Auf dem Filmfestival in Cannes wird Oliver Stone enthüllen, wie sein Kapitalismus-Thriller "Wall Street" nach 23 Jahren weitergeht. Darauf wollten wir nicht warten. Ein Setbesuch in New York.
Lesen Sie hier Auszüge aus der Reportage von Tobias Kniebe.
Der Mann im schwarzen Anzug bewegt sich durch die Tische des Galadinners. Blicke folgen ihm. Augenbrauen heben sich: Den kennen wir doch. Ewig nicht gesehen. Sieht gut aus für sein Alter. Irgendwie hungrig. Kein Gramm Fett am Leib.
Gordon Gekko ist zurück
Er balanciert ein Whiskeyglas in der Hand, strebt zur Mitte des Saales. Wo die Schwergewichte sitzen. Die alten Freunde, besonders aber die alten Feinde. Und ein paar Jungstars, die seinen Namen bisher nur aus Legenden kannten. "Guten Abend", sagt er freundlich und grinst. Ein Grinsen voller Mutwillen, Sarkasmus, Verachtung - und ungebrochener Energie. Gordon Gekko ist zurück.
Das ist schon was, ihn wieder in Aktion zu sehen. Zurück im Spiel, zurückgeholt vom Regisseur Oliver Stone. Das Scharfe, Gnadenlose, das Michael Douglas in dieser Rolle schon immer hatte, ist noch etwas schärfer und gnadenloser geworden. Die Haare sind jetzt fast weiß.
Oliver Stone wirkt bullig und freundlich dagegen. Ein Schwerarbeiter in Handwerkerhosen und grauem Sweatshirt, der sich mit einem roten Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischt. Hier am Set in Downtown Manhattan, nur einen Steinwurf von der echten Wall Street entfernt, dirigiert er den großen Auftrieb: maßgeschneiderte Smokings, Guccischuhe, großer Protzuhren-Wettbewerb, die Frauen lebende Marmorbüsten, angeschafft für genau solche Benefizabende, wo man eine Million in Diamanten an sie hängen kann.
Zweieinhalb Systemzusammenbrüche später
"Wall Street" war der Film, der die Mitte der achtziger Jahre entstehende Raubritter-Mentalität der Broker und Firmenaufkäufer im New Yorker Finanzdistrikt auf den Punkt brachte - und dann noch ein ziemlich fettes Ausrufezeichen dahintersetzte. Auch aus einem Gefühl der Empörung heraus. Zugleich hat der Film, heute einer der wenigen Klassiker der Dekade, diese Mentalität aber verstärkt und überhaupt erst sexy gemacht.
Jetzt kommt "Wall Street II: Money Never Sleeps". Dreiundzwanzig Jahre und zweieinhalb Systemzusammenbrüche später ist die Premiere in Cannes. Es musste wohl sein. Und Gordon Gekko, der gnadenlose Profitgeier und Firmenzerschlager, die Ur-Heuschrecke mit ihrem endlos zitierten "Gier ist gut"-Motto, ging am Ende zwar unrühmlich ins Gefängnis - als Figur aber ist er nie ganz aus dem Bewusstsein der Kultur verschwunden.
Er will wieder mitmischen
Ein prophetischer Charakter, wenn man so will. Als Prototyp des gewissenlosen Insiderhändlers kam er weltweit in die Kinos, als die großen Insider-Skandale der Wall Street noch gar nicht passiert waren. Er propagierte eine Form von Exzess, der nur im bösesten Erwachen enden konnte, und das erste böse Erwachen kam schon kurz nach Drehschluss im großen Crash vom Oktober 1987. "Natürlich hatten wir die Zukunft nicht vorhergesehen, als wir das damals drehten", sagt Oliver Stone in einer freien Minute. "Wir spürten nur, dass etwas grundsätzlich falsch läuft."
Die Szene, die er in diesem Moment dreht, mit dem neuen, alten, nach vielen Jahren endlich aus dem Gefängnis entlassenen Gordon Gekko, der wieder mitmischen will, spielt im Jahr 2008. Der neue Zusammenbruch der Finanzmärkte, dessen Folgen uns derzeit noch plagen, hat in diesem Skript gerade begonnen, eine erste traditionsreiche Brokerfirma ist bereits untergegangen - sie erinnert sehr an das erste reale Krisenopfer, Bear Stearns.
Trotzdem ist ein extravagantes Fundraising-Dinner im Gange: alles nur vom Feinsten, eine Jazzband spielt, und jeder ist da, der Rang, Namen und ein paar Milliarden zu verwalten hat. "Denken Sie an den Salon der Titanic, ein paar Minuten vor dem Eisberg", sagt Oliver Stone. Dazu passt die Location, Broadway 25: eine ehrwürdige Halle, einst das Hauptquartier der Cunard-Schifffahrtsgesellschaft, riesige Deckengemälde mit Segelschiffen und Dampferrouten künden noch davon. Am Ende des Drehtags wird das Gebäude wieder leerstehen.
Oliver Stone ist, wenn es so etwas in Hollywood überhaupt geben kann, ein aufrechter linker Filmemacher. In seiner Freizeit plaudert er gern mit Politikern wie Kubas Fidel Castro oder Venezuelas Volkstribun Hugo Chávez, und diese Gespräche bringt er sogar als Filmdokumentationen heraus, um der Propaganda des rechtslastigen amerikanischen Krawallfernsehens etwas entgegenzusetzen. Allerdings ist Stone auch ein ausgesprochen kluger Dramatiker. Als solcher wollte und musste er seinen Bösewicht Gordon Gekko seinerzeit so überzeugend, so mitreißend, so plausibel wie möglich auf die Leinwand bringen. Deshalb schrieb er ihm, als Höhepunkt des ersten Films, diese unvergessene "Gier ist gut"-Rede.
Der Mann hat recht
Diese wenigen Filmminuten sind bis heute die zugänglichste, schärfste und zugleich unterhaltsamste Zusammenfassung jener Ideologie, für die sich erst später wirklich der Name Neoliberalismus etabliert hat. Gordon Gekko setzt seinen Zuhörern diese alte, aber immer noch hochexplosive Idee ins Gehirn: Dass der Gierige, gerade weil er einfach nur seinem Egoismus und seinem Materialismus folgt, am Ende doch Segensreiches in der Welt bewirkt - nur sein endloser Hunger nach mehr kann eine fettschwabbelnde, behäbige, sicherheitsfixierte Wohlstandsgesellschaft überhaupt noch in Bewegung halten.
Und der Mann hat recht! Denkt man noch jedes Mal am Ende seiner brillanten Argumentation. In der langen Widerlegung, die man im Jahr 2010 darauf geben kann und die niemand so recht versteht, kommen toxische Immobilienkredite vor, teuflische Derivate, deren Risiko angeblich niemand abschätzen konnte, und Kreditausfallversicherungen mit hanebüchenen Folgekosten, die das ganze System schließlich zum Einsturz bringen mussten. Die kurze Antwort, die Oliver Stone gibt, lautet schlichtweg: Quatsch.
Es gibt aber Menschen, die glauben ihm das nicht. Die entmachten den Schöpfer zugunsten seiner Figur. Sie verehren Gordon Gekko bis heute. Hauptsächlich arbeiten sie an der Wall Street.
Was Michael Douglas über seine Rückkehr als Gordon Gekko erzählt, lesen Sie in der Südddeutschen Zeitung vom 8. Mai 2010.