professoren". Wie finden Sie diese Zusammenfassung?

James Sallis: Toll. Den Satz will ich auch auf meinen Büchern haben! Jim Thompson war ein großer, wilder Autor. Bis er vor gut zwanzig Jahren wiederentdeckt wurde, gab es nur wenige, die sich zuflüsterten: Jim Thompson! Den musst du lesen, der ist komplett verrückt.

SZ: Sie haben 1993 eine Biografie über Thompson geschrieben, auch über Chester Himes und David Goodis. Warum diese Auswahl?

Sallis: Ich hatte durch Zufall ein Buch von Chester Himes in die Finger bekommen und suchte von da an nach mehr, immer in modrigen Buchläden, in den hintersten Regalen. Es gab kaum Material über Himes, und bei Goodis oder Thompson war es ähnlich. Also fing ich an, das wenige zusammenzutragen, was ich fand. Himes hatte eine ungewöhnliche Karriere, er war vom literarischen Schriftsteller "abgestiegen" zum Krimiautor - ähnlich wie ich.

SZ: Hat er sie inspiriert?

Sallis: Ja, Himes und Jim Thompson natürlich. Niemand sonst schrieb solche Bücher, so eine Mischung aus Schund und Kunst. Sie waren der Grund, warum ich später anfing, selber Krimis zu schreiben. Ich liebte das Muskelspiel dieser Pulp-Storys, die seltsamen Dinge, die darin passieren. Allerdings hatte ich Literatur studiert und beschloss, den billigen Glanz des Groschenromans mit einem ambitioniertem Stil zu verbinden. Bei Thompson konnte man schon sehen, wie das geht.

SZ: Wie alt waren Sie, als Sie mit dem Schreiben begannen?

Sallis: Ernsthaft angefangen habe ich mit 21, 22, vor fast fünfzig Jahren. Ich schrieb Gedichte und Science-Fiction-Storys. Anfang der siebziger Jahre ging ich nach London und gab mit Michael Moorcock das SF-Magazin New Worlds heraus. Mike drückte mir einen Chandler-Krimi in die Hand. Chandler und Hammett weckten mein Interesse an Kriminalliteratur, aber ich dachte noch nicht daran, selber so zu schreiben. Ich machte jahrelang weiter mit Kurzgeschichten, Gedichten, Buchkritiken. 1992 setzte ich mich dann hin und befasste mich mit einem ersten Krimi. Anfangs war das auch eine Kurzgeschichte, aber daraus wurde "The Long-Legged Fly", mein erster New-Orleans Roman mit dem schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin.

SZ: Ist das nicht einengender als SF-Geschichten?

Sallis: Ich habe an der Uni gelernt, wie man ein Buch aufbaut, Struktur, Höhepunkt, all das - aber das wurde mir langweilig. Es war wie malen nach Zahlen. Also fing ich an zu improvisieren, das fand ich wesentlich aufregender.

SZ: Die Verführungskraft Ihrer Bücher gilt also in erster Linie Ihnen selbst?

Sallis: Wenn Bücher mir beim Schreiben keinen Spaß machen, wie sollen sie denn dann die Leser unterhalten? Ich packe dauernd Sachen in die Handlung, die da nur zu meinem eigenen Vergnügen drin sind. Aber ich bin sicher, dass es sich auf den Leser überträgt.

SZ: Hat sich die Rezeption von Krimis verändert?

Sallis: Die ganze Sache mit den Krimis ändert sich seit den achtziger Jahren. Da hat man angefangen zu verstehen, was man mit einem Krimi machen kann. Zu der Zeit schwenkten etliche Leute mit einem literarischen Hintergrund auf Krimis um, das war nicht nur meine Idee. Grund war auch der Gedanke, dass es ganz schön sein könnte, tatsächlich Leser zu haben statt nur wohlwollende Buchkritiken.

SZ: Was fasziniert die Leute an Kriminalromanen?

Sallis: Irgendetwas steckt in den Büchern, das rätselhaft ist. Natürlich ist es die Düsternis. Aber für mich ist es vor allem die Stimme. Die Hauptfigur spricht in meinem Kopf, während ich ihr durch die Handlung folge. In Jim Thompsons Romanen ist diese Stimme immer da. Ich glaube, danach sucht der Leser. Ich jedenfalls suche danach, wenn ich Bücher anderer Autoren lese, und bei Noir-Krimis klappt das meistens.

