"Drecksau" im Kino:Im Kamikaze-Modus

"Drecksau" nach Irvine Welsh neu im Kino

James McAvoy als Bruce und Shirley Henderson als Bunty, die Frau seines besten Freundes, in "Drecksau".

(Foto: dpa)

Irvine Welshs "Drecksau", eine Ausgeburt des Britpop-Hedonismus, wird zwar zehn Jahre zu spät verfilmt. Aber keine Gnade, keine Sentimentalitäten! James McAvoy gibt den sadistischen Polizisten Bruce mit formidabler Widerlichkeit, zu sehen ist eine rabenschwarze Meditation des Irrsinns.

Von David Steinitz

Polizist Bruce Robertson im Dienst: Zunächst zwingt er eine minderjährige Zeugin zum Oralverkehr, dann holt er sich eine ordentliche Portion neues Kokain, um schließlich beschwingt und mit viel Liebe zum Detail das Gerücht in die Welt zu setzten, ein Kollege sei schwul. Währenddessen ignoriert er stoisch die Leiche eines Asiaten, dessen Tod er eigentlich dringend aufklären sollte. Robertson (James McAvoy) hasst Frauen, Homosexuelle, Ausländer - und alle anderen eigentlich auch.

"Drecksau" (Originaltitel: "Filth") ist die fünfte Verfilmung eines Romans des schottischen Schriftstellers Irvine Welsh, der mit "Trainspotting" in den Neunzigerjahren zu einem der wichtigsten Vertreter des Cool Britannia wurde, als sich das Vereinigte Königreich zappelig vom Staub der Thatcher-Jahre löste, mit illustren Brit-Pop-Figuren in allen Lebensbereichen, von Tony Blair über Liam Gallagher bis zu Danny Boyle.

In gewisser Weise kommt die "Drecksau"-Adaption - der Roman erschien 1998 - also eigentlich zehn Jahre zu spät. Denn den Glasgower Polizisten, der lieber das Bild seines Penis im Bürokopierer überdimensional vervielfältigt als sich um Gesetz und Ordnung zu kümmern, hatte Welsh, ein hervorragender Satiriker des Insel-Lebens zwischen Industriestadt-Blues und Party-London, als Parodie auf den grenzenlosen Afterwork-Hedonismus der Neunziger angelegt. Bruce Robertson war das ultimative Partymonster, eine perverse Ausgeburt aller feuchten Großraumdisco- und Ibiza-Träume - und in Wahrheit natürlich manisch-depressiv.

Bis heute andauernder Welsh-Wahn

Für diese Auslegung hat sich zumindest Regisseur und Drehbuchautor Jon S. Baird entschieden, "Drecksau" ist nach dem Immigrationsdrama "Cass" von 2008 sein zweiter Spielfilm. Schon seit Jahren hatte er Welsh belagert, um ihm die Rechte an dessen Roman abzuluchsen - so wie Dutzende andere Filmemacher und Bewunderer auch. Denn seit Danny Boyle 1996 mit seiner "Trainspotting"-Adaption das britische Kino, das zwischen Kostümdramen und Hugh-Grant-Komödien vor sich hin döste, ästhetisch und programmatisch neu erfunden hatte, setzte unter britischen Filmemachern ein bis heute andauernder Welsh-Wahn ein.

Baird bekam schließlich den Zuschlag vom Meister, weil er sich gar nicht erst an einer Rekonstruktion der Brit-Pop-Jahre versuchen wollte und ihm auch nicht im Geringsten an einer feinsinnigen Psychologisierung gelegen war. Ihm schwebte vielmehr eine rabenschwarze Meditation des Irrsinns vor - keine Gnade, keine Sentimentalitäten! Und das macht im Kern und jenseits des Zeitgeists auch den Roman aus, der schon typografisch ein wahnsinniges Abenteuer darstellte, weil der Bandwurm, der Bruce im Buch quält, irgendwann die Erzählung übernimmt und dieser Erzählstrang grafisch über die erste Geschichte gelegt wird und sie immer mehr verdeckt. Auch orthografisch war es - wie die meisten Welsh-Bücher - ein Trip durch das gnadenlose Transkribieren des schottischen Akzents auf Papier.

Mit formidabler Widerlichkeit

Das alles lässt sich zwar nicht ins Medium Film übersetzen, aber der Irrsinn selbst hat gerade im zynischen britischen Kino eine lange Tradition. Spätestens seit Stanley Kubricks "A Clockwork Orange", dem Regisseure von Terry Gilliam über Danny Boyle bis zu Guy Ritchie immer wieder ehrfürchtig huldigen und der seit über vierzig Jahren die ästhetische Agenda eines anständigen Hirnschadens diktiert.

Und auch Baird folgt dem Aufbau dieses Klassikers, wenn sich in "Drecksau" mit dem zunehmenden Wahn des Polizisten-Sadisten die Rahmenhandlung immer mehr aufzulösen beginnt und die Kamera die Szenen ins Surreale verzerrt. Robertson glaubt, durch eine Beförderung zum Detective Inspector seine Frau zurückzubekommen, die ihn mitsamt Kind verlassen hat und intrigiert und kokst und vögelt sich im Kamikaze-Modus durchs Revier und durch die Pubs, bis plötzlich - real oder nicht real? - die wilden Tiere hinter ihm her sind.

Dass diese Orgien nicht zur Nummernrevue werden, liegt an James McAvoy, der sich mit diabolischer Freude von Minute zu Minute immer eine Nuance mehr in seinen Wahn steigert und sich mit formidabler Widerlichkeit die verklebten Haare aus der verschwitzen Stirn wischt, hinter der die Perversionen Schlange stehen. Vermutlich eine ziemlich gute Vorbereitung für die Rolle, die McAvoy nach den Dreharbeiten am Theater gespielt hat: Shakespeares manisch-tragischen Tyrannen-König Macbeth, der ebenfalls von den Frauen in den blutigen Wahnsinn getrieben wird.

Filth, Großbritannien 2013 - Regie, Buch: Jon S. Baird, nach dem Roman von Irvine Welsh. Kamera: Matthew Jensen. Mit: James McAvoy, Imogen Poots, Jamie Bell, Eddie Marsan, Jim Broadbent. Ascot Elite, 97 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: