Drehbesuch bei Roland EmmerichNichts bebt mehr

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Die Wahrheit über Shakespeare: Roland Emmerich stellt seinen Film Anonymous in den Dienst der Wissenschaft - und das ist vielleicht selbst für einen wie ihn etwas zu dick aufgetragen.

W. Luef

Die Sache mit dem Erdbeben scheint ihn ein wenig zu ärgern. Roland Emmerichs Dauerlächeln wirkt plötzlich gequält. Eben noch hat der Regisseur wortreich von William Shakespeares beeindruckendem Werk erzählt, von der autokratischen Struktur des elisabethanischen Englands, vom rücksichtlosen Kampf um die Macht und von der Bedeutung des Theaters in einer Gesellschaft ohne Massenmedien. Große Themen, die sein neuer Film allesamt thematisieren soll, es werde darin "sehr kontrovers" und "hochpolitisch" zugehen, hat er schwärmerisch erklärt. Und dann diese Frage: Ob es, neben Politik und Kontroversen natürlich, vielleicht auch ein paar kleine Erdstöße geben werde, das eine oder andere einstürzende mittelalterliche Herrenhaus vielleicht?

120 Journalisten aus 30 Ländern hat Emmerich (hier zwischen seinen Darstellerinnen Vanessa Redgrave und Joely Richardson) nach Babelsberg gebeten, um ihnen die Wahrheit über Shakespeare zu verraten.
120 Journalisten aus 30 Ländern hat Emmerich (hier zwischen seinen Darstellerinnen Vanessa Redgrave und Joely Richardson) nach Babelsberg gebeten, um ihnen die Wahrheit über Shakespeare zu verraten. (Foto: Foto: getty)

Dazu ein paar Verse

"Es fühlt sich merkwürdig an, dass alle nur über meine Katastrophenfilme sprechen", sagt Roland Emmerich. Es sei immerhin dem finanziellen Erfolg von Materialschlachten wie "Independence Day" oder "The Day after Tomorrow" zu verdanken, dass ein Projekt wie dieses überhaupt möglich sei. Roland Emmerich sitzt auf der hölzernen Bühne inmitten eines 15 Meter hohen Nachbaus des historischen Londoner Rose Theatre, den sein Team auf ein altes Industriegelände nahe den Babelsberger Filmstudios hat stellen lassen, gemeinsam mit einem Londoner Straßenzug aus dem 16. Jahrhundert.

Der Regisseur hat 120 Journalisten aus 30 Ländern mit Bussen hierher karren lassen, Pistazien an sie ausgeben und die Reporter auf die drei Stockwerke des 1000 Menschen fassenden Holzbaus verteilen lassen. Eine Gruppe Schalmeienspieler hat dem Publikum ein wenig eingeheizt, ein als Ritter verkleideter Schauspieler noch ein paar Verse aus Shakespeares "Heinrich V" rezitiert. Und dann nahmen Emmerich und seine ausschließlich britischen Hauptdarsteller Platz an einem etwas zu kleinen Tisch zwischen zwei Kerzenständern. Sie sind hier, um über den Historienthriller "Anonymous" zu sprechen, der im Juni abgedreht sein und 2011 in die Kinos kommen soll.

Sturz vom Sockel

Der Regisseur, dessen letzte Arbeiten sich fast ausschließlich durch Bombast und technische Perfektion definierten, möchte es diesmal ganz anders haben. Mit dem neuen, nur 30 Millionen Euro teuren Projekt will er eine Debatte auslösen, etwas ganz und gar Unerhörtes auf die Leinwand bringen. Was läge da näher, als einen der größten Säulenheiligen der Weltliteratur vom Sockel zu stoßen? William Shakespeare ist in "Anonymous" ein Hochstapler, Sohn eines Handschuhmachers und mäßig talentierter Schauspieler, zum Schreiben von Literatur jedoch völlig ungeeignet. "Er ist ein Typ, mit dem man gerne auf ein Bier gehen würde", sagt Schauspieler Rafe Spall, der Shakespeare verkörpert. Unverhofft wird der junge Mann zum Superstar, weil ihn das Theaterpublikum und die Welt für den Autor von grandiosen Theaterstücken hält, die in Wahrheit aus der Feder von Edward de Vere (Rhys Ifans) stammen.

