Drama:Welcher Völkermord?

Das britische Gerichtsdrama "Verleugnung" ist ein irres Kinolehrstück über das Prinzip "alternative Fakten" und dessen Konsequenzen.

Von David Steinitz

"1000 Dollar! 1000 Dollar für denjenigen, der mir auch nur ein Dokument vorlegen kann, das den Holocaust beweist!"

Im Jahr 1994 unterbricht ein gesetzter Herr aus England die Vorlesung der amerikanischen Professorin Deborah Lipstadt (Rachel Weisz) an der Universität von Atlanta, wo sie am Lehrstuhl für Jüdische Zeitgeschichte und Holocaust-Studien lehrt. Bei dem Mann handelt es sich um den Holocaust-Leugner und selbsternannten Historiker David Irving (Timothy Spall). Mit dieser Konfrontation im Hörsaal, die so tatsächlich stattgefunden hat, beginnt der britische Spielfilm "Verleugnung", der Irvings Hetzjagd gegen die jüdische Professorin nachzeichnet. Lipstadt hatte ihn in ihrem Buch "Betrifft: Leugnen des Holocaust" einen Lügner genannt und aufgezeigt, wie er Fakten verdreht, um den Völkermord an den Juden als Fiktion darzustellen, was sie zu seiner liebsten Gegnerin machte.

Zwei Jahre nach seinem Auftritt in ihrer Vorlesung zog Irving in England vor Gericht. Er verklagte Lipstadt und ihren Verlag Penguin Books am High Court of Justice, dem höchsten englischen Zivilgericht, wegen Verleumdung. Sie habe ihn als Bewunderer Hitlers diffamiert, um seinen Ruf als Historiker zu ruinieren. Die absurde Volte an der Klage: Im britischen Rechtssystem reicht es bei Verleumdungsklagen aus, jemanden der Verleumdung zu bezeichnen, um ein Verfahren anzustoßen. Die Beweislast liegt dann beim Beklagten, der aufzeigen muss, dass seine Behauptungen "substanziell wahr" sind. Was zu der irren Situation führte, dass Lipstadt und ihre Anwälte nicht nur beweisen mussten, dass ihre Anschuldigungen gegen Irving korrekt waren, sondern, um diese zu untermauern, dass der Holocaust wirklich stattgefunden hat.

Drama: Professorin Lipstadt (Rachel Weisz) muss vor Gericht.

Professorin Lipstadt (Rachel Weisz) muss vor Gericht.

(Foto: Square One/Universum)

Verhandelt wurde schließlich nach einiger Verzögerung zwischen Januar und April 2000. Irving stilisierte sich dabei zu einem Märtyrer der Historikerzunft, indem er auf juristischen Beistand verzichtete und sich selbst verteidigte, während Lipstadt unter anderem den Staranwalt Anthony Julius engagierte, der schon Prinzessin Diana bei ihrer Scheidung von Prinz Charles vertreten hatte. Diese von Irving provozierte David-gegen-Goliath-Konstellation machte den Prozess auch über seinen eigentlichen Verhandlungsgegenstand hinaus zur großen Medienshow.

Der britische Dramatiker David Hare hat für sein Drehbuch zu "Verleugnung" auf Lipstadts Buch "History on Trial" zurückgegriffen, das sie später über den Prozess schrieb, aber auch auf die dicken Gerichtsakten selbst. Die Gerichtsszenen hat er fast im Wortlaut übernommen, was dem Spielfilm trotz der prominenten Schauspielerbesetzung eine dokumentarische Anmutung gibt. Die wird auch dadurch verstärkt, dass Regisseur Mick Jackson auf den üblichen TV-Gerichtsschnickschnack mit hektischen Schnitten und Großaufnahmen von wutverzerrten Anwaltsköpfen verzichtet, sondern nüchtern den Prozessverlauf abbildet. Als Drama funktioniert der Film deshalb stellenweise nur mäßig, weil komplizierte Gerichtsprozesse wie dieser kaum als Blaupause für einen klassischen Dreiakter taugen.

Aber Autor und Regisseur gelingt es sehr pointiert, die perverse Rhetorik des David Irving als Rollenmodell für das Prinzip "alternative Fakten" zu entlarven, das derzeit wieder Konjunktur hat. Sie zeigen ihn als eine Art Vorreiter der amerikanischen "Alt-right"-Bewegung, die ihre rechte Ideologie ebenfalls mit einem alternativen Weltbild untermauert. Irving verlor zwar den Prozess, rekrutierte aber durch die große Medienberichterstattung trotzdem weltweit Sympathisanten. Seine Argumentation gegen den Holocaust ist so perfide, weil an ihrem Ende nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterschieden wird, sondern plötzlich nur noch zwei verschiedene Ansichten einer ursprünglich historisch verbrieften Wahrheit übrig bleiben sollen - der Genozid als reine Meinungssache.

Denial, GB 2016 - Regie: Mick Jackson. Buch: David Hare. Kamera: Haris Zambarloukos. Mit: Rachel Weisz, Timothy Spall, Andrew Scott, Tom Wilkinson. Square One/Universum, 109 Minuten.

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