SZ: Haben Sie so eine Stimme in "Drive" untergebracht?

Sallis: Das Buch beginnt mit der Stimme. Man hört sofort den Driver sprechen, sieht die Welt mit seinen Augen, obwohl ich es nicht in der ersten Person geschrieben habe. Das ist extrem wichtig, nur dadurch entsteht die Dringlichkeit, das Band, das den Leser an die Geschichte fesselt.

SZ: Haben Sie vermutet, dass "Drive" so ein Erfolg wird?

Sallis: Gott, nein. Das Buch wurde von den meisten New Yorker Verlagen abgelehnt. Wie die sich jetzt ärgern!

SZ: Wieso abgelehnt?

Sallis: Es war zu kurz. Und zu seltsam. Also hat es ein Freund von mir verlegt, wir dachten, es steht ein bisschen im Regal herum und fällt dann in den üblichen Abgrund. Aber wir mussten erstaunlich schnell nachdrucken. Dass wir die Kinorechte verkaufen würden, haben wir trotzdem nicht geglaubt.

SZ: Haben Sie am Film mitgearbeitet?

Sallis: Ich wollte auf keinen Fall mitarbeiten. Sobald ich ein Buch beendet habe, war ich lang genug in dieser Welt. Ich will nicht dahin zurückkehren. Außerdem wurde Hossein Amini als Drehbuchautor engagiert, und damit war ich sowieso glücklich. Hossein, Ryan Gosling und Nicolas Refn zogen zusammen in ein Haus in Los Angeles und schrieben an dem Drehbuch.

SZ: Angeblich sind die drei nächtelang zusammen mit dem Auto durch die Stadt gefahren. Haben Sie so etwas auch für "Drive" getan?

Sallis: Nein, ich bin gar kein großer Autofahrer.

SZ: Woher wissen Sie dann all die Details, die in "Drive" stehen?

Sallis: Ich kenne viele Cops, und meine Frau hat einen alten Freund, der ist Testfahrer. Wenn ich etwas wissen will, muss ich bloß anrufen.

SZ: Die Figuren Ihrer Bücher sitzen gern an öffentlichen Plätzen herum und belauschen die Passanten. Machen Sie das auch?

Sallis: Wenn man anfängt zu schreiben, denkt man, es käme auf den Inhalt eines Satzes an. Später denkt man, die Wortwahl sei besonders wichtig. Tatsache ist, es hängt alles am Rhythmus. Wenn Menschen normal reden, sprechen sie in Fragmenten. Sie lassen Substantive aus, oder Verben, oder sie heben die Stimme bei jedem dritten Wort. So etwas höre ich auf der Straße und übertrage es in meine Bücher. Das ist nicht einfach. Ich überarbeite jeden Satz in einem Buch dreißig oder vierzig Mal, insbesondere den Dialog.

SZ: Wie lang brauchen Sie, um ein Buch zu schreiben?

Sallis: Früher ging das in sechs Monaten. Jetzt muss ich nicht mehr ganz so schnell sein. Außerdem unterrichte ich an einem Community College, das kostet ähnlich viel Energie wie das Schreiben. Ich kann also nicht mehr so manisch schreiben wie früher. Aber "Driven", die Fortsetzung von "Drive", habe ich in guten zwei Monaten geschafft.

SZ: War diese Fortsetzung Ihre Idee?

Sallis: Nein, Hollywood hat nachgefragt. Zuerst war ich ungnädig und habe gesagt, ich sei Künstler, ich schriebe keine Fortsetzungen, aber dann stieg ich von meinem hohen Ross herunter, und das Buch entstand wie von selbst. Es ist ja nicht so, dass meine anderen Bücher nicht in Fortsetzung gegangen wären, es gibt sechs Romane mit Lew Griffin.

SZ: Es wird also noch einen Film über den Driver geben?

Sallis: In Hollywood bewegen sich Entscheidungen mit dem Tempo eines Gletschers. Ja, Nick Refn ist interessiert. Natürlich habe ich das fertige Manuskript sofort abgeliefert. Aber wird es einen Film geben? Wir können nur hoffen.

© SZ vom 26.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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