Emmerich stützt sich damit auf bekannte Theorien: Ernste Zweifel an der Autorenschaft William Shakespeares gibt es seit Jahrhunderten. Lange Zeit galt Francis Bacon als wahrer Urheber der Stücke. 1920 präsentierte Thomas Looney erstmals die Theorie, dass es Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, gewesen sein könnte, der die Dramen und Sonette heimlich verfasst hat. Diese Theorie wird im Film noch etwas zugespitzt: De Vere ist darin nicht nur der wahre Dichter, er will König werden -und für Edelmänner schickt es sich im London des 16. Jahrhunderts nicht, Literatur zu veröffentlichen.

Die Idee des Films? Eine Verschwörungstheorie

Schon vor einem Jahr hat Emmerich in einem Interview angekündigt, dass sich viele Menschen über seinen nächsten, geradezu blasphemischen Film ärgern würden, und nun hat er bereits erste kleine Erfolge vorzuweisen: Der Englisch-Professor James Shapiro empörte sich vor einigen Wochen in einem Artikel der Los Angeles Times über die Idee des Films, nannte sie eine Verschwörungstheorie. Emmerich lässt den zornigen Kommentar in Potsdam an alle Journalisten verteilen. Er selbst nimmt sich rasch aus der Debatte, antwortet ambivalent auf die Frage, ob er die von ihm erzählte Geschichte für wahr halte: "Wir gehen von den Fakten aus und lassen unsere Phantasie spielen."

Doch er lässt eigens eine Wissenschaftlerin einfliegen, die erklärt, warum der ungebildete Shakespeare, von dem keinerlei schriftliche Aufzeichnungen überliefert sind, unmöglich der Autor dieser versierten Literatur sein könne. Mit pathetischen Worten erzählt sie den Journalisten von der gemeinen Unterdrückung aller Zweifler an der Lehrmeinung bis heute. "Roland Emmerich fand, dass es an der Zeit war, diese Fragen nun endlich öffentlich zu stellen." Der Action-Regisseur im Dienste der Freiheit der Wissenschaft - das ist vielleicht selbst für einen wie Emmerich etwas zu dick aufgetragen.

Immerhin, wenn es um die visuellen Effekte geht, bleibt sich der Schwabe treu. Marc Weigert, für die computergenerierten Inhalte zuständig, sagt: "Das wird ein echter Emmerich." Er hat bereits bei "2012" an verantwortlicher Stelle mitgeholfen, die Erde weitgehend zu zerstören, und er spricht auch bei "Anonymous" von bahnbrechender neuer Technik, die man einsetze. "Wir bauen hier ganz London aus dem 16. Jahrhundert am Computer neu auf." Er schiebt noch ein "so etwas haben Sie noch nie gesehen" nach, der Satz gehört schon seit einigen Jahren zum Emmerich-Standard, und das gilt offenbar auch für den neuen Kostümfilm.

Hier gibt es zwar keine explodierenden Häuser, keine sich rasant ausbreitenden Kältezonen und, nein, auch keine Erdbeben, wie Marc Weigert betont - ganz ohne danach gefragt worden zu sein. Aber dennoch kommt fast die gesamte Filmumgebung aus dem Computer: "Roland hat sich entschieden, keine einzige Szene an Originalschauplätzen zu drehen." Das Begräbnis der Königin findet etwa auf der zugefrorenen Themse statt, eine Rohfassung ist schon fertig: Tausende computergenerierte Menschen ("in einer Totalen merkt keiner, dass die nicht echt sind") stapfen über das digitale Eis unter der digitalen historischen London-Bridge hindurch. Mit einer Kamera gedreht wird diese Einstellung nie werden.

Wenn hingegen das Theater abbrennt, werden sogar echte Flammen im Spiel sein. Szenenbildner Sebastian Krawinkel bereitet das bereits vor. Für Quentin Tarantino ließ er jüngst ein Kino in der Halle eines Zementwerks aufbauen, um es ganz und gar niederzubrennen. Am Rose Theatre in Potsdam darf er nur ein paar kleine Feuer legen. Die endgültige Katastrophe kommt dann aus dem Computer. "Das ist Emmerich total", schwärmt Krawinkel. "In echt würde das doch nicht spektakulär genug abbrennen."

© SZ vom 03.